AUTOR:INNENTHEATERTAGE 2024
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Lange Nacht der Autor:innen
mit Werkstatt-Inszenierungen von Arbeitstexten der Autorinnen Ewe Benbenek, Patty Kim Hamilton, Caren Jeß und Nele Stuhler
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Entgegen der üblichen Gepflogenheit, die Stücke für die LANGE NACHT DER AUTOR:INNEN bei den att von einer Jury in einem Stückwettbewerb aussuchen zu lassen, hat sich das Deutsche Theater unter der neuen Intendanz dazu entschieden, nur Werkstattinszenierungen zu zeigen. Die Texte entstanden in sogenannten Autor:innen-Ateliers, zu denen das DT vier ausschließlich weibliche Autorinnen geladen hatte, die in der deutschsprachigen Theaterlandschaft bereits erste Erfolge vorzuweisen haben. Dies sind Ewe Benbenek, Patty Kim Hamilton, Caren Jeß und Nele Stuhler. Die nun vorliegenden Ergebnisse haben aber fast alle eher Fragmentcharakter und zeigen einen momentanen Zwischenstand der Arbeit an den Texten. Das ist einerseits etwas enttäuschend, da man den geladenen Autorinnen schon zutrauen könnte, innerhalb einer Spielzeit einen fertigen Text vorzulegen, andererseits gibt das Deutsche Theater damit eine weitere Möglichkeit für Autor:innen auf, die Qualität ihrer Werke in einem Wettbewerb messen zu können.
Qualitativ fallen die Texte recht unterschiedlich aus, und eine hinreichend gültige Kritik anhand eines Work in Progress ist natürlich nicht leicht. Scheinbar ist eine solche Kritik auch nicht erwünscht, wie es in Von der Mutter ein Gruß von Caren Jeß heißt. Ein Text, in den sich die Autorin gleich selbst als Kommentar mit eingeschrieben hat. „Einfach reinziehen und Fresse halten“ macht uns Daria von Loewenich gleich zu Beginn klar. Wir haben verstanden, können letzteres aber leider trotzdem nicht tun. Jeß‘ Text weiß zumindest um seine Unfertigkeit. Was die Autorin, die in der Inszenierung von Daniel Foerster höchstselbst am Schreibpult an der Rampe sitzt, dazu denkt, ist dann auch eher ironisch gemeint. „Alles kann, nichts muss“ ist da nur eine nette Umschreibung für Kann-Nicht.
Irgendwie hat Jeß, die gern Tierfiguren wie in ihrem Mülheimpreis-Stück Die Katze Eleonore benutzt, zu viel Schopenhauer und Kant gelesen. Ihr Vorhaben einer Geschichte über den Kainismus bei Adlern als Parabel für den menschlichen Willen zum Töten erschließt sich am ehesten über die Moralphilosophie. Kants Idee vom ewigen Frieden: Eine schöne Utopie. Wie im Tierreich herrscht bei den Menschen das Recht des Stärkeren. Ausgehend von dieser These schreibt Jeß über eine Adlermutter (Felix Goeser) und ihr Junges Renz (Alexej Lochmann), dass den Anforderungen an das Leben nicht gewachsen scheint, aber längst schon von der Mutter unbemerkt, den vermeintlich stärkeren Bruder aus dem Nest befördert hat. Das ist recht lustig inszeniert mit einem musizierenden Engel im Hintergrund (Jan Preißler) und einem koksenden Hund als Zockerkumpel (Florian Köhler) für das aus der Art geschlagene Küken. Keine Ahnung, ob daraus irgendwann noch ein Stück wird.
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Ein Totalausfall ist Ix von Ewe Benbenek. Wer den Einführungstext nicht gelesen hat, dürfte kaum verstehen, um was es eigentlich geht. Ix steht hier für die Agamemnon-Tochter Iphigenie, u.a. eine Dramenfigur bei Euripides und Goethe, die zum x-ten Mal für irgendwelche Machtinteressen von Männern oder für humanistische Ideale herhalten muss. Nun steht sie fest auf einem Hügel in Griechenland und sucht nach einer eigenen Sprache, um sich auszudrücken. Im Saal des DT steht Mathilda Switala zunächst schweigend auf einem Podest mitten im Publikum. Ihr gegenüber an einer Art Podium sitzt das übrige Ensemble, das sich an Benbeneks Text versucht. Ein etwas mühevolles Gestammel und Gebrüll, bis sich da Ix selbst zu Wort meldet. Man hört noch etwas von Menschen in und ohne Kutschen, den universellen Bürger- und Menschenrechten von 1848. Ansonsten bleibt das Textfragment auch in der auf Klamauk mit viel Musik getrimmten Inszenierung von Claudia Bossard eher nebulös. Das macht nicht unbedingt neugierig darauf, in welche Richtung das gehen könnte.
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Eine positive Überraschung ist dagegen Leichter Gesang von Nele Stuhler, ein Text, den die Autorin in Zusammenarbeit mit dem inklusiven RambaZamba Theater entwickelt hat. Auch hier stellt man gleich zu Anfang fest, dass der Text nicht fertig ist. Nach einem Herzlichen-Willkommen dreht dieser Text aber herrlich dadaistisch kalauernde Kreise. Man kann die Wortakrobatik des Sprechens und den spielerischen Versuch des Verstehens ganz gut an den mitlaufenden Übertiteln verfolgen. Dabei fühlt man sich auch ein wenig wie in der Erklärsendung Sesamstraße, was sicher auch ein gewollte Referenz ist. Regisseur FX-Mayr inszeniert das im Stil eines Herbert Fritsch in der knallbunten Ausstattung von Korbinian Schmidt. Das RambaZamba-Team fühlt sich in dem an einfacher Sprache angelehnten Text sichtlich wohl, wie auch alle Beteiligten viel Spaß an der Erarbeitung dieses sehr sprachmusikalischen Stücks gehabt haben dürften. Hier ist man dem Ziel einer Uraufführung schon ziemlich nah. Eine schöne Ergänzung zum Schwitters-Hit Ursonate von Claudia Bauer.
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Eine gewisse Uraufführungsreife hat auch der Text Und der Himmel über uns ist sein eigenes Land von Patty Kim Hamilton erreicht. Simon Kluth spielt hier den 37-jährigen Komponisten Phillip, der wie die Autorin koreanische Wurzeln hat. Philipps Mutter floh einst aus Nordkorea, der Vater aus der DDR. Nun sucht der im Westen aufgewachsene Komponist in einem Kaff in Sachsen-Anhalt nach seinen Wurzeln. Er begegnet dabei verschiedenen Urtypen der ostdeutschen Provinz. Das ist vielleicht hin und wieder etwas zu klischeehaft, aber durchaus ausbaufähig. Philipp versucht in Gesprächen mit den Einheimischen mehr über seinen Vater (Peter Rene Lüdicke) zu erfahren, von dem ihm nur ein paar Erklärungsversuche auf Kassetten geblieben sind. Aus den Berichten der mal mehr, mal weniger auskunftsfreudigen Nachbarn setzt sich allmählich ein Bild über Land und Leute samt ihrer Geschichte, die zu Teilen auch die Philipps ist, zusammen. Da würde man doch gerne mehr erfahren. Regisseurin Sarah Kurze steht ein mit Mareike Beykirch, Katrija Lehmann, Jörg Pose und Anja Schneider ein komödiantisch agierendes Ensemble zur Verfügung, das von Rolle zu Rolle über eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit verfügt. Ein halbwegs versöhnliche 2. Halbzeit der Langen Nacht.
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Und der Himmel über uns ist sein eigenes Land in der Langen Nacht der Autoren - im DT Brlin | Foto (C) Jasmin Schuller
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Stefan Bock - 17. Juni 2024 ID 14803
LANGE NACHT DER AUTOREN (Deutsches Theater Berlin, 15.06.2024)
Von der Mutter ein Gruß
von Caren Jeß
Regie: Daniel Foerster
Bühne und Kostüm: Lydia Huller
Dramaturgie: Karla Mäder
Mit: Felix Goeser, Florian Köhler, Caren Jeß, Frieder Langenberger, Alexej Lochmann, Daria von Loewenich und Jan Preißler
Ix
von Ewe Benbenek
Regie: Claudia Bossard
Bühne: Elisabeth Weiß
Kostüm: Andy Besuch
Musik: Valentin Wagner, Niklas Bruhn
Dramaturgie: Lilly Busch
Mit: Julischka Eichel, Jens Koch, Janek Maudrich, Lenz Moretti, Andri Schenardi und Mathilda Switala
Leichter Gesang
von Nele Stuhler
Regie: FX Mayr
Ausstattung: Korbinian Schmidt
Musik: Rahel Hutter
Dramaturgie: Bernd Isele
Projektmitarbeit: PIK Joy von Wienskowski
Mit: Lorena Handschin, Franziska Kleinert, Anil Merickan, Bernd Moss, Dirk Nadler, Mercy Otieno, Zora Schemm, Natali Seelig, Caner Sunar, Sebastian Urbanski und Nele Winkler
Und der Himmel über uns ist sein eigenes Land
von Patty Kim Hamilton
Regie: Sarah Kurze
Ausstattung: Vanessa Vadineanu Musik: Samuel Wiese
Dramaturgie: Christopher-Fares Köhler
Mit: Mareike Beykirch, Simon Kluth, Katrija Lehmann, Peter Rene Lüdicke, Jörg Pose und Anja Schneider
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/
Post an Stefan Bock
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