Ballett mit
Vergangenheit
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Natalia Makarova im "Königreich der Schatten" aus La Bayadère nach Marius Petipa | Foto (C) Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
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Bewertung:
Tamas Detrich hat seine Intendanz am STUTTGARTER BALLETT mit einem Abend eröffnet, der den Titel Shades of White trug. Jetzt, mehr als fünf Jahre später, knüpft er daran an mit seinem jüngsten Angebot Shades of Blue and White. Die drei Stücke sind allerdings keine Stuttgarter Erstaufführungen. Sie waren bereits 1991, 2018 (eben in Shades of White) und 2021 hier zu sehen und kehren nun in dieser Kombination zurück.
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Eine Tänzerin schreitet auf einer abfallenden Ebene von hinter einem mächtigen Baumstamm hervor. Ihr folgt eine zweite, eine dritte Tänzerin und so weiter, bis es vierundzwanzig sind, die alle dieselben Schritte und Armbewegungen wiederholen. Ein magischer Moment. So beginnt Das Königreich der Schatten aus dem Grand Ballet La Bayadère zur Musik von Ludwig Minkus. Es wurde 1877 uraufgeführt. Natalia Makarova [s. Foto o.re.] hat die ursprüngliche Choreographie des legendären Marius Petipa revitalisiert. Das Ergebnis ist Museum im besten Sinne, in Tutus und vor einem düsteren altmodischen Bühnenbild. Wir dürfen uns vorstellen, dass die Zuschauer vor fast 150 Jahren in Sankt Petersburg mehr oder weniger das Gleiche sahen wie wir heute an der Stuttgarter Oper.
Diese Rekonstruktion macht deutlich, wie sehr sich das Tanztheater in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Das ist Schönheit pur – ohne Groteske, ohne eine Spur von naturalistischer „Hässlichkeit“, ohne Störfaktoren. Der heftige Applaus des kenntnisreichen Stuttgarter Publikums gilt der Virtuosität der Solisten Elisa Badenes, Adhonay Soares da Silva, Daiana Ruiz, Abigail Wilson-Heisel und Veronika Verterich. Bejubelt wird die technische Perfektion der Sprünge und Pirouetten, fast wie bei den sportlichen Leistungen im Eiskunstlauf. Das ist so makellos, dass man gerne einmal sähe, wie es ausschaut, wenn eine der Damen aus dem Corps de Ballet niesen muss.
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Blake Works I von William Forsythe | Foto (C) Stuttgarter Ballett
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Die für das Ballett der Pariser Oper erfundenen Blake Works I von William Forsythe – der blaue Teil der Shades – markieren dann den Übergang vom klassischen Ballett zum modernen Tanz unserer Tage, dem in Stuttgart seit John Cranko die besondere Aufmerksamkeit gehört. Sieben minimalistische Songs von James Blake liefern das musikalische Material. Die Verknüpfung der Solisten – ein großer Teil der aktuellen Publikumslieblinge kommt zum Einsatz – mit dem Corps de Ballet ist bei Forsythe enger als in der historischen Choreographie von Petipa. Seine Tänzerinnen und Tänzer deuten in der Bewegung ihrer Glieder bereits den Übergang zu künstlichen Menschen, zu Avataren an, wie sie heute, nicht nur im Ballett, Karriere machen.
Den Abschluss bildet ein vor 33 Jahren in Stuttgart uraufgeführtes Ballett von Uwe Scholz, das die Siebte Sinfonie von Beethoven überzeugend visualisiert. Buchstäblich im Vordergrund stehen als Solisten Agnes Su und Jason Reilly. Mehr als die anderen beiden Choreographen des Abends spielt Scholz mit sich oft jäh veränderndem Licht. Beim zweiten Satz, dessen Fugato Scholz kongenial in Tanz umsetzt, muss ich allerdings stets an eine der schönsten Szenen der Filmgeschichte, entstanden genau dreißig Jahre vor dem Ballett, denken: in der Michel in seinem Riesenschlitten im Hafen von Nantes einfährt, um die Tänzerin Lola – Anouk Aimée – abzuholen. Das passiert in Jacques Demys Meisterwerk Lola und kann vom besten Ballett nicht übertroffen werden.
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Siebte Sinfonie von Uwe Scholz mit Priscylla Gallo, Daiana Ruiz, Jason Reilly, Agnes Su, Miriam Kacerova und Mizuki Amemiya | Foto (C) Stuttgarter Ballett
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Thomas Rothschild – 2. Februar 2024 ID 14586
Weitere Infos siehe auch: https://www.stuttgarter-ballett.de
Post an Dr. Thomas Rothschild
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