Der Sturm
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Das TON UND KIRSCHEN WANDERTHEATER inszeniert Shakespeares letztes Stück als Traum und poetisches Theatermärchen nach einer Bearbeitung des Theatermachers Peter Brook | Foto (C) Jean-Pierre Estournet
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Bewertung:
Wie in jedem Sommer ist das TON UND KIRSCHEN WANDERTHEATER wieder mit einer neuen Produktion im Land Brandenburg unterwegs. Die Inszenierung des Stücks Der Sturm, das als letztes Werk Shakespeares gilt, hatte im September 2023 im T-Werk Potsdam Premiere. Nun war es für drei Vorstellungen zu den Schirrhofnächten Open Air wieder dort zu sehen. Und wer den Sturm in Potsdam verpasst hat, kann ihn vom 28. bis 31. August nochmal in der Ufa-Fabrik in Berlin-Tempelhof miterleben. Die Inszenierung ist nicht nur eine Verneigung vor Shakespeare, der bereits zweimal auf dem Programm des Glindower Wandertheaters stand, sondern auch eine Verneigung vor dem großen, 2022 im Alter von 97 Jahren gestorbenen Theatermachers Peter Brook. Seine Fassung The Tempest Project, die letzte Inszenierung mit dem Pariser Theater Bouffes du Nord, hatte drei Monate vor dem Tod Brooks ihre Premiere.
Es ist eine sehr reduzierte Fassung der Shakespeare‘schen Romanze um den Zauberer Prospero, ehemals Herzog von Mailand, der durch eine Intrige seines Bruders Antonio entmachtet mit seiner Tochter Miranda flieht und auf einer einsamen Insel strandet. Diese Bearbeitung liegt der Inszenierung von TON UND KIRSCHEN zu Grunde. Wie auch bei Brook stehen der mit dem Schiff von einer Hochzeit in Tunis zurückkehrende Alonso, König von Neapel, sein Bruder Sebastian und Antonio, der verschwörerische Bruder Prosperos, nicht auf dem Besetzungszettel. Von ihnen ist nur kurz die Rede, wenn Prospero zu Beginn seiner Tochter Miranda ihr gemeinsames Schicksal erzählt. Doch zuvor wird mit Hilfe eines bühnengreifenden Tuchs, einem kleinen Holzschiffchen und etwas Theaterdonner aus dem Hintergrund der titelgebende Sturm atmosphärisch schon dargestellt. Reduzierte aber optisch und akustisch wirksame Theatermittel also auch hier. Sie sind seit jeher Markenzeichen der Truppe.
Das Spiel findet auf einem einfachen Holzpodest mit ein paar aufgehängten Tüchern im Hintergrund statt. An den Seiten sitzen die Ensemblemitglieder, die gerade nicht auf der Bühne sind, und spielen Instrumente oder machen Geräusche. Als Prospero sieht Rob Wyn Jones mit weißem Haar, leinenem Gewand und Stab aus wie ein indischer Guru. Ein Schal dient ihm noch als Umhang. Auch das große Zauberbuch hat er in der Hand. Der Clou der Inszenierung ist aber, dass der ebenfalls nach dem Sturm gestrandete Sohn des Königs von Neapel, Ferdinand, und Prosperos Tochter Miranda als große Puppen von Nelson Leon und Daisy Watkiss geführt werden. Von der Seite eingesprochen wird das sich auf der Insel findende Liebespaar von David Garlick und Margarete Biereye. Als Luftgeist Ariel wuselt Julie Biereye auf und neben der Bühne oder singt hin und wieder sehr schöne englische Folksongs.
Prospero tritt hier zunächst als Macher in Aktion, der die Fäden des Spiels in der Hand hat. Ein intellektueller Machtmensch, dem es um seine Rache am Bruder Antonio und dem König von Mailand geht. Das Zusammentreffen der Liebenden ist ja auch nicht ganz zufällig. Als Herr und Meister steht Prospero dem von ihm einst befreiten Luftgeist wie auch dem Sklaven Caliban gegenüber. Nelson Leon gibt den Missgestalteten mal aufmüpfig mal unterwürfig, als ihm von Prospero Schmerzen angedroht werden. Rassismus und Kolonialismus, in vielen aktuellen Inszenierungen des Stücks klar thematisiert, spielen hier aber weniger eine Rolle als der Drang nach Freiheit, dem Prospero als gnädiger Herrscher immer mehr nachgibt. Auch die lächerlichen Umsturzpläne des trunkenen Gespanns Stephano (David Garlick) und Trincolo (David Johnston), die von Caliban aufgestachelt nach Aufstieg streben, vergisst der Zauberer bei einer kleinen Geisteraufführung mit Masken.
Am Ende fügt sich zwar wie immer alles zum Guten auch ohne große Versöhnungsszenen. Der Zauberer Prospero gibt seine Macht selbst ab und geht mit einem langen in sich gekehrten Monolog. Frieden durch Nachgiebigkeit und Rückzug des Mächtigen im Angesicht der Vergänglichkeit ins Private bleibt fraglich. Ein Traum und schönes poetisches Theatermärchen als letztes Vermächtnis des Theaterzauberers Peter Brook, das in der Inszenierung des TON UND KIRSCHEN WANDERTHEATERs seinen Zauber auch an diesem nur etwa 75 Minuten langem Abend doch ganz wunderbar entfalten kann.
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Der Sturm mit dem TON UND KIRSCHEN WANDERTHEATER | Foto (C) Jean-Pierre Estournet
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Stefan Bock - 25. August 2024 ID 14884
DER STURM (Schirrhof, T-Werk Potsdam - 23.08.2024)
Künstlerische Leitung: Margarete Biereye & David Johnston
Bühnenbild und Licht: Daisy Watkiss
Konstruktionen: Regis Gergouin, Nelson Leon und Daisy Watkiss
Von und mit: Julie Biereye, Margarete Biereye, David Garlick, David Johnston, Rob Wyn Jones, Nelson Leon, Dominique Prié und Daisy Watkiss
Premiere war an 21. September 2023.
Weitere Termine: 28.-31.08. (Ufa Fabrik Berlin), 07.09.2024 (Jagdschloss Grunewald Berlin)
Weitere Infos siehe auch: https://tonundkirschen.de/
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