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Außenseiter

DIE BAGAGE nach dem Roman von Monika Helfer - am Studio Theater Stuttgart

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Spät, allzu spät hat die Vorarlberger Schriftstellerin Monika Helfer den großen Durchbruch geschafft, mit dem Roman Die Bagage. Da hatte sie schon mehr Bücher veröffentlicht, als andere in ihrem ganzen Leben geschrieben haben. Das war im Jahr 2020. Ein Jahr danach ist der Roman Vati erschienen und noch ein Jahr später Löwenherz, in denen Monika Helfer die fiktionalisierte Geschichte ihrer Familie in einem hinterwäldnerischen Dorf ihrer Heimat vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart fortsetzt. Dass Familienromane nicht im (groß)bürgerlichen Milieu spielen müssen, hat sich herumgesprochen. Aber die Tradition und der Kanon sind hartnäckig. Die Buddenbrooks haben im wirklichen Leben wie in der Erbschaft von Reich-Ranicki immer noch das Sagen.

Jetzt hat das Studio Theatert Stuttgart eine dramatisierte Fassung von Die Bagage in einer Bearbeitung und der Regie der Schauspielerin Lisa Wildmann auf die kleine Bühne gebracht. „Bagage“ ist ein Lehnwort aus dem Französischen und bedeutet eigentlich „Gepäck“. Es hat sich aber auch als abwertender Begriff für verachtete Menschen eingebürgert. Auf Industrielle oder Politiker wird er kaum je angewendet. „Bagage“ ist für die Dorfbewohner in Monika Helfers Roman die Außenseiterfamilie von Josef Moosbrugger. Die harte Wirklichkeit hat mit dem von den Medien verbreiteten ländlichen Idyll nichts gemeinsam. Eher steht sie in der Tradition des „kritischen Heimatromans“, wie er in der österreichischen Literatur von Franz Innerhofer in seinen Schönen Tagen oder von Gert Jonke in seinem Geometrischen Heimatroman vorgeformt wurde. Als einen Vorläufer kann man die Autobiographie Aus meinem Leben von Franz Michael Felder betrachten, der, wie Monika Helfer, in Vorarlberg geboren wurde und unter ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist.

Wer ein „Stück“ von Elfriede Jelinek inszeniert, sieht sich vor der Aufgabe, einen durchgängigen Text auf beliebig viele Sprecher*innen zu verteilen. Lisa Wildmann geht den umgekehrten Weg. Sie lässt eine Vielzahl von Figuren von nur zwei Darstellerinnen verkörpern. Gundi-Anna Schick und Nathalie Imboden teilen sich nicht nur in raschem Wechsel die Dialoge, sondern auch die Stimme der Erzählerin. Hinzu kommt als der neunjährige Sohn Lorenz Elias Wildmann. Das ist episches Theater im engen Sinn.

Lisa Wildmann hat gut daran getan, die Schauspielerinnen zu einer fast sachlichen Zurückhaltung zu ermutigen. Die Aufführung bleibt frei von Sentimentalität und Übertreibung und verleiht der zentralen Figur Maria, hinter der sich die Großmutter der Autorin verbirgt, eine Unschuld, der man Betrug nicht zutrauen mag.

Maria wird, wie eine Figur aus einem Stück Ödön von Horváths, zerrieben zwischen drei Männern, ihrem Ehemann Josef, der in den Krieg ziehen musste, dem „fremden Mann mit dem Namen Georg“, den es aus Hannover nach Vorarlberg verschlagen hat, und dem Bürgermeister, der die kriegsbedingte Situation ausnützt. Sie ist eher Objekt der Zeitverhältnisse vor einem Jahrhundert als feministisches Vorbild. Monika Helfer und ihre Regisseurin Lisa Wildmann haben sich für Wahrhaftigkeit statt für Idealisierung entschieden. Die Bagage zeigt die Welt, wie sie war, nicht wie sie hätte sein können. Jedenfalls diesseits der Buddenbrooks, wo die Frauen nicht Antoinette, Bethsy und Klothilde heißen, sondern Marie, wie in Woyzeck, oder eben Maria.



Nathalie Imboden und Gundi-Anna Schick in Die Bagage am Studio Theater Stuttgart
Foto (C) Stephan Haase

Thomas Rothschild – 2. Juni 2023
ID 14227
DIE BAGAGE (Studio Theater Stuttgart, 01.06.2023)
Textfassung und Regie: Lisa Wildmann
Ausstattung: Klaus-Peter Platten
Technik: Daniel Winkenbach
Produktionsassistenz: Julia Ghotoyian
Mit: Gundi-Anna Schick, Nathalie Imboden und Elias Wildmann
Premiere war am 1. Juni 2023.
Weitere Termine: 02., 03., 14.-17., 21.-24.06.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.studiotheater.de


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