Die Hoffnung stirbt zuletzt
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Bewertung:
Das intime Stuttgarter Forum Theater hat im Rahmen seines kleinen Festivals der Baden-Württemberger Privattheater mit Namen "mittendrin" die THEATEREI HERRLINGEN mit dem Zweifrauenstück Die Puppenspielerin nach dem vor zwei Jahren erschienenen gleichnamigen Roman von Sibylle Schleicher in der Bearbeitung und Regie von Edith Ehrhardt eingeladen.
Es geht um die Zwillingsschwestern Sarah und Sophie. Sarah ist an Tuberkulose erkrankt, hustet, hat Wasser in Herz und Lunge, leidet an Anzeichen von Aphasie. Später kommt noch ein Tumor hinzu. Die Schwestern erinnern sich an die gemeinsame Kindheit und Jugend, reden vom Krieg, planen ein Puppenspiel, aus dem eine Kurzfassung als Schattentheater angedeutet wird. Das Stück im Stück erinnert ein wenig an Konstantins dramatischen Versuch in Tschechows Möwe. Die eineinhalbstündige Aufführung besteht aus durch Lichtwechsel unterbrochenen Szenen. Zwischendurch wenden sich die Frauen vorübergehend einzeln als Erzählerinnen an das Publikum. Sie singen "Sweets for my sweet, sugar for my honey" von den Searchers und laden die Zuschauer zum Mitsingen ein. Sie tauschen, markiert durch eine fliederfarbene Strickjacke, die Rollen.
Der Rhythmus der Sprache, der Wandel im Tonfall der beiden hervorragenden Schauspielerinnen Britta Scheerer und Lisa Wildmann tragen den Abend. Es passiert ja nichts. Seit Fritz Zorns Mars von 1977 hat es zahllose Romane über die eigene oder die Krankheit einer nahen, eines nahen Verwandten gegeben. Die Puppenspielerin reiht sich in diese Tradition ein.
Auf und Ab des Krankheitsverlaufs, Hoffnung und Rückschlag lösen einander ab. Sarah und Sophie sitzen stumm nebeneinander und verspeisen Schokolade-Osterhasen. Plötzlich der freudige Aufschrei: „Sarah darf nach Hause!“ Aber die Freude ist verfrüht. Es endet, wie es enden muss: mit dem Tod. Das ist schlecht für die Spannung, aber gut für die Rührung.
Übrigens: beide, Britta Scheerer und Lisa Wildmann, sind, wie ihre Kolleg*innen im Herrlinger Ensemble und in vielen über die Republik verstreuten Kleintheatern, sogenannte „freie Schauspieler“, also frei von einem festen Engagement und einem regelmäßigen Einkommen, und somit ein Beleg für die verzerrte Darstellung des Schauspielerberufs und der Theaterlandschaft Deutschlands in den überregionalen Medien. Viele von ihnen haben erfolgreich an großen Bühnen gespielt und tun es noch gelegentlich. Ob ihnen von diesen gekündigt wurde, oder ob sie sich, aus welchen Gründen auch immer, von sich aus für die Unabhängigkeit um den Preis des ökonomischen Risikos entschieden haben, ist in den meisten Fällen nicht bekannt. Man sollte jedenfalls aus dem Status nicht vorschnell auf die Qualität schließen. Zugegeben: unter den „Freien“ gibt es solche, die sich nicht grundsätzlich von Amateuren und Laien unterscheiden. Aber es gibt auch respektable Talente, die es nicht verdient haben, für die Reisekritiker und Festivalscouts im Schatten des Personals der Staats- und Landestheater zu verschwinden. Und wenn sie, wie die THEATEREI HERRLINGEN, bei den Hamburger Privattheatertagen einen Preis gewinnen, kann das nicht mit der gleichen Beachtung rechnen wie das Berliner Theatertreffen oder die Umfragen von Theater heute. Das ist ungerecht, aber typisch für ein System, in dem der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt.
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Die Puppenspielerin an der Theaterei Herrlingen Foto (C) Andreas Zauner; Bildquelle: theaterei.de
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Thomas Rothschild – 16. Juni 2023 ID 14253
DIE PUPPENSPIELERIN (Forum Theater Stuttgart, 15.06.2023)
nach dem Roman von Sibylle Schleicher
Fassung und Regie: Edith Ehrhardt
Ausstattung: Barbara Fumian
Sound: Julia Klomfass
Mit: Britta Scheerer und Lisa Wildmann
Premiere an der Theaterei Herrlingen: 6. Dezember 2022
Weitere Termine: 16., 17.06. (in Stuttgart); 22., 23.06.2023 (in Herrlingen)
Gastspiel der Theaterei Herrlingen beim Festival "mittendrin - Baden-Württemberger Privattheater zu Gast"
Weitere Infos siehe auch: https://theaterei.de/
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