Der einge-
bildete
Tod
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Bewertung:
Zu Gast beim mit dem schon länger existierenden Privattheaterfestival in der Ortenau konkurrierenden Festival "mittendrin" im Stuttgarter Forum Theater: das WALLGRABEN THEATER mit Molières Komödie Der eingebildete Kranke. Regie führte Andreas von Studnitz, von 2006 bis 2018 Intendant des Theaters Ulm, der ältesten städtischen Bühne Deutschlands, was auch das Nationaltheater Mannheim von sich behauptet. Überhaupt ist das so eine Sache mit den Superlativen. Angeblich ist das WALLGRABEN THEATER aus Freiburg (Baden-Württemberg) das älteste Privattheater Deutschlands. Zugleich gibt das Stuttgarter Theater der Altstadt, das eben für 2024 einen neuen Intendanten ernannt hat, an, das älteste Privattheater Baden-Württembergs zu sein. Das erinnert an die Geschichte von dem New Yorker Friseur, der ein Schild aushängt mit der Aufschrift: „Der beste Friseur in New York“. Darauf annonciert die benachbarte Konkurrenz: „Der beste Friseur in Amerika“. Ein Dritter, ein paar Häuser weiter, verkündet: „Der beste Friseur in der Welt“. Da hängt ein vierter Nachbar ein Schild an seinen Laden: „Der beste Friseur in der Straße“.
Es beginnt mit Morricones Leitmotiv aus Spiel mir das Lied vom Tod. Hans Poeschl, der künstlerische Ko-Leiter des WALLGRABEN THEATERs, spricht in der Titelrolle schwäbisch (es klingt jedenfalls eher schwäbisch als badisch), das tut auch, wenngleich weniger ausgeprägt, seine Tochter Angélique. Die Übrigen sprechen hochdeutsch, außer dem Dienstmädchen Toinette, einer Vorläuferin von Mozarts Susanne und Despina, die in der Verkleidung eines Arztes berlinert und schielt.
Die Bearbeitung Andreas von Studnitz’ bringt den Text in eine plebejische Gegenwartssprache. Der Notar trägt eine Baseballkappe, ein knallig buntes Hemd, eine Sonnenbrille und die Hände in den Hosentaschen. Das unvermeidliche Handy und ein Karaoke-Intermezzo verdeutlichen, dass seit der Uraufführung der Komödie 350 Jahre vergangen sind. Thomas Diafoirus ist ein vertrottelter Freier, und sein Vater – großartig in dieser Rolle und später als Argans Bruder Michael Schmitter – schwätzt zunächst französisch und hüllt sich dann, mit langen Haaren, in einen Lederanzug.
Krankheit ist für Argan ein Vorwand, um Macht auszuüben. Die – wenngleich gescheiterte – Zwangsehe unter dem Diktat des Vaters belehrt uns, dass es keinen Grund gibt zur Arroganz gegenüber Muslimen, die noch hinter christlicher Normalität hinterherhinken.
Als Béline, auf die Probe gestellt, ihren Mann Argan für tot hält, tanzt sie verzückt zu lateinamerikanischen Rhythmen. Die misshandelte Tochter hingegen erweist sich, wie Lears Cordelia, als die wahre Liebende.
Es endet mit Céline Dions Schnulze aus Titanic. Auch ein Lied vom Tod.
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Thomas Rothschild – 23. Juni 2023 ID 14263
DER EINGEBILDETE KRANKE (Forum Theater Stuttgart, 22.06.2023)
Komödie von Molière
Regie und Textfassung: Andreas von Studnitz
Mit Sybille Denker, David Köhne, Iris Melamed, Hans Poeschl, Katharina Rauenbusch, Michael Schmitter und Christian Theil
Premiere am Wallgraben Theater Freiburg: 14. Juni
Weitere Termine: 24.06. (in Stuttgart); 27., 28., 30.06./ 01., 05., 07.-09., 11., 12., 14., 15., 18., 19., 21., 22., 25., 26., 28., 29.07./ 01., 02., 10.-13., 15., 16., 18., 19., 23.-26.08.2023
Gastspiel des Wallgraben Theaters beim Festival "mittendrin - Baden-Württemberger Privattheater zu Gast"
Weitere Infos siehe auch: https://www.wallgraben-theater.com/
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