Gas klebt nicht
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Bewertung:
Georg Kaiser (1878-1945) war mit seinen 70 Stücken der zu Lebzeiten berühmteste und erfolgreichste Expressionist auf deutschsprachigen Bühnen, doch die meisten seiner Dramen sind bis heute in Vergessenheit geraten. Allenthalben für die sog. Gas-Trilogie (1918-1920) taten sich letztes Jahr - "in Folge der Rohstoffengpässe aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine" (lt. Wikipedia) - sowohl das Staatsschauspiel Dresden als auch das Theater in Kaisers Geburtsstadt Magdeburg begeistern; Sebastian Baumgarten und Florian Fischer hievten sie in jeweils eignen Spielfassungen auf die Bretter, und es schien dort irgendwie ganz gut zu funktionieren.
In der Ostberliner Hochschue für Schauspielkunst Ernst Busch, einer schon in der DDR berühmten, um nicht gar zu sagen weltberühmten Kaderschmiede deutschen Sprechtheaters, hat sich jetzt der junge Regisseursanwärter Max Radestock das Kaiser-Gas als seine Abschluss- sprich Diplomarbeit gewählt; ich war bei seiner Inszenierung gestern Abend live vor Ort und attestiere ihm hierfür (aus unserer nicht unmaßgeblich ausgewiesenen Sachkompetenz heraus): 5 K - was übersetzt so viel bedeutet wie schlicht, einfach und ergreifend: "nicht zu toppen" oder besser noch: aus reinster Sympathie heraus.
Also:
"In Georg Kaisers Gas I explodiert die Fabrik, die bisher die Welt mit Gas versorgte. Die Chefin trifft eine revolutionäre Entscheidung: Die Abhängigkeit von Energie muss enden, weil die Wiederholung der Explosion in das System eingeschrieben ist. Stattdessen brütet sie über Plänen für eine sich selbstversorgende Gesellschaft. Doch Verbündete unter Arbeiter:innen, Angestellten und Unternehmer:innen zu finden, gestaltet sich schwieriger als gedacht. Dicht ist das Netz der Abhängigkeiten von Einkommen und Wirtschaftswachstum, Fortschrittsglauben und Identität. Das Ensemble fragt: Was muss getan werden?" (Quelle: hfs-berlin.de)
So [s.o.] geht der Stückplot, den die Dramaturgin Lena Langer auf der HfS-HP veröffentlichen ließ, und außerdem war da noch eine Art von Statement von Andreas Malm, dem schwedischen Humangeographen, Humanökologen, Politikjournalisten und Sachbuchautor, welcher auch als Spezialist zur sachdienlichen Aufdeckung des weltweiten Zusammenhangs von Klimakrise und Kapitalismus Expertise hat, zu lesen:
“Stellen wir uns vor, die öltriefenden Rädchen drehen sich so rasant wie eh und je. Was machen wir dann? Sagen wir uns, dass wir alles in unserer Macht stehende getan haben, die uns zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft haben und schlichtweg gescheitert sind? Kommen wir zu dem Schluss, dass das Einzige, was uns noch bleibt, ist, sterben zu lernen und schlittern am Kraterrand geradewegs hinunter in die drei-, vier-, achtgradige Erwärmung? Oder gibt es noch ein Stadium jenseits des friedlichen Protests?”
Nachtigall, ick hör dir trapsen.
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Leonie Krieg spielte die Tochter des milliardenschweren Geschäftsführers a.D. der außer Kontrolle geratenen Gasfabrik, Gustav Jakob Willbauer den Ingenieur, der sich als einziger mit dem ganzen technischen Kram um die Fabrik und auch den Ursachen und Wirkungen ihres so plötzlichen Gasaustritts auskennt und den seine Chefin loswerden will, auch weil sie die Fabrik loswerden will; und Jakob Gühring spielte den Schreiber, also sowas wie 'nen Pressesprecher von der unbedarften Neu-Chefin, ja und die andern beiden (Anne Eigner und Alvaro Rentz) diverse andre Rollen wie z.B. Arbeiterinnen und Arbeiter; ja und Alvaro tanzte auch noch hübsch und flink - das machte er dann in dem letzten Drittel der besagten Gas!!-Performance, die der angehende Regisseur als stegreifiges Mitmachtheater anlegte; das nervte mich dann allerdings, so wie mich diese Klimakleber nerven, aufs Barbarischste:
Schlussendlich sprangen animierte junge Leute aus dem Publikum hinauf zur Bühne, und dort klebten sie sich so zum Scheine fest; und alle, die beim Aufruf mitzumachen halt dann mitmachten, plapperten lustig-pseudoweises Zeug und freuten sich als potenzielle Klimaretter von dem schnöden Rest der klimaschädlichen und weltzerstörenden (Theater-)Weltgemeinde wahrgenommen worden zu sein.
Und ausgerechnet dieses dritte Drittel jener Gas!!-Performance tat sich - jedenfalls für mich - vollumfänglicherweise AUSSER KONKURRENZ verselbstständigen - - andernfalls hätte ich sie nämlich anstatt mit 5 nur noch mit einem Katastrophen-K benoten müssen.
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Gas!! an der HfS Ernst Busch | Foto (C) Robin Wolf; Bildquelle: hfs-berlin.de
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Andre Sokolowski - 20. Mai 2023 ID 14206
GAS!! (HfS Ernst Busch UNTEN, 19.05.2023)
nach Georg Kaiser
Mit freundlicher Unterstützung von Andreas Malm, Greta Thunberg, der Letzten Generation, Roy Scranton & dem IPCC
Regie: Max Radestock
Bühne: Alma Meng
Kostüme: Bina Zinsmeister
Musik: Nico Mohammadi und Manuel Thielen
Video: Nathalie Rosenbaum
Dramaturgie: Lena Langer
Mitarbeit Bühne: Anna van der Veen
Mitarbeit Regie: Hristiyana Zafirova und Martina Maddaus
Es spielen: Anne Eigner, Jakob Gühring, Leonie Krieg, Alvaro Rentz und Gustaf Jakob Willnauer
Premiere war am 11. Mai 2023.
Weiterer Termin: 20.05.2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.hfs-berlin.de
https://www.andre-sokolowski.de
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