Widerstand gegen
allmächtige
Autoritäten
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Der gefesselte Prometheus mit dem Ton und Kirschen Theater | Foto (C) Jean-Pierre Estournet
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Bewertung:
Seit einem Jahr ist das Ensemble des in Glindow beheimateten Ton und Kirschen Theaters schon mit ihrer Open-Air-Produktion Der gefesselte Prometheus auf Tour. Die Inszenierung der dem griechischen Dichter Aischylos zugeschriebenen antiken Tragödie ist nun wieder in der Region Berlin/Brandenburg zu sehen - so unter anderem am letzten Wochenende bei den Schirrhofnächten in Potsdam:
Der antike Mythos des Titanen Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte und den Gottvater Zeus als Strafe dafür in Ketten an einen Felsen im Kaukasus schmieden ließ, ist allbekannt und viel rezipiert. In Aischylos‘ Tragödie tritt Prometheus als Wohltäter der Menschen und Widerständler gegen die Willkür des neuen Herrschers auf dem Olymp auf. Von den Handlangern des Zeus an den Gott des Feuers und der Schmiedekunst Hephaistos übergeben, wird er von diesem recht widerwillig an den Fels geschmiedet. Im Laufe der Handlung besuchen ihn Gott Okeanos und seine Töchter als Fürsprecher und Tröster. Die von Zeus begehrte und als Tarnung vor seiner Ehefrau Hera von ihm in eine Kuh verwandelte Königstochter Io kommt auf der Flucht vor einer von Hera gesandten Bremse vorbei. Sie klagt Prometheus ihr Leid und bekommt von ihm ihr weiteres Schicksal geweissagt. Schließlich erscheint noch der Götterbote Hermes und fordert Prometheus auf ihm zu verraten, durch wen Zeus seine Macht verlieren wird. Als dieser das verweigert, ereilt ihn eine weitere Strafe des obersten Gotts. Er wird durch ein Erdbeben in den Hades verbannt.
Der Fortgang der Geschichte ist ebenfalls bekannt. In 13. Generation der Nachkommen Ios‘ wird der Halbgott Herakles geboren, der als eine von zwölf Aufgaben erst den Adler, der täglich die Leber des Prometheus frisst, mit dem Bogen tötet und diesen dann von seinen Ketten befreit. Das allerdings ist nicht Bestandteil der Tragödie des Gefesselten Prometheus, die von Ton und Kirschen in eine einstündige Fassung aus mehreren vorliegenden Übersetzungen gebracht wurde. Der Text bleibt dabei verständlich, hat aber nichts an Poesie eingebüßt. Man sieht also keine der am Theater üblichen modernen Überschreibungen, sondern einen recht werkgetreuen aber mit den üblichen Mitteln des Ton und Kirschen Theaters aus Live-Musik-Begleitung, choreografiertem Bildertheater und Marionettenspiel in Szene gesetzten Abend, in dessen Mittelpunkt eine überlebensgroße Puppe steht.
Auf einer Karre wird anfangs diese Puppe herangefahren. David Johnston als Zeus-Knecht befiehlt Nelson Leon, der den Gott Hephaistos gibt, den Frevler Prometheus an den Felsen zu schmieden. Den Kaukasus stellen Wände aus Holz dar. Die noch leblose Prometheus-Puppe wird auf einem Podest mit aufragendem Holzgerüst angekettet und an Seilen hochgezogen. Daisy Watkiss führt die Gliedmaßen und den Kopf des Gefesselten, während Margarete Biereye ihm ihre Stimme leiht. Diese Spielidee erweist sich als grandios. Der hohe Tragödienton der Vorlage wird so künstlich gebrochen, ohne dass diese Transformation die Poesie der Vorlage zerstört. Eher im Gegenteil. Die Puppe bleibt im Zentrum des Geschehens, während sich das Ensemble tänzelnd als Chor der Okeaniden, oder wechselnd als andere Figuren der Tragödie wie die gehörnte Io (Joséphine Auffray) um sie herumbewegt.
Es gibt viele schöne und teilweise auch witzige Einlagen, wenn z.B. Gott Okeanos (David Johnston) auf seinem Greif heranreitet, den Nelson Leon mit kleinen Flügeln und großem Schnabel spielt. Rob Wyn Jones gibt als Hermes steif im Anzug noch den opportunistischen Vollstrecker des Tyrannen Zeus. Mit viel rotem Licht, Nebel und Budenzauber geht der abtrünnige Gott am Ende unter. Der Ernst des Stoffes wird dadurch nicht geschmälert. Die Tragik des Stücks liegt in dem Schicksal, das Prometheus für die Menschen („Seht an, was ich von Göttern leide, selbst ein Gott!“), aber auch die Menschen selbst ohne eigene Schuld (wie Io) ertragen müssen. Andererseits ist Prometheus auch der Hoffnungsbringer für die Menschen. Da wirkt der Angekettete hier fast schon wie eine Jesusfigur.
Der Mythos des Feuerbringers ist über die Zeit immer wieder neu interpretiert worden. Mal ist Prometheus ein Revolutionär und Fortschrittbringer („Was Menschen wissen, von Prometheus haben sie’s.“), mal ein Robin Hood oder tragischer Held, der sich aus verletztem Stolz trotzig gegen die Götter stellt. Hier aber nicht nur den bestraften Abweichler zu sehen, sondern auch einen heutigen politischen Gefangenen in einem repressiven System liegt auf der Hand, ohne dass es explizit gezeigt oder ausgesprochen werden muss. All das greifen Text und Inszenierung auf. Die antike Tragödie um Götterwillkür und Strafe für Unbeugsamkeit lässt sich auch heute immer noch recht universell lesen.
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Der gefesselte Prometheus mit dem Ton und Kirschen Theater | Foto (C) Jean-Pierre Estournet
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Stefan Bock - 24. August 2022 ID 13764
DER GEFESSELTE PROMETHEUS (Schirrhof Potsdam, 20.08.2022)
von Aischylos
Künstlerische Leitung: Margarete Biereye & David Johnston
Bühnenbild und Licht: Daisy Watkiss
Konstruktionen: Regis Gergouin, Nelson Leon und Daisy Watkiss
Gastspielmanagement: Catherine Launay
Mit: Joséphine Auffray, Margarete Biereye, Francesco Bifano, David Johnston, Rob Wyn Jones, Nelson Leon und Daisy Watkiss
Premiere war im August 2021 beim Prignitz Sommer
Weitere Termine: 24., 25., 26., 27.08.2022 (in der ufafabrik Berlin)
Eine Kreation des Ton und Kirschen Theaters
Weitere Infos siehe auch: https://tonundkirschen.de/
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