Faust als
Straftäter
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Grafik: Dirk Trageser
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Bewertung:
Zum 275. Geburtstag Johann Wolfgang von Goethes bringt das GEFÄNGNISTHEATER aufBruch sein wohl bedeutendstes Stück auf die Gustav-Böß-Freilichtbühne in der Jungfernheide. Goethes Faust ist die vierte Produktion in Kooperation mit dem Kulturbiergarten Jungfernheide. Es spielt wie in jedem Jahr wieder ein gemischtes Ensemble aus Freigängern, Ex-Inhaftierten, SchauspielerInnen und Berliner Bürgern unter der Regie von Peter Atanassow. Er hat Goethes Faust-Figur als rauschbesessenen und gewaltbereiten Menschen entdeckt. Faust wird aus Ehrgeiz und Gier zum Straftäter. In jedem steckt so ein Stück Faust, immer auf der Suche nach dem ultimativen Kick und in Gefahr zu weit zu gehen.
Regisseur Atanassow versetzt Goethes Original zur Untermauerung noch mit weiteren Texten aus der Weltliteratur, die in kurzen Zwischenspielen vorgetragen werden. Etwa aus Rolf Hochhuts Tod eines Jägers über die letzten Stunden von Ernest Hemingway. Ein Bekenntnis zum unbändigen Drang nach Bewegung. Ein Urtrieb des Menschen, den auch Ernst Jünger in Das abenteuerliche Herz beschrieb. Weitere Belege für den Drang des Menschen nach Rausch, Zerstörung und Selbstvernichtung finden sich in Irwine Welschs Drogenroman Trainspotting oder in Elfriede Jelineks Stück Ulrike Maria Stuart. Ansonsten bleibt die Handlung nah an Goethes Urfaust und Faust I.
Doch es beginnt ganz klassisch im Original mit dem Vorspiel im Himmel. Gottvater und Engel stehen auf den Stahlgerüsten, die Holger Syrbe in den mit viel Grün überwucherten Innenraum der Freilichtbühne gebaut hat. Zu ihnen gesellen sich gleich drei Mephistos, ganz in Rot gespielt von Maja Borm, Nehad Fandi und Sadam. Und auch in der Studierstube steht zunächst ein ganzer Faust-Chor aus dem sich später mit Christian Krug, Jimmy Juma und Max Sonnenburg drei Spieler herauskristallisieren. Dieses Spiel drei gegen drei macht nicht nur beim Unterzeichnen des Kontrakts Eindruck. Auch Volkes Stimme wird beim Osterspaziergang viel Raum gegeben mit Prozession und Wirtshausgetümmel. Besonders gelungen ist der Zwischenstopp von Faust und Mephisto in Auerbachs Keller, wo sich das Volk beim Wein zu Michael Holms Fiesta Mexicana vergnügt.
Goethes Faust als rauschhafter Theatergenuss mit viel Gesang und Tanz. Ein Tänzchen ganz anderer Art führt Mohamad Koulaghassi auf. Wieder als aufdringlicher Chor in Soldatenmänteln (Kostüme: Haemin Jung) biete Faust dann Gretchen (Juliette Roussennac) sein Geleit an. Da ist die Richtung klar abgesteckt. Faust treibt Mephisto an ihm zu Diensten zu sein, um Gretchen zu gewinnen. Die Geschichte nimmt dann mit Nachbarin Marthe Schwerdtlein (Maja Borm) auch ihren bekannten Lauf. "Nach Dich zu lieben" singt der Chor "Wer wird den weinen, wenn man auseinander geht". Faust wird zum Täter an Gretchen und ihrem Bruder Valentin (Özcan). Ausbaden muss er es bekanntlich nicht. Die Schlussworte gehören Elfriede Jelinek mit einem Text aus ihrem RAF-Drama: "Nur keine Sorge. Richten werde ich mich schon selber", widerspricht Gretchen Mephisto. So anregend und dazu noch unterhaltsam hat man Goethes Faust schon lange nicht mehr gesehen.
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Goethes Faust mit dem Gefängnistheater aufBruch | Foto (C) Mark Schulze Steinen
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Stefan Bock - 31. August 2024 ID 14893
GOETHES FAUST (Gustav-Böß-Freilichtbühne in der Jungfernheide, 28.08.2024)
Regie: Peter Atanassow
Bühne: Holger Syrbe
Kostüme: Haemin Jung
Dramaturgie: Franziska Kuhn und Hans-Dieter Schütt
Einstudierung Gesang: Vsevolod Silkin
Produktionsleitung: Sibylle Arndt
Es spielt ein gemischtes Ensemble aus Freigängern, Ex-Inhaftierten, SchauspielerInnen und Berliner Bürgern: Andreas Thomas, Baker, Christian Krug, Jimmy Juma, Juliette Roussennac, Maja Borm, Matthias Blocher, Max Sonnenberg, Mohamad Koulaghassi, Mladen S., Nehad Fandi, Özcan, Oliver, Sadam, Steffen.
Premiere war am 28. August 2024.
Weitere Termine: 31.08./ 01., 04.-07., 11.-14.09.2024
Eine Open-Air-Theaterproduktion von aufBruch in Kooperation mit dem Kulturbiergarten Jungfernheide
Weitere Infos siehe auch: https://www.gefaengnistheater.de/
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