„Ein Sprung im Bild“
Sebastian Blasius und sein Team versuchen sich im Ballhaus Ost bei SCHIFFBRUCH MIT ZUSCHAUENDEN in fünf Etüden an einem unsouveränen Theatermodel
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Bewertung:
Während das konventionelle Theater angeblich um wegbleibende ZuschauerInnen ringt, wird in der Freien Szene am Berliner Ballhaus Ost mit alternativen Theaterformen experimentiert. „Ist das westliche Theater noch zeitgemäß?“ ist die Frage, die Regisseur Sebastian Blasius und sein Team bewegt. Ihr Projekt Schiffbruch mit Zuschauenden (Fünf Etüden) beschäftigt sich laut Ankündigung „mit der Möglichkeit, die Konstituenten einer theatralen Aufführung (wie Zeitlichkeit, Raum, Subjektverständnis, Bildkomposition) und die ihnen innewohnenden Praktiken zu rekonfigurieren. Die Ausgangsthese lautet, dass man als Theaterschaffende:r in der Realisierung einer Aufführung oft hegemoniale Prinzipien unserer Kulturgeschichte fortschreibt - und zwar in der Weise, in der man von den Konstituenten einer Aufführung Gebrauch macht. Hiesige gängigen Praktiken implizieren, so die Annahme, zumeist Mechanismen, die sich mit Macht und Souveränität assoziieren und insofern als Politikum gelten können“. Man muss das vorausschicken, um überhaupt annähernd verständlich machen zu können, worum es in dieser Aufführung gehen soll. Theater mit Beipackzettel also.
Das klingt dann aber zunächst doch recht theoretisch. Regisseur Sebastian Blasius ist außerdem Choreograph und Theaterwissenschaftler und realisiert Projekte an der Schnittstelle von darstellender, bildender und akustischer Kunst. Für das Ballhaus Ost hat er gemeinsam mit dem Dramatiker Björn SC Deigner und dem Bühnenbildner Caspar Pichner eine Art Modelaufführung geschaffen, die den oben erwähnten gängigen Theaterpraktiken möglichst aus dem Weg gehen will. Ein „Theater des Unsouveränen“ soll so entstehen. Die Schiffbruch-Metaphorik im Titel, der sich grob am Buch Schiffbruch mit Zuschauer des Philosophen Hans Blumberg orientiert, birgt eigentlich schon das Ergebnis dieses Versuchs in sich. Scheitern mit Ansage vor Publikum könnte man das auch nennen.
Die Inszenierung versucht also, möglichst alles zu vermeiden, was sie als herkömmliches Theater kennzeichnen könnte. Einen Text, eine Bühne und DarstellerInnen gibt es dann doch. Und, nun ja, gespielt wird auch. Allerdings ist das Performance-Team Katja Gaudard, Hauke Heumann, Johanna Ackva, Katharina Shakina und Jens Lamprecht eher bemüht, jegliche nachvollziehbare dramatische Handlung zu verhindern. Der Text von Björn SC Deigner orientiert sich an einem Klassiker des humanistischen Theaters, der Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang von Goethe. „Und an dem Ufer steh' ich lange Tage, / Das Land der Griechen mit der Seele suchend“. Das Ufer der „barbarischen“ Taurer liegt im nördlichen Schwarzen Meer auf der heutigen Krim. Da ist das Thema natürlich gesetzt. Es geht im Groben um Krieg, Flucht und das Finden einer neuen Heimat.
Zeit, Raum und das Bewegen im Raum sind natürlich auch Thema der theatralen Annäherung an den Stoff. Caspar Pichner hat dazu die Wände des Bühnenraums mit weißen Tüchern abgedeckt. Es entsteht so ein relativ neutraler Raum, der den Blick nicht ablenkt oder die Inszenierung bildnerisch unterstützt. Die PerformerInnen bewegen sich darin stark choreografiert. Es erfolgt streng genommen keine Bebilderung des Textes, sondern eine gänzlich autonom zum Text stehende Darstellungsweise. Das sind zumeist Bewegungsabläufe aus dem klassischen und modernen Tanz, oder ein Abschreiten der Bühne in vorgegebenen Mustern. Dabei zeigen die PerformerInnen symbolisch Gegenstände wie eine Quitte, Weintrauben, einen Schädel, einen zerbrochenen Krug oder einen Fisch. Chorsich gesungen wird auch. Zunächst streng am klassischen Drama Goethes orientiert, versucht der Text Deigners sich später in Behördensprache bei der Beschreibung der europäischen Flagge nach dem Pantone-Farbsystem und kommt dann bei der Bildbeschreibung einer Küste wie bei Heiner Müller an.
Das wirkt wie eine fast schon zynische Parodie auf das althergebrachte Theater der Deklamation und darstellerischen Bedeutungshuberei. Wirklich neu oder experimentell sind die eingeübten Bewegungsmuster aber auch nicht. Man fühlt sich wie in Performances der Zwanziger Jahre versetzt. Die Nähe zur darstellenden Kunst ist nicht zu verleugnen. Als wolle man hier nach Beuys dem toten Hasen die Bilder erklären, oder ein paar One Minute Sculptures von Erwin Wurm nachstellen. So ein museales Setting gibt es dann auch in einer der 5 Etüden, die dann auch noch den Abgesang an den Zuschauer propagiert. „Es gibt kein Publikum. Es schaut keiner zu.“ Leider ist dem nicht so. Den aktuellen Theaternarrativen von Kolonisationskritik und dem Gründungsmythos Europas, der auf einer Vergewaltigung beruht (dramatische Beispiele dafür gibt es genug), setzt das Performance-Kollektiv keine wirklich alternative Ästhetik entgegen. Eine „Operation am offenen Herzen des Theaters“ sollte das sein. Es bleibt zu hoffen, dass es dem Patienten bald wieder besser geht.
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Schiffbruch mit Zuschauenden am Ballhaus Ost | © Sebastian Blasius
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Stefan Bock - 27. November 2022 ID 13933
Schiffbruch mit Zuschauenden (Fünf Etüden) | Ballhaus Ost, 25.11.2022
Regie: Sebastian Blasius
Text: Björn SC Deigner
Raum: Caspar Pichner
Assistenz: Melina Brinkmann
Performance: Katja Gaudard, Hauke Heumann, Johanna Ackva, Katharina Shakina und Jens Lamprecht
Premiere war am 24. November 2022.
Weiterer Termin: 27.11.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.ballhausost.de/
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