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Wenn das Opfer

selbst schuld

ist



Weil du mir gehörst von Burchard Dabinnus - im TamS Theater | Foto (C) Severin Vogl

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Das ist eine traurige „true-crime-story“: Winfried B. hat Saskia, die Cousine des Autors Burchard Dabinnus, 2013 in ihrer Wohnung erstochen. Verurteilt wurde er wegen Totschlags. In der Begründung des Landgerichts Traunstein heißt es sinngemäß: Aus Mangel an Zeugen konnte nicht ausgeschlossen werden, dass das Opfer den Täter zuvor beleidigt hatte. Das sei eine wasserdichte Begründung der Strafe für eine „Beziehungstat“ ohne Zeugen. Der Justiz stünden leider keine anderen Formulierungen zur Verfügung.

Dabei war Saskia nicht das einzige Opfer. Buchard Dabinnus recherchierte weitere „Beziehungen“ des Täters und stieß auf einen zweiten Mord. 1984 erschoss Winfried B. auf offener Straße in Wien vor den Augen ihres Kindes die Pharmavertreterin Konstantina Ulitsch, die sich seit geraumer Zeit bedroht fühlte, u.a. weil er ihre Wohnung zwei Mal verwüstet hatte, daraufhin verhaftet und wieder entlassen worden war - nachdem ein Psychiater in Wien eine günstige Prognose stellte, obwohl gar keine angefordert wurde.

Vergebens hatte sie die Behörden mehrfach auf die in Finnland und in Paderborn aktenkundigen Gewalttätigkeiten ihres Freundes gegenüber seiner ersten und zweiten Ehefrau aufmerksam gemacht. Diese Vorgeschichten hatte sie selbst herausgefunden. Weder Staatsanwaltschaft noch Polizei reagieren. Verurteilung zu 20 Jahren Gefängnis wegen Mordes, aber die Verteidigung weiß Mitleid zu erregen: „Bedenken Sie, er hat getötet, was er am meisten liebte.“ Überstellung nach Deutschland, Entlassung nach 12 Jahren wegen guter Führung.

Noch im Gefängnis heiratet Winfried die Fotografin Marianne Brenner, nimmt ihren Namen an und verwischt damit seine Spuren. Obwohl die Soziologin Saskia Steltzer von der „Banalität des Bösen“ gelesen hat, glaubt sie an die große Liebe, als sie den Mann kennenlernt.

Auch Buchard Dabinnus hat dem Mörder geglaubt, als er noch am Todestag seiner Cousine mit ihm telefonierte: es sei alles in Ordnung. Dabei hatte Saskias Freundeskreis seit längerer Zeit den Verdacht, dass etwas mit dem Mann ganz und gar nicht stimme. Aber wie eingreifen ohne übergriffig zu werden? Schuldgefühle. Dabinnus ließ die Geschichte nicht los. Hätte man wenigstens Saskias Tod verhindern können? Er recherchierte zusammen mit der Journalisten Tatjana Tamerus den Fall und schilderte das Ergebnis in einem preisgekrönten Radio-Podcast Der Mörder und meine Cousine: Justiz, Behörden und Angehörige haben Gewalt verharmlost und die Frauen im Stich gelassen.

*

Nun hat er es fürs Theater am Sozialamt (TamS) als beeindruckendes und nachdenkenswertes Dokumentarspiel eingerichtet – ergreifend gerade in seiner Schlichtheit. Auf karger Bühne mit ein paar Ordnern, Fotos des Opfers, Bürostühlen, gehen wenige Darsteller*innen auf und ab (Marion Freundorfer, Pia Kolb, Catalina Navarro Kirner, Olaf Becker, Arno Friedrich). Sie wechseln in der straffen Textcollage dramaturgisch geschickt die Rollen. Jeder könnte Täter oder Opfer sein.

Dazu großartig stimmige Live-Musik und Geräusch-Performance (Ardhi Engl).

Nichts lenkt ab von der Frage nach dem „Warum?“. Sie wird auf verschiedenen Ebenen beantwortet. Zunächst mit dem Titel: Weil du mir gehörst. Männlich geprägte Machtsysteme, in Jahrhunderten gefestigt, sind auch in unserer „modernen“ Gesellschaft noch wirksam. Offensichtlich wie in der vergleichsweise milden Beurteilung des Gerichts, im Verständnis von Psychiatern, die von der übergroßen „libidinösen Macht des Opfers“ sogar über den Tod hinaus sprechen - oder auch unbemerkt in einem aggressiven Hintergrundrauschen allgemeiner häuslicher Gewaltbereitschaft.

Unbedingt hingehen und aufmerksam werden! Jeden dritten Tag bringt ein Mann in Deutschland seine Partnerin um.



Weil du mir gehörst von Burchard Dabinnus - im TamS Theater | Foto (C) Severin Vogl

Petra Herrmann - 30. Oktober 2022
ID 13882
WEIL DU MIR GEHÖRST (TamS, 26.10.2022)
Die Gesichter des Winfried B.

Konzept und Regie: Burchard Dabinnus
Raum: Katharina Schmidt und Marlene Rösch
Licht: Ramona Lehnert
Mit: Marion Freundorfer, Pia Kolb, Catalina Navarro Kirner, Olaf Becker, Ardhi Engl und Arno Friedrich sowie Ardhi Engl (Live-Musik)
Premiere war am 26. Oktober 2022.
Weitere Termine: bis zum 19.11.2022 (jeweils mittwochs bis samstags)


Weitere Infos siehe auch: https://tamstheater.de/


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