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nachDRUCK # 6

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Tanz

Träume von

großer

Intensität



NW Dance Project mit Ensemble for Somnabulists | Foto © Bynn

Bewertung:    



Suchende Gesten von leiser Theatralik und Zärtlichkeit begleiten sehnsüchtige Blicke. Wechselseitige Zurückweisung wird mit kraftvollen Pirouetten-Drehungen quittiert. Intensität und Spannung liegen in anmutigen, gelenkigen Figuren und Posen der sechs Tänzerinnen und zwei Tänzer.

Das Tanzgastspiels von dem NorthWest Dance Project aus Portland/ Oregon an der Oper Bonn begeistert mit einem Tableau dreier sehr unterschiedlicher Choreographien. WE’RE BACK nennt sich das Programm der zeitgenössischen Ballettcompagnie von der Westküste der USA. Der Titel verweist auf eine Rückkehr nach Zeiten der Pandemie aber auch auf ein weiteres Tanzgastspiel an der Oper Bonn nach einer gefeierten Vorführung im Oktober 2016.

Das erste Stück des Abends, Down to the Garden Path, kreiert von der Gründerin und künstlerischen Leiterin des Ensembles, der Kanadierin Sarah Slipper, wurde erst im Oktober diesen Jahres uraufgeführt. Das etwa 43-minütige Handlungsballett nach dem gleichnamigen Prosawerk des Briten Beverley Nichols (1932) ersetzte kurzfristig die ursprünglich angekündigte Choreographie Hold me tight, let me go.

Eröffnet wird die Performance von sphärischen Klängen von Abel Korzeniowski, die jedoch bald klassischer Musik von Frédéric Chopin weicht. Wogende, transparente Vorhänge symbolisieren am rechten Bühnenende eine Tür und erinnern an ein Landhaus. Die zentrale Protagonistin Natalie (Ingrid Ferdinand) sitzt am linken Bühnenrand auf einem hellen Korbstuhl und wirkt bedrückt. Sie ist unglücklich mit Thomas (Anthony Milian) verheiratet. Das Paar lebt mit der gemeinsamen Tochter Julia (Alejandra Preciado) und Thomas' junger Nichte Sylvie (Quincie Bean) auf einem Landsitz. Natalies Trübsinn hellt sich durch die Ankunft des attraktiven Ethan (Santiago Villarreal) auf, der Julia Nachhilfestunden geben soll. Ethan zieht nicht nur Natalie in seinen Bann, sondern übt auch auf Sylvie große Anziehungskraft aus. Tänzerisch gestenreich wird eine ganze Fülle an Emotionen dargeboten. Gestenreiche und gelenkige wechselnde Liaisons voll Annäherung und Zurückweisung, aufkeimender Leidenschaft und zurückhaltendem Verzagen nehmen im stimmungsvollen Halbdunkel ihren Lauf.

Komische Einlagen lockern die sehnsüchtig gespannte Atmosphäre, wenn etwa eine Tänzerin (Aika Doone) mit einem Eimer über dem Kopf und einem Apfel im Mund über die Bühne stolziert. Die Tänzerinnen und Tänzer lassen Papierflugzeuge von der Bühne segeln, denn aufkeimende Liebe verleiht bekanntlich Flügel. Doch leider gleiten die Papierflieger nicht weit. Bald bricht sich Thomas’ ganze Wut als Natalies eifersüchtiger Lebenspartner mit weiträumigen, energischen Tanzschritten bahn. Unerbittlich verweist er den Verführer des Hauses. Dieser kehrt jedoch zaghaft heimlich zurück. Doch da hat Natalie schon längst einer Rose sämtliche Blüten entrissen. Suchende, theatralische Gesten des Geliebten werden nicht erwidert. Natalie hat sich anscheinend ganz der Unterdrückung ihrer Leidenschaft und der Einsamkeit ergeben. Die dramatische Wirkung des Stückes wird nach kurzem Abschlussapplaus durch ein direkt anschließendes, temporeiches Intermezzo zu Klängen von Nancy Sinatra und Lee Hazlewood aufgebrochen.

Es folgt das circa 11minütige Ensemble for Somnambulists, ein 2006 entstandenes Werk des italienischen Gastchoreographen Luca Veggetti, das vom Somnambulismus, also Schlafwandeln handelt. Die Choreographie beruht auf einem gleichnamigen experimentellen, schwarzweißen, kurzen Stummfilm der US-amerikanischen Avantgarde-Regisseurin, Tänzerin und Filmtheoretikerin Maya Deren aus dem Jahre 1952. Mikrofone hängen in der Luft, in die einzelne Ensemblemitglieder einen Text rezitieren, der einer surrealistischen Novelle von Anaïs Nin entstammt. Dazu wird eine Originalpartitur von Paolo Aralla gespielt. Manchmal nur schemenhaft erkennbar agieren zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer mit langgezogenen, kraftvollen Bewegungen. Sie halten aber auch immer wieder in langen Posen inne und blicken teilnahmslos ins Publikum, während jeweils andere Ensemblemitglieder mit Solos oder Duetten hervortreten. Das Quartett erforscht gesten- und klangreich einen Schwebezustand und eine poetische Halbwelt zwischen Wachheit und Schlafen. In Veggetis dichter Komposition überzeugen die athletischen Leistungen der Tanzenden bei langsamen Bewegungen und komplexen Hebelfiguren wirkungsvoll durch den Anschein schneidiger Leichtigkeit.

Abgeschlossen wird der Abend durch die etwa 21minütige Choreographie Linger (2021) vom Briten Ihsam Rustem, Hauschoreograph beim NW Dance Project. Mittiges Licht wie durch Autoscheinwerfer eröffnet die packende Performance. Rustems Choreografie bebildert fünf Songs der irischen Rockband The Cranberries – neben den Hits "Dreams und Linger" die Songs "Hollywood", "Pretty" und "Electric Blue" – mit packenden Soli, berührenden Duetten und effektvollen Ensembleformationen. Oft tanzt eine Tänzerin oder ein Tänzer dynamisch vor synchronen Ensemblepassagen. Ein visuell kraftvolles, dicht getaktetes Feuerwerk voller Charme und mutigem, eigenständigem Ballettvokabular.



NW Dance Project mit Linger | Foto © Blaine Truitt Covert

Ansgar Skoda - 5. Dezember 2022
ID 13952
Weitere Infos siehe auch: https://www.nwdanceproject.org/


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