Galaxienhaufen
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Angelo Petracca | Foto (C) Björn Gässler
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Bewertung:
Immer (oder meistens) müssen Tanzstück- und Performancetitel englisch sein, was sicherlich auch daran liegt, dass halt der Kreis an Tanz- oder Performancekünstlern oder -künstlerinnen weltdurchwachsen ist und man sich - schon allein aus diesem schlichten Grund - auf eine Sprache konzentriert, die wohl die meisten der Akteurinnen sowie Akteure dieses hochillustren Zirkels kennen und verstehen; und das mag auch vollkommen okay so sein.
Dem Rezipienten werden da natürlich ab und an "Barrieren" aufgebürdet, die rein intellektuell zu überwinden (manchmal) ein Problem bereitet - mir ging 's diesmal so, d.h. dass ich mit Virgo Cluster + Evoke Compose Deploy Listen - jenem von Angelo Petracca ausgedachten Titel seines gleichlautenden Doppelstücks - nicht sonderlich viel anzufangen wusste; daher zog ich meinen texanischen Freund flugs mit ins Boot, dass er mir über Whats App bei der Translation behilflich sein sollte, und justament schrieb er mir das dann hier zurück:
"Der Virgo-Galaxienhaufen ist ein Galaxienhaufen mit mindestens 1300, vermutlich aber über 2000 Galaxien. Er liegt in Richtung des Sternbilds Jungfrau; sein Zentrum ist von der Milchstraße etwa 54 Millionen Lichtjahre entfernt."
Wahrscheinlich hatte er das irgendwo aus einem Online-Lexikon gefischt; "aha", schrieb ich ihm prompt retour, ja und dann meinte er noch, dass der Titel halt nicht ohne einen ganz bestimmten Kontext ein-eindeutig übersetzbar wäre.
Stimmt wohl.
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"Zwei hybride Körper entfalten sich in einem poetischen Rahmen, entscheiden sich für Ehrlichkeit und Intuition, um eine Bewegung zu kreieren.
Diese beiden choreografischen Arbeiten markieren einen künstlerischen Höhepunkt im Schaffen von Angelo Petracca.
Ausgangspunkt ist, Hypothesen einer Produktion auf die Bühne zu bringen, Entwürfe, bei die Dynamik unterbrochen wird. Ein nie endender kreativer Prozess wird auf die Bühne gebracht; das Gefühl der Unvollständigkeit regt die Fantasie des Publikum an.
Angelo sucht nach Methoden, die die Hybridisierung zwischen Realität und Fiktion, Intuition und Erwartung ermöglichen. Durch die Verwendung archetypischer Bilder bringen die beiden Choreografien eine starke Körperarbeit auf die Bühne und weisen auf eine mögliche neue Art der Bewegung hin."
(Quelle: ackerstadtpalast.de)
Und das [s.o.] macht mein Dechiffrieren freilich auch nicht leichter.
Aber gut, geschenkt.
Was sah ich, und was hörte ich??
Giuliana Nanna, die das erste Stück performte, stak in einem schwarzen Ganzkörpertrikot (einschließlich Kopf!) und stand dann erst mal eine Weile nur so da und drückte mit den Armen und den Händen so was aus, als wäre sie ein Baum gewordnes Menschen- oder menschenähnlich aussehendes Wesen. Eine Art von Daphne in Black. Sie hatte übrigens eine kleine Glaskugel bzw. eine etwas größer geratene Murmel bei sich; wahrscheinlich ließ sie sie am Anfang fallen, oder sie kam mit ihr auf die weiße Tanzfläche gerollt... Die Tontechnik ließ sphärische und/ oder atmosphärische Musik von XVIIII Produktion Interno5 über die Boxen zu uns niederspülen; und man wusste nicht so recht, ob es im Assoziationsbereich unserer Daphne in Black oder in dem des von ihr kurzentschlossen "eingenommenen" Planeten aus dem hinlänglichen Galaxienhaufen gemeint gewesen war. Klang aber ziemlich gut-galaktisch. Dann lag da noch ein selbstleuchtender grüner Riesenstrohhalm, den Daphne in Black für sich entdeckte und mit dem sie spielte und jonglierte. Und so endete auch schon ihr Poesievollsein auf einem für sie irgendwie bemerkbar fremden Boden...
Im zweiten Stück lernen wir Angelo Petracca, der das selbst performte, als einen viel erdnaheren Mitbürger unserer aller Mutter Erde kennen - jedenfalls viel erdnaher als unsere Daphne in Black von vorher. Und so trägt er einen schwarzen Overall, betritt die Tanzfläche und komplettiert mit schwarzem Klebeband die Zeichnung eines Drudensterns; auch schickt er sich gleich an paar Töne aus 'ner Blockflöte hervorzubringen, was ihm irgendwie nicht gut gelingen will, macht nix, er lässt es halt dann bleiben... Dann befreit er sich von seinen Turnschuhen und seinen Sportsocken, die er fein säuberlich in seine Turnschuhe hineinsteckt, und macht einen Satz mitten hinein ins Zentrum von dem Drudenstern. All das - so wie bei Giuliana vorher - unter Klangzutuung sphärischer und/ oder atmosphärischer Couleur. Das Beste und zugleich Sympathischste bei Angelos Performance mit dem Jungen in dem Overall ist, wie er jenem menschlich beikommt: mit Lächeln, traurigem und leidendem Gesicht, mit Fratzenziehen, Zungerausstrecken und einem In-sich-Rumgebrabbel; schließlich steigt er aus dem Overall und holt aus einem Kästchen hinter sich ein buntes Strickmützchen mit imitierten Strickhörnern, was wiederum den Querverweis zum Drudenstern am Anfang herstellt - - ja, wir sehen und wir hören, dass der so betörend schöne Junge im und ohne Overall womöglich schizophren, auf alle Fälle aber "leicht gestört" zu sein scheint. Doch das alles tut dem Ganzen letztlich keinen Abbruch, nein, im Gegenteil: Die Menschenzeichnung sowie -darstellung wirkt sehr, sehr, sehr, sehr warm.
Hat mir gefallen.
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Giuliana Nanna und Angelo Petracca stellen ihre zwei Performances Virgo Cluster + Evoke Compose Deploy Listen bei Youtube vor | Screenscot: KE
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Andre Sokolowski - 13. Februar 2022 ID 13455
VIRGO CLUSTER + EVOKE COMPOSE DEPLOY LISTEN (Ackerstadtpalast, 12.02.2022)
Choreographie und Regie: Angelo Petracca
Perfomance: Giuliana Nanna und Angelo Petracca
Musik: XVIIII Produktion Interno5
Premiere war am 12. Februar 2022.
Weiterer Termin: 13.02.2022
Unterstützt von TraumaBarundKino
Weitere Infos siehe auch: https://ackerstadtpalast.de/
https://www.andre-sokolowski.de
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