Nicht das Leid,
sondern seine
Darstellung berührt
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Daniel Stock als Macheath, genannt Mackie Messer, in Die Dreigroschenoper am Theater Bonn | Foto © Bettina Stöß
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Bewertung:
“Denn die einen sind im Dunkeln,/ Und die anderen sind im Licht/ Und man siehet die im Lichte/ Die im Dunkeln sieht man nicht.”
Bekannte Zitate aus Die Dreigroschenoper [s.o.] sind geflügelte Weisheiten, die heute mehr denn je gelten: Wenige vermögende Menschen besitzen einen Großteil der Ressourcen der Welt. Sie vereinen somit viel Macht und Aufmerksamkeit auf sich. Dieses Ungleichgewicht berücksichtigt auch ebenjener Klassiker des modernen, epischen Theaters, der im Londoner Stadtteil Soho spielt.
Die Premiere im Berliner Theater am Schiffbauerdamm war 1928 ein Höhepunkt der gemeinsamen Arbeit des damals 29jährgen Komponisten Kurt Weill, des 30jährigen Dramatikers Bert Brecht und seiner gleichaltrigen Mitarbeiterin und Übersetzerin Elisabeth Hauptmann. Brecht nannte seinerzeit selbst einige Quellen seiner Dreigroschenoper nicht und räumte auf eine Kritik hin eine eigene „Laxheit in Sachen geistigen Eigentums“ ein. Das Theater Bonn würdigt den Fakt, dass Brecht-Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann die Idee zur Dreigroschenoper hatte, die Textvorlage des Engländers John Gay übersetzte und einen Großteil des Stückes selber schrieb, indem es sie offiziell überall als Miturheberin nennt.
Das Musiktheater-Werk steht seit 1928 mit Unterbrechung während der NS-Diktatur auf den Spielplänen zahlreicher Theater, heute auch wieder anlässlich des 125. Geburtstages von Kurt Weill. Am Theater Bonn inszeniert Hausregisseur Simon Solberg das Opus um Macht, Verbrechen und Korruption in einer unsozialen Welt des Kapitalismus:
Verschiebbare metallene Treppenbauten und bewegliche zweistöckige Gerüste erinnern im Bonner Opernhaus an Bauten der Unterwelt im Londoner Soho. Handlungsorte sind mal eine Fabrikhalle, ein Bordell oder ein Gefängnis. Das neutral dunkle Dekor wird rot und gelb von hinten angestrahlt. Bühnenbildner Harald Thor hat zentral im Bühnenhintergrund mittig Scheinwerfer kreisrund angeordnet (Licht: Boris Kahnert). Das klein besetzte Beethoven Orchester Bonn spielt unter der Leitung von Daniel Johannes Mayr. Über den Orchestergraben ist ein Steg platziert, auf den sich einzelne Figuren bewegen, auch um hier in direkten Blickkontakt mit dem Publikum zu treten.
Die Dreigroschenoper handelt von dem Bettlerkönig Jeremias Peachum, der das Elend in der Welt vermarktet, ohne irgendetwas an diesem Elend ändern zu wollen. Er überlegt sich, wie er die Elenden so elend aussehen lassen kann, dass sie die Menschen rühren. Peachum zweifelt an, dass die wenigen anrührenden Bibelsprüche nach einigen Wiederholungen die Herzen der Spender noch erreichen. Er kommt zu dem Schluss, dass nur Künstler den Menschen noch rühren. Brecht selbst behauptete, dass Armut niemanden berührt, sondern dies nur die Kunst vermag.
Das Personal des Dramas besteht aus so genannten “Asozialen”: Gangster, Zuhälter, Trinker, Bettler, Huren, Betrüger und korrupte Polizisten bevölkern die Bühne. Es wird das Geschäftsleben, die Käuflichkeit und Ausbeutung, die Erpressung mit Not und Unterdrückung am Rande der bürgerlichen Gesellschaft porträtiert.
In der Oper Bonn trägt Özgür Karadeniz als Peachum Frack und Zylinder (Kostüme: Christina Schmitt). Er ist sichtlich wenig beeindruckt vom angehenden Bettler Münz-Matthias (Alois Reinhardt), der ehrgeizig und gelenkig Turnübungen vorführt und sogar einen Salto schlägt. Peachums Frau Celia (Marion Kracht) zeigt sich im Leopardenkostüm. Sie wird als desillusionierte Alkoholikerin gezeichnet, wenn sie regelmäßig lustvoll Flaschen mit Alkoholika entleert. Die gemeinsame Tochter Polly (Julia Kathinka Philippi), die Prostituierte Spelunken-Jenny (Imke Siebert) und die vermeintlich schwangere Lucy Brown (Marie Heeschen), junge Frauen der Halbwelt, tragen Mini-Röcke.
Ein Konkurrenzkampf entspinnt sich zwischen dem scheinheilig-skrupellosen Bettlerkönig Peachum und dem muskelbepackten, draufgängerischen und proletenhaften Gangster Machheath (Daniel Stock), genannt Mackie Messer. Machheath mordet und raubt, wird jedoch von seinem besten Freund, den obersten Sheriff von London, Tiger Brown (Timo Kählert), geschützt. Als Macheath eine Affäre mit Peachums Tochter Polly beginnt, bestechen Peachum und seine Frau die Prostituierte Jenny, ihren vermeintlichen Schwiegersohn an die Gesetzeshüter zu verraten. Sobald sie ihn wieder im Bordell antrifft, soll er dingfest gemacht werden. Peachum droht Tiger Brown zeitgleich, wenn Machheath nicht eingesperrt würde, würden er und seine bettelnde Gefolgschaft die anstehende Krönung der Königin stören.
Die live gespielte Musik vereint eine Mischung unterschiedlicher Stilrichtungen, wie Jazz, Balladen, Moritaten, Unterhaltungsmusik, oder parodistische Verweise auf die Oper. Die Akteure schillern bei den schmissigen Songs, die mit Mikrofon-Headsets dargeboten werden. Zeilen wie „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!“ haben hohen Wiedererkennungswert. Höhepunkte sind der Haifischsong, der Kanonensong und das Lied der Seeräuber-Jenny, wenn Julia Kathinka Philippi das „Schiff mit den acht Segeln“ preist. Philippi und Marie Heeschen begeistern später mit ihrem Duett „Komm heraus, du Schönheit von Soho“, wenn sie als Polly und Lucy miteinander um Mackie Messer konkurrieren. Imke Siebert als Spelunken-Jenny und Daniel Stock als Machheath ergänzen sich während der bitteren Zuhälterballade. Freche und unbarmherzige Schlager behandeln auf zynische Art materielle und soziale Probleme in der Gesellschaft und eine Bereicherung an Armut. Freude ist scheinbar oft nur durch Geld erwerbbar und wird in Exzessen genossen.
Auch in den Monologen wird der moralische Wertekanon effektvoll hinterfragt: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?“ Brechts/ Weills Werk beschreibt mit den balladesken Songspielen und trockenen Versen Werteverlust, Entfremdung und eine Sinnkrise in der modernen Industriegesellschaft und zeigt eine Lust an Anarchie und Destruktion in Konkurrenzgesellschaften auf. Mit Armut, Güte und Schlechtigkeit wird kokettiert. Mackie Messer wird schlussendlich mit einer unbarmherzig sich herauskristallisierenden Pseudo-Moral der Gesellschaft konfrontiert und von vermeintlichen Freunden und Partnerinnen fallen gelassen.
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2022 inszenierte noch Volker Lösch Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny ein ähnliches Werk vom Duo Brecht & Weill an der Oper Bonn, damals als bunte Vision vor dem zerstörten Ahrtal. Einundzwanzig im Zeitraffer erzählte Szenen bebilderten Momentaufnahmen eines räuberischen Weltverbrauches im Wachstumskapitalismus. Das Drama über grenzenlosen Egoismus, permanenten Tabubruch, Erlebnissucht, Profitmaximierung und Katastrophensucht wurde effektvoll auf die Jetztzeit bezogen. Die Vorführung befragte, wie sich reiche Menschen gegenüber der Armut in der Welt positionieren und wie sich politisch Mächtige an der Armut anderer bereichern. Soziales Tun wurde parodiert und die Akteure entlarvten sich oftmals selber.
Simon Solberg beschreitet in seiner Dreigroschenoper-Inszenierung einen anderen Weg des Umgangs mit den starren und strengen Auflagen der Brecht-Erben und des Verlags hinsichtlich einer Werktreue. Solberg und Dramaturg Jan Pfannenstiel spielen wenig mit Haltungen und Positionen. Der Vorführung fehlt es so etwas an Vielschichtigkeit, mögliche Fragen lösen bei den Zuschauenden wenig aus. Die Zuschauer werden nur einmal direkt, lebendig und auf originelle Art mit einbezogen, wenn Özgür Karadeniz sie als Peachum dazu anhält, beim Lied von der Unzulänglichkeit mit der Zeile „Denn für dieses Leben“ einzustimmen.
Insgesamt überzeugen so vor allem die Akteure mit unterhaltsam-lebendigen Darstellungen oder temperamentvoll-nuancierten Gesangsdarbietungen. Es finden sich übrigens einige aktuelle Bezüge im Programmheft. Verweise etwa auf die neuerliche Ära Trump zeigen hier an, dass ruchloses Verbrechertum zeitlos ist.
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Alois Reinhardt als Münz-Matthias, Daniel Stock als Mackie Messer, Julia Kathinka Philippi als Polly Peachum und Jacob Z. Eckstein als Hakenfinger-Jakob (von links nach rechts) in Die Dreigroschenoper am Theater Bonn | Foto © Bettina Stöß
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Ansgar Skoda – 13. April 2025 ID 15227
DIE DREIGROSCHENOPER (Oper Bonn, 06.04.2025)
Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr
Regie: Simon Solberg
Bühne: Harald Thor
Kostüme: Christina Schmitt
Licht: Boris Kahnert
Dramaturgie: Jan Pfannenstiel
Besetzung:
Macheath, genannt Mackie Messer ... Daniel Stock
Jonathan J. Peachum, Besitzer der Firma »Bettlers Freund« ... Özgür Karadeniz
Polly Peachum, ihre Tochter ... Julia Kathinka Philippi
Celia Peachum, seine Frau ... Marion Kracht
Tiger-Brown, Polizeichef von London ... Timo Kählert
Lucy Brown, seine Tochter ... Marie Heeschen
Die Spelunken-Jenny ... Imke Siebert
Trauerweiden-Walter/ Smith ... Wilhelm Eilers
Münz/ Filch ... Alois Reinhardt
Hakenfinger-Jakob ... Jacob Z. Eckstein
Beethoven Orchester Bonn
Premiere war am 6. April 2025.
Weitere Termine: 20.04./ 10., 29.05./ 01., 08., 17., 19.06./ 03., 09.07.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de
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