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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Der Krieg,

die Gewalt

und das Theater



Cover Programmheft Residenztheater München; Bildquelle: residenztheater.de

Bewertung:    



Es gibt, wahrscheinlich mehrheitlich, Regisseure, die ihre Methoden und Mittel dem jeweils gewählten Stoff anpassen, sie für diesen modifizieren oder sogar neu erfinden. Und dann gibt es Regisseure, die unterschiedlichste Stoffe ihren einmal, meist aus tiefsten ästhetischen Überzeugungen, entwickelten Verfahren gefügig machen. Der Bedeutendste in der jüngeren deutschen Theatergeschichte war wohl Einar Schleef. Urich Rasche, eine Generation jünger als Schleef, gehört auch zu dieser Sorte. Die Beharrlichkeit, mit der er seiner sehr persönlichen Ästhetik seit bald zwei Jahrzehnten treu bleibt, stößt auf bisweilen harsche Ablehnung bei den Anhängern eines psychologisch-realistischen Theaters. Wer eine dezidierte Handschrift, das Primat der formalen Strenge vor der Einfühlung schätzt, wird nicht müde, Rasches Umsetzungen, bei aller scheinbaren Gleichförmigkeit, zu bestaunen. Noch vor einem halben Jahrhundert meinten manche, alle Kompositionen von Johann Sebastian Bach klängen gleich. Werch ein Illtum.

Es ist übrigens interessant: Es gibt kaum einen Regieeinfall, und wäre er noch so bescheiden, der nicht, kaum dass er das Licht der Bühnenwelt erblickt hat, landauf, landab kopiert würde. Ulrich Rasches Methode wurde, soweit ich sehe, von niemandem nachgeahmt. Sie ist sein Alleinstellungsmerkmal.

*

Diesmal also Agamemnon von Aischylos in der Übersetzung von Walter Jens, die die Sprache in unsere Gegenwart holt und zugleich deren „gehobene“ Stilhöhe beibehält. Zurück, nicht zum ersten Mal, zu den Anfängen des europäischen Dramas. Und wer weiß, vielleicht ist Rasche näher dran als all jene, die die griechischen Klassiker aufführen, als wären diese bei Stanislawski oder Lee Strasberg in die Schule gegangen. Premiere hatte die Inszenierung, ehe sie nach München kam, im Juli 2022 am Ursprungsort des Stücks, beim Festival im Antiken Theater von Epidaurus.

Es beginnt mit vier Musikern, die an Marimbas und später an einer Batterie verschiedener Trommeln durchgängig die rhythmisierte Sprache begleiten. Das erinnert an religiöse Rituale in Afrika oder bei den Ureinwohnern Amerikas. Der Chor schreitet, erst als Schattenriss, dann im Halbdunkel unaufhörlich auf der Drehbühne vor und zurück. Den Duktus könnte man als Sprechoper kennzeichnen. Chor und Protagonisten bilden bei Rasche eine Einheit, im Gegensatz zu den Orestien von Peter Stein und Ariane Mnouchkine, die den Kontrast von Chor und Individuum pointierten. Blickkontakt zwischen den Sprechenden findet nicht statt. Sie schauen, meist seitlich, ins Publikum. Vorübergehend spiegeln sich die Bewegungen auf der Bühne in sechs schräg herabhängenden Flächen.

Klytämnestras Mord an Agamemnon wird in blendendes Licht getaucht. Die Rächerin Iphigenies und Rivalin Kassandras sowie ihr Komplize Ägisth – Pia Händler und Lukas Rüppel – treten splitternackt auf, triumphierend, wie ein Vorgriff auf die Elektra von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, deren Opfer sie im zweiten Teil der Trilogie, in den Choephoren, werden.

Rasches Methode verlangt ein erhöhtes Ausmaß an Präzision. Das Ensemblespiel muss bis ins Detail aufeinander abgestimmt sein. Da stört es, wenn eine Frau im Chor, Anna Bardavelidze, dadurch auffällt, dass sie immer etwas zu viel macht, als fürchte sie, man könnte sie übersehen, oder als wolle sie zeigen, dass sie auch in der Disco eine gute Figur machte. Hier, in Rasches Choreographie, beschädigt der Übereifer den Gesamteindruck. Wenn Bardavelidze ihren linken Arm ausschwingt, ist das, wie wenn eine Sängerin in einem musikalischen Chorwerk lauter singt als die anderen Sängerinnen.

Diesem kleinen Einwand zum Trotz, erweist sich der Münchner Agamemnon als Triumph für Ulrich Rasches Methode. Die Fabel ist ja bekannt, und dass der Krieg, in Troja, in der Ukraine, in Israel schrecklich und grausam ist, bedarf wohl keiner Aufklärung, tendiert zur Banalität. Die Medien und die Kommentare der Journalisten und der Zuständigen für Moral und Politik berichten tagtäglich davon. Den Mehrwert auf der Bühne macht die Ästhetik aus. Das hat Rasche begriffen. Auch wenn das manchen gleichförmig erscheinen mag. Es ist weniger gleichförmig als der Horror, von dem die Orestie und ihr erster Teil, Agamemnon, handelt: Krieg, Gewalt, Mord. An einen Fluch über das Haus der Atriden mögen wir Heutigen nicht glauben, obwohl er weniger fantastisch ist als eine jungfräuliche Geburt oder die Hoffnung auf die Wirkung von Gebeten. Er kann nur noch als Metapher verstanden werden. Als eine sehr reale Metapher freilich. Was, wenn nicht ein Fluch, wäre, was jenseits des Theaters in allen Teilen der Welt stattfindet?



Agamemnon beim Athens Epidaurus Festival 2022 - Ensemble | © Patroklos Skafida

Thomas Rothschild - 9. Dezember 2023
ID 14517
AGAMEMNON (Residenztheater München, 08.12.2023)
Inszenierung und Bühne: Ulrich Rasche
Komposition und Musikalische Leitung: Nico van Wersch
Kostüme: Romy Springsguth
Chorleitung: Jürgen Lehmann
Licht: Gerrit Jurda
Dramaturgie: Michael Billenkamp
Besetzung:
Klytämnestra ... Pia Händler
Agamemnon/Chor ... Thomas Lettow
Menelaos/Chor ... Moritz Treuenfels
Bote/Chor ... Niklas Mitteregger und Max Rothbart
Kassandra/Chor ... Liliane Amuat, Anna Bardavelidze, Barbara Horvath und Myriam Schröder
Ägisth/Chor ... Lukas Rüppel
Live-Musiker*innen: Sebastian Hausl, Felix Kolb, Cristina Lehaci und Fabian Strauss
Münchner Premiere war am 8. Dezember 2023.
Weitere Termine: 10., 22., 28., 29.12.2023// 31.01.2024
Koproduktion mit dem Athens Epidaurus Festival


Weitere Infos siehe auch: https://www.residenztheater.de/


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