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Am Königsweg/ Endsieg von Elfriede Jelinek - am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung

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Am Anfang liegt Rauch über den Zuschauerreihen, angestrengte Bewegungsgeräusche sind auf der Bühne hörbar. Augenblicke später entzündet Akteurin Ursula Grossenbacher eine Kerze, und ihre Züge werden sichtbar. Sie spricht zum Publikum hin über eine sogenannte „Nachtmahr“, ein Schreckensgespenst. Ihre Bühnenfigur ergeht sich in mitunter klaren, dann wieder diffuser werdenden Bewusstseinsströmen. Bald ruft eine andere Stimme aus: „Ich kriege mich nicht mehr ein.“ Dann fragt jemand laut: „Jeder ist was wertig, nur was?“ Nach etwa zwei Stunden pausenlosen Schauspiels wiederholt sich das Bild des Theaterrauches über den Zuschauerreihen. Eine sich radikalisierende, weltweit zündelnde politische Stimmung wurde vielstimmig angedeutet. Sie ist brandgefährlich, das lässt ein auf die Bühnenrückwand projiziertes Foto mit flammenden Feuer erahnen. Die Welt steht nicht nur in Kalifornien in Flammen, wo in Hollywood bekannte Hügelketten brennen, mit verursacht durch den Klimawandel, den der amtierende US-Präsident leugnet und lächerlich macht.

Er ist zurück. Er steht für eine Aushöhlung der Demokratie und massiv gespaltene Länder, auch in Europa. Elfriede Jelinek widmete dem amerikanischen Präsidenten ihr Stück, dessen Name trotzdem während der ganzen Vorführung kein einziges Mal erwähnt wird. Verrohung und Fake News grassieren in den Reden des Republikaners, der insbesondere auch auf sozialen Medien hetzt oder Lügen verbreitet. Dicht vorgetragene Textflächen unterbricht Regisseurin Katrin Plötner durch eingespielte laute Musik und kurze Choreographien von Hannes-Michael Bronczkowski. Die Akteure singen „Twitter Twitter Tweet“ und „Tik Tok Tik Tok“ und tanzen ausgelassen dazu (Musik: Johannes Hofmann). Andeutungsreich problematisiert die Aufführung, dass Elon Musk, Chefberater Trumps, der die Plattform x kontrolliert, der AfD hier im aktuellen Wahlkampf jüngst eine Plattform bot, dabei jedoch eigene Geschäftsinteressen hierzulande verfolgt. Milliardäre wie er oder der skrupellose, verurteilte Straftäter Trump stärken menschenfeindliche und autoritäre Kräfte der Neuen Rechten, wenn sie internationale Sicherheitsabkommen in Frage stellen.

Es gibt viel Gegröle und Gegeifer auf der Bühne, während sich die Darsteller in Pose werfen. Ausrufe wie „zurück nach hinten“ betonen die Rückwärtsgewandtheit der Trump-Politik, die unberechenbar reaktionär weltweite Bündnisse gefährdet. Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin verarbeitete ihre Fassungslosigkeit, dass der Entertainer und windige Geschäftsmann mit autokratischen Profil Präsident der USA werden konnte. Sie veröffentlichte ein dazugehöriges Nachspiel, Endsieg (2024), zwei Wochen nach der Wiederwahl Trumps, auf ihrer Website

Das Phänomen der narzisstischen x-Wüteriche im Weißen Haus bildet den Subtext. Jelinek erzählt ihr Drama jedoch aus einem antiken und gleichzeitig zeitgenössischen Blickwinkel. Es enthält alle Ingredienzien einer Tragödie, denn der König wird analog zum antiken König Ödipus betrachtet, der Schuld auf sich lädt. Jelineks Textfläche ohne Absatz birgt absichtsvolle Assoziationsketten. Das gesprochene Wort erzeugt hochphilosophisch oder kalauernd einen gewissen Sog und Atmosphäre: Es ist vom „Wahlgeschenk gratis“ die Rede, wenn es etwa heißt: „Wer unten ist bleibt unten“ oder „Jetzt üben wir Gewalt aus.“ „Streit und Zorn“ sind Trumps Export. Wie im Wilden Westen wird das Recht des Stärkeren postuliert. Denn der Glaube an den starken, weißen Mann scheint ungebrochen. Die Perspektiven verschwimmen, wenn das Alter Ego der Autorin, die Seherin, geblendet wird und so erblindet. Blindheit wird zur Allegorie, als sich Jelinek (verkörpert von Ursula Grossenbacher) selbst als überforderte Seherin einbaut. Die Sehenden der Antike sind bei Jelinek blind, und aus ihren Mündern fließt Blut.

Die Akteure gestalten lebendig eine vorgetragene Blindwütigkeit: Christoph Gummert mimt über die Bühne gehend gestisch ein Hakenkreuz. Christian Czeremnych schwenkt mit aufgesetzter Krone über die Spielfläche schreitend eine große dunkelbraune Fahne. Jelinek erwähnt zu Anfang von Endsieg einen „beschneiten Fels“. Bald bevölkern neben herunterhängenden Pappgebirgsketten kleine, sargähnliche Holzhütten mit aufklappbaren Dächern das Bühnenbild von Bettina Pommer. Dicht bedrängt von fordernd lauernden Akteuren wie Sophie Basse oder Wilhelm Eilers steigt der sich angstvoll krümmende Timo Kählert in eine solche Hütte, aus der er Schmerzensschreie erklingen lässt. Derweil versammeln sich die Umstehenden erleichtert um die Hütte und trällern lieblich eine Melodie. Schließlich tritt Lydia Stäubli sichtlich erregt auf die Bühne und schlägt eine der Hütten krumm und klein. Danach gesellt sie sich sichtbar erfüllt zu den anderen.

*

Es ist ein aggressives, triviales und schräges Entertainment, was lärmend, übertrieben und geschmacklos den Hang zur Selbstinszenierung des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten aufs Korn nimmt. Immer wieder wird die Frage gestellt, ob die Schreiber versagt hätten. Das literarische Manifest der Hilflosigkeit bleibt vage und stimmt ratlos. Die durch starke Darstellerauftritte mindestens in Ansätzen unterhaltsam-vergnügliche Parodie eines Präsidenten problematisiert, dass demokratische Verhältnisse gefährdet sind, wenn der König die eigene Macht durch Gewalt und Ausbeutung schamlos ausnutzt. Seine ökonomischen Interessen gehen auf fatale Weise mit seiner politischen Macht einher.

Die Zeitschrift Theater heute kürte Am Königsweg zum Stück des Jahres 2018. Seither wurde Jelineks Drama nicht nur in Berlin oder Hamburg viel gezeigt. Insbesondere Christian von Treskows Aachener Inszenierung von 2016 zeichnete sich durch großen Ideenreichtum und ein dynamisch sehr präzises, choreographisch ausdrucksstarkes Auf und Ab der Szenerien, pointierte und witzige Dialoge und Monologe und eindrucksvolle Kostüme aus.

In Katrin Plötners Bonner Inszenierung wird viel monologisiert, doch die Szenenabfolge erscheint recht uninspiriert. Ein Spannungsaufbau wird ad absurdum geführt, wenn es im Mittelteil minutenlange Schweigemomente gibt. Die Akteure ergehen sich in schier beliebigen Posen, während sie dichte Gedanken vortragen und mitunter in Zeitlupe synchron vorwärts an die Rampe treten. In Bonn bleibt die Inszenierung so insgesamt trotz guter Akteure recht abstrakt. Am Königsweg geht dabei ohne Pause nahtlos in das Nachspiel Endsieg über.



Am Königsweg/ Endsieg von Elfriede Jelinek - am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung

Ansgar Skoda - 27. Januar 2025
ID 15121
AM KÖNIGSWEG/ ENDSIEG (Schauspielhaus Bad Godesberg, 24.01.2025)
von Elfriede Jelinek

Regie: Katrin Plötner
Musik: Johannes Hofmann
Bühne: Bettina Pommer
Kostüme: Johanna Hlawica
Licht: Thomas Tarnogorski
Dramaturgie: Sarah Tzscheppan
Choreografie: Hannes-Michael Bronczkowski
Mit: Sophie Basse, Ursula Grossenbacher, Lydia Stäubli, Christian Czeremnych, Wilhelm Eilers, Christoph Gummert und Timo Kählert
UA Am Königsweg: Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 03.11.2027
UA Endsieg: Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 07.12.2024
Premiere am Theater Bonn: 24. Januar 2025
Weitere Termine: 02., 08., 15., 20.02./ 01., 12., 28.03.2025


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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