Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Premierenkritik

Theater-

therapie

mit alten

Texten



Antigone am MGT | Foto (C) Esra Rotthoff

Bewertung:    



Die Theaterregisseurin Leonie Böhm ist vor allem für ihre Transformationen klassischer Texte in die Gegenwart bekannt geworden. Diese radikal reduzierten, mit einem meist rein weiblichen Ensemble erarbeiteten Textfassungen werden mit improvisierten Passagen überformt. Dabei ist weniger der Inhalt des Stücks als das Transportieren von bestimmten Emotionen wichtig. Nach NOORRRRAAAAAAAA (nach Ibsens Bühnenklassiker) im Jahr 2021 hat sich Böhm für diese Spielzeit am Maxim Gorki Theater den antiken Tragödienklassiker Antigone von Sophokles vorgenommen. Oft gespielt und neu interpretiert bietet die Tragödie um die Ödipus-Tochter, die gegen das ausdrückliche Verbot König Kreons, ihren Bruder Polyneikes, den gefallenen Angreifer auf die Stadt Theben, bestatten will, vieles an Themen, die auch heute noch für die Bühnenarbeit interessant wären.

Für Böhm birgt das Inszenieren klassischer Texte aber immer auch die Gefahr der Reproduktion von alten Verhaltensmustern wie Gewalt und Hass, Angst und Scham. In einer Form kontrolliertem Probenprozess wird ein sogenannter Soft-Place geschaffen, in dem das Team diese in Genrationen aufgebauten Schamgrenzen abbauen kann. Klingt ein wenig wie Gruppen-Therapie und sieht dann in diesem Fall auch irgendwie so aus. Die Bühne von Zahava Rodrigo wirkt mit ihren schwarzen gerafften Vorhängen wie eine dunkle Grotte oder Höhle, in die König Kreon die widerständige Antigone sperren lässt. In der Mitte befindet sich ein Bassin mit Schlamm, der später noch eine Rolle spielen wird. Aber zunächst wird erst mal ein wenig performt und mit der Live-Musikerin Fritzi Ernst am Keyboard gesungen. „Ja, ich pfeif auf deine Regeln/ Denn du schaust auf mich herab/ Wenn ich auf die Schnauze segel/ Kommen Freundis, die ich hab.“ Klingt etwas infantil, und dann gibt es dazu auch noch einen Spucke-Wettbewerb, bis erste Textteile erkennbar sind. „Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als wir", sagt Lea Dräger. „Als der Mensch“, fügt Eva Löbau hinzu.

Das Schauspielteam, zu dem auch noch Julia Riedler und Çiğdem Teke gehören, sucht dann den Kontakt zum Publikum. „Seht ihr uns? Wir wollen uns reizen, das zu zeigen, was lieber unangerührt in unserem Inneren bliebe.“ Das zieht sich hin. Eine ersichtliche Rollenverteilung gibt es nicht. Ziel soll wohl die Befreiung „aus unserem Felsenhaus“ sein. „Es gibt so viele Übel, die von unseren Vätern und Müttern gekommen sind, die uns nicht erspart bleiben. So viel Leid, so viel/ Angst/ Kränkung/ Scham/ Ohnmacht, die wir nicht selbst wieder erleben.“ heißt es da. Da muss jetzt was getan werden. Aber es bleibt im Großen und Ganzen beim lustigen auch mal selbstironischen Performen vom Überschreiten dieser Schamgrenzen, wozu dann irgendwann auch ein sattes Schlammbad gehört. Nackt oder angezogen, da darf das Ensemble wohl selbst entscheiden. Im Text dazu geht es ums Sterben, um die Angst vorm Alleinsein, um Schande, Fluch und Trauer. Da scheint immer mal wieder der alte Text durch, der ansonsten eher Fragment und Verhandlungssache bleibt.

„Du verstehst mi ned“, singt Julia Riedler. Das wird einem hier auch nicht gerade leicht gemacht. Das Team übt sich eher in Selbstbespiegelung, nur nicht wie man es aus anderen Stückentwicklung am Gorki kennt. Hier werden gegenseitig Wunden geleckt, es gibt eine Geburts-Performance und das gegenseitige Abwischen des Schlamms. Irgendwann steigt Çiğdem Teke kurz aus. „Schreien oder Schweigen/ Ich kann mich nicht entscheiden“, heißt der Song dazu. Da ist man aber selbst schon irgendwie ausgestiegen, während es auf der Bühne weiter „im Zickzack in die Scheiße“ geht. Leider ist das nicht mal unfreiwillig komisch. Der Versuch der theatralen Heilung auf der Bühne mag für therapeutische Zwecke durchaus geeignet sein, als Aufführung vor Publikum ist er eher uninteressant.



Antigone am Maxim Gorki Theater | Foto (C) Ute Langkafel MAIFOTO

Stefan Bock - 18. April 2023
ID 14152
ANTIGONE (Maxim Gorki Theater, 16.04.2023)
Regie: Leonie Böhm
Bühne: Zahava Rodrigo
Kostüme: Laura Kirst
Lichtdesign: Lutz Deppe
Dramaturgie: Tarun Kade
Mit: Lea Draeger, Eva Löbau, Julia Riedler und Çiğdem Teke sowie dem Live-Musiker Fritzi Ernst
Premiere war am 16. April 2023.
Weitere Termine: 21.04. / 14.05.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de


Post an Stefan Bock

Freie Szene

Neue Stücke

Premieren (an Staats- und Stadttheatern)



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:





THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

RUHRTRIENNALE

TANZ IM AUGUST

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)