Nicht
Dürrenmatts
Humor
DER BESUCH DER ALTEN DAME, inszeniert von Nicolai Sykosch
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Der Besuch der alten Dame am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
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Bewertung:
So kann man das nicht machen, Herr Regisseur.
Friedrich Dürrenmatts Neo-Klassiker ist vieles, eine Fabel über die menschliche Gier, eine Abhandlung über Schuld und Sühne, ein Bericht über ein soziales Experiment, und ja, auch eine Komödie.
Aber, mit Verlaub, Herr Regisseur, keine der Art „ich lass meine Protagonisten am Anfang möglichst dämlich aussehen, da kommt der Spaß von ganz alleine“. Wenn man so gründlich falsch abbiegt wie vor der Pause, findet man im Normalfall den Weg nicht mehr zurück in eine dem Stück, dem Autor und auch dem Hause angemessene theatrale Form, da mögen sich einzelne Darsteller noch so abstrampeln, Herr Regisseur, es bleibt verhunzt und wird nicht mehr originell. Statt Gerechtigkeit wird dann Lächerlichkeit zelebriert, und ein Mit-Leid kommt für keine der Figuren auf. Wenn man jede Rolle als Karikatur anlegt, den Rat nehmen Sie bitte von einem Laien an, Herr Regisseur, ist später kein Raum mehr für ernsthaftes Erzählen, auch wenn es nichts mehr zu lachen gibt.
Dabei haben Sie, Herr Regisseur, sich im Programmheft doch sehr klug über den Humor bei Dürrenmatt geäußert. Aber verdammt nochmal, der meinte doch nicht diesen! Nicht diesen schenkelklopfenden, billigen, lauten, bloßstellenden „Humor“, mit dem Sie in den ersten Einstellungen jeder Figur ihre Würde nehmen! Selbst Claire Zachanassian (Anna-Katharina Muck) ist bei Ihnen fast eine Witzfigur.
Dass die Rollen mit traumwandlerischer Sicherheit nahezu durchgängig falsch besetzt waren, ist auch etwas, Herr Regisseur, was ich Ihnen übelnehme, auch wenn Sie da sicher nicht alleine schuld sind. Ausgerechnet zur hundertfünfzigsten Premiere nach Clementinischer Zeitrechnung einige sonst wirklich gute Darsteller*innen so ins Messer laufen zu lassen, grenzt schon an Bösartigkeit. Manche Rollen sind für manche Menschen eben nicht geschaffen, da können die noch so professionell sein.
Ich will das nicht vertiefen, Herr Regisseur, aber ich sah jede*n auf der Bühne schon deutlich besser, selbst die Schauspielstudenten, und das ist mit Sicherheit kein Zufall.
Eigentlich, Herr Regisseur, wurde Ihnen doch ein sehr ordentliches Bühnenbild (von Hansjörg Hartung) hingestellt, das einiges hergegeben hätte. Okay, die Idee mit einer auf das Geschehen herabblickenden Claire, während Alfred in der Manege hampelt, war hübsch, und die Farbe Gelb wurde zielgenau eingesetzt, auch bei den Kostümen. Und die zu Beginn im Städtchen Güllen durchrasenden Züge bildeten eine gute Einfriedung der Situation, spaßig vor allem die Übertönung des Knabenchors zur Begrüßung. Es war also nicht alles schlecht – aber, um im Bilde zu bleiben, die halbherzigen Bezüge zu einer DDR-Historie mit Kindesentzug und Republikflucht verloren sich in der sonstigen Beliebigkeit.
Der eigentliche Kern des Stücks, nämlich die materielle Verführbarkeit von Menschen und deren Fähigkeit, ihr Nachgeben mit einem herbeidefinierten moralischen Überbau zu veredeln, wurde zwar gezeigt, aber so, dass sich garantiert niemand gemeint meinen musste im Saal. Das kam aus einer anderen Welt und war leicht zu verdauen, entsprechend dankbar war der Applaus am Ende. Da haben Sie es sich und dem Publikum recht einfach gemacht, Herr Regisseur.
Die Wandlung des Ill und sein Erkenntnisgewinn über sich und die anderen, ein weiterer Grundpfeiler der Geschichte, war bei Ahmad Mesgarha zwar an sich gut aufgehoben, aber ihm fehlten Raum und Resonanzfläche, weil die anderen Rollen, vor allem Sohn, Polizist und Pfarrer, nur Comicbildchen waren, ich wiederhole mich.
Herr Regisseur, in dem Stück ist noch so viel mehr drin, von der nicht fassbaren Bedrohung, die Ill empfindet und die man auch mit heutigen social media – Bräuchen hätte abgleichen können bis zur Manipulation der öffentlichen Meinung durch die Honoratioren (wo Philipp Lux als Lehrer wenigstens im Prozess erkennbar war) wäre hier einiges möglich gewesen, was eine Vertiefung verdient hätte.
So bleibt für mich, halten zu Gnaden, Herr Regisseur, nur ein belangloser Abend zu bilanzieren, ohne wirkliches Konzept und ohne ernstere Absichten. Das ist für ein Theater der ersten Liga, wo sich das Staatsschauspiel Dresden ja sieht, meist zu Recht, ein bisschen wenig.
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Der Besuch der alten Dame am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
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Sandro Zimmermann - 6. April 2024 ID 14688
DER BESUCH DER ALTEN DAME (Schauspielhaus, 05.04.2024)
Regie: Nicolai Sykosch
Bühne: Hansjörg Hartung
Kostüme: Britta Leonhardt
Lichtdesign: Peter Lorenz und Andreas Barkleit
Dramaturgie: Uta Girod
Musikalische Mitarbeit: David Kosel
Besetzung:
Claire Zachanassian ... Anna-Katharina Muck
Ill ... Ahmad Mesgarha
Ills Sohn ... David Kosel
Bürgermeister ... Hans-Werner Leupelt
Lehrer ... Philipp Lux
Polizist ... Holger Hübner
Pfarrer ... Moritz Dürr
Arzt Dr. Nüßlin ... Willi Sellmann
Hofbauer / Journalist ... Jannis Roth
Sänger des Knabenchores des Heinrich-Schütz-Konservatoriums Dresden
Michael Huth, Bertram Richter, Paul Furkert und Lucas Wille (Tenor)
Georg Dippmann und Richard Mailand (Bass I)
David Gözel und Till Siebert (Bass II)
Musikalische Einstudierung: Matthias Jung
Premiere am Staatsschauspiel Dresden: 5. April 2024
Weitere Termine: 12., 22.04./ 05., 19.05./ 04-06.2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de
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