Vom Trauerfall
zum Trauerspiel
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Das Leben ein Traum in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz | Foto (C) Gordon Welters
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Bewertung:
Eine Woche bevor Johan Simons Fassung von Pedro Calderón de la Barcas Das Leben ein Traum am Thalia Theater Hamburg Premiere feiert, bringt die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz eine Textfassung von Clemens Maria Schönborn mit Sophie Rois in der Rolle des Prinzen Sigismund heraus. Die Premiere musste nach dem plötzlichen Tod von Intendant René Pollesch um eine Woche verschoben werden. Nachdem Sophie Rois im Juni 2023 in René Polleschs Stück Mein Gott, Herr Pfarrer! ihre Rückkehr an die Volksbühne feiern konnte, ist das erst ihre zweite Produktion in der Intendanz Pollesch und nun vermutlich auch ihre letzte. Das Passagen-Werk in einer Inszenierung des Filmregisseurs Max Linz war bereits im Oktober 2022 ersatzlos abgesagt worden. Das entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Das SchauspielerInnen-Team um Intendant Pollesch steht nun vor einer schwierigen Phase, in der wieder einmal eine Interims-Intendanz für die kopflose Volksbühne gefunden werden muss. Einige Namen werden da bereits fleißig gehandelt. Doch zunächst versucht man sich aus der Schockstarre des plötzlichen Verlustes zu befreien.
Das geht natürlich am besten mit einem mutigen Befreiungsschlag auf offener Bühne. Und um eine Befreiung geht es auch in dem 1635 entstandenen Versdrama Das Leben ein Traum. Von seinem Vater, dem polnischen König Basilius, aus Angst, eine ungute Sternenkonstellation würde den Sohn einst zum Tyrannen machen, seit seiner Geburt gefangen gehalten, erhält Sigismund doch noch die Chance sich als guter Herrscher zu beweisen. Basilius betäubt seinen Sohn zuvor, um ihn später, wenn es doch schief gehen sollte, mit der Ausrede, dass alles nur ein Traum gewesen sei, wieder in den Turm werfen zu können. Befreit begeht Sigismund einen Mord an einem Diener und versucht sich mit Gewalt die junge Rosaura gefügig zu machen. Wieder in den Turm gesperrt, wird er später vom revoltierenden Volk befreit und stürzt nun seinen Vater Basilius. Trotzdem mutiert Sigismund zum gerechten Herrscher und alles fügt sich Dank der königlichen Traumlegende zum Guten.
Da steckt neben moralischem Pathos einiges an Komik aber auch existenzieller Weisheit drin. Der freie Wille, die Einsicht zum Guten und ein Kampf der Generationen. Das muss man nicht bierernst nehmen, was an der Volksbühne eh kaum passieren dürfte. Und doch wird zu Beginn recht textgetreulich und pathetisch deklamiert. Ein grünes Gerüst-Ungetüm (Bühne: Barbara Steiner), in dem sich eine Sofa-Ecke mit Fernsehgerät befindet, fährt rauf und runter. Runtergefahren gibt sie eine kreisrunde weiße Schräge mit zwei Luken frei. Hier deklamieren nun Sophie Rois als Sigismund und Silvia Rieger als Basilius fleißig Calderón-Text. Rois redet sich dabei schon mal ein wenig in Rage, während Rieger wie ein diabolischer Zeremonienmeister wirkt. Das hat ein wenig Schau- und Höreffekt, obwohl man nicht so recht begreift, warum das hier so affektiert daherkommen muss.
Für Abwechslung sorgt die „bucklige Verwandtschaft“ aus Moskau. Uwe Dag Berlin, alter Kumpel von Leander Haußmann, der recht amüsiert im Publikum saß, und Ex-Schlingensief-Mimin Kerstin Graßmann raunzen sich als komisches Gespann von der Seite ins Geschehen. Da heißt es schon mal: „Du hast wohl einen Piep.“ Das Paar ist auch scharf auf den Thron in Polen. Da hätte man schon etwas mehr draus machen können. Hier reicht es für ein wenig Castorf-Parodie und ein paar schräge Witze. Ganz so ernst meint es Quasi-Regisseur Schönborn dann doch nicht. Besonders wenn der betäubte „Siggi“ slapstickhaft von allen in neue Kleider gesteckt wird. Ein paar Fremdtext-Passagen gibt es auch noch. Rois sinniert als unfreier Sigismund über einen Text von Michel Houellebecq aus dessen Roman Ausweitung der Kampfzone. Da geht es um Experimente mit Schimpansen in Käfigen.
Die Parallele schien wohl irgendwie sinnfällig. Relativ unsinnig wird der Vater-Sohn-Konflikt bei einem Makkaroni-Essen mit Limonade und Wodka ausgetragen. Pate stand hier der Karl-Valentin-Kurzfilm Der Firmling. Es wurde anscheinend nichts ausgelassen, das ganze Unternehmen der Lächerlichkeit preiszugeben. Je gröber der Unfug, umso sinnentleerter der Abend. Zu erwähnen ist noch Ex-Volksbühnen-Schauspielerin Margarita Breitkreiz, die als kampfeslustige Reiterin Rosaura viel Russisch reden darf und ihre Ehre rächend die Axt schwingt. Mächtig dräuend gibt es immer wieder große Schattenspiele am Bühnenvorhang. Ein paar Zeilen zur heutigen Zivilisationsmüdigkeit und Hunger nach Abenteuer im Gegensatz zum Glauben an das göttliche Glück im barocken Spanien gehen ebenso unter wie Ingeborg Bachmanns Ruf zum Austritt aus dem Geschlecht aus der Erzählung Alles. Eigentlich eine moderne Form des Calderónschen Vater-Sohn-Konflikts.
Da hat sich die polnisch-russische Gesellschaft schon völlig verausgabt in die Sitzecke zurückgezogen und sieht den DDR-Klassiker Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Es folgt eine Schleife von Alkoholiker-Weisheiten („Wo früher eine Leber war, ist heute eine Minibar.“) über Ausführungen zu Syphilis bis zu Nietzsches Dionysos-Dithyramben. Da fühlt man sich dann endgültig in einen ganz schlechten Castorf versetzt inklusive der Drohung, dass man noch eine Stunde Zeit hätte. Fünf ältere Volksbühnen-Mimen beim Abgesang. Traum und Trauma liegen da dicht beieinander. Da hilft dann auch kein Wurzelpeter mehr. „Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“, weiß Kerstin Graßmann. In der Volksbühne wird es so aber vermutlich bald zappenduster sein.
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Das Leben ein Traum in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz | Foto (C) Gordon Welters
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p. k. - 15. März 2024 ID 14660
DAS LEBEN EIN TRAUM (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 13.03.2024)
nach Pedro Calderón de la Barca
Regie: Clemens Maria Schönborn
Bühne: Barbara Steiner
Kostüme: Sabin Fleck
Beleuchtung: Kevin Sock
Ton: Klaus Dobbrick
Dramaturgie: Sabine Zielke
Mit: Uwe Dag Berlin, Margarita Breitkreiz, Kerstin Graßmann, Silvia Rieger und Sophie Rois
Premiere war am 13. März 2024.
Weitere Termine: 16., 26.03.2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin
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