DT-Doppel
mit Stücken von Heiner Müller und Elemawusi Agbédjidji
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Der Auftrag/ Psyche 17 am DT Berlin | Foto (C) Armin Smailovic
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Bewertung:
Tote haben in den Texten von Heiner Müller immer eine große Rolle gespielt. „Es ist ein Irrtum, daß die Toten tot sind.“ heißt es in seinem letzten Stück Germania 3. Der Autor hat sie in einem andauernden „Dialog mit den Toten“ immer wieder hervor gezerrt. So auch in dem relativ häufig gespielten Stück Der Auftrag. Zwei von drei Emissären der Französischen Revolution, die auf Jamaika einen Sklavenaufstand initiieren sollten, sind bereits zu Beginn des Dramas tot. Ein Brief des im Wundfieber liegenden Bauern Galloudec, durch einen Matrosen nach Frankreich gebracht, kündet vom Scheitern der drei. Der schwarze Abgesandte Sasportas wurde gehängt, und auch Galloudec stirbt an seiner Verletzung. Der einzig Überlebende Debuisson, Sohn von Sklavenhaltern, hat sich dem Verrat hingegeben. Man kann ihn also zumindest für die Revolution als gestorben ansehen.
Untote Totengespenster bevölkern nun auch die Inszenierung von Jan-Christoph Gockel am Deutschen Theater Berlin. Das Ensemble steckt hier immer wieder in weißen Kostümen mit langen schlenkernden Armen und bizarr grinsenden Skull-Masken von Claude Bwendua. Diese „Skullies“ wurden von Andy Freer von der australischen Puppenspiel-Company Snuff Puppets entwickelt. Gockel verwendet in seinen Inszenierungen selbst auch die von seinem Kompagnon Michael Pietsch gebauten Puppen. Bereits 2017 haben beide Heiner Müllers Auftrag mit Georg Büchners Drama Dantons Tod verknüpft. Auch Müller lässt ja in seinem Stück mit dem Untertitel Erinnerung an eine Revolution die Figur des Danton als Puppe in einem „Theater der Revolution“ auftreten.
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Für das DT hat nun der togoische Autor Elemawusi Agbédjidji mit Psyche 17 einen aktuellen postkolonialen Kommentar zum Stück geschrieben. Dafür verwendet er Müllers im Auftrag enthaltene und immer wieder gern als Solo-Text für die Bühne verwendete surreale Traum-Passage Der Mann im Fahrstuhl. Ein Angestellter, der in einem Fahrstuhl zu seinem Vorgesetzten unterwegs ist, sinniert über die Zeit und den Sinn seines Tuns, weiß irgendwann nicht mehr, wo er austeigen muss und was eigentlich sein Auftrag ist und landet schließlich auf einer Dorfstraße in Peru. Agbédjidji verlegt den nun für eine Frau geschriebenen Monolog nach Westafrika. Eine gedankliche Meditation über die westliche Sichtweise auf Afrika und den Größenwahn bei der Ausbeutung von fremden Ressourcen, bei der die westliche Welt mittlerweile im All bei einem Asteroiden namens Psyche 17 angelangt ist.
Den Griff nach den Sternen symbolisiert hier ein blinkender Bühnenhimmel. Dazu gibt’s noch eine sphärisch gesungene DJ-Özi-Schlagerparodie. Doch zuvor muss noch Müllers Stück abgespult werden, obwohl schon am Beginn zur Gitarren-lastigen Interpretation des Doors-Songs The End eingeblendete Fotos von Demonstrationen in Mali und Niger vom Schwinden französischen Einflusses in Westafrika künden. „A Dieu la France“ steht da u.a. auf den Transparenten der afrikanischen Demonstrierenden. Und man ist gleich an die TV-Bilder von den Militär-Putschen in Gabun und Niger erinnert. Ein Wechsel des Einflusses hin zu Russland und China könnte die Folge sein. Die westlichen Emissäre, die die Demokratie bringen wollten, sind hier klar gescheitert.
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Der Auftrag/ Psyche 17 am DT Berlin | Foto (C) Armin Smailovic
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Das handelt die Inszenierung aber nicht wirklich ab. Gockel lässt zunächst recht pathetisch Heiner Müller spielen. Sasportas (Komi Mizraijm Togbonou), Galloudec (Florian Köhler) und Debuisson (Julia Gräfner) sitzen in einem Geländewagen auf der Drehbühne (Bühnenbild: Julia Kurzweg) und deklamieren ihren Müller-Text, während Evamaria Salcher als Engel der Verzweiflung mit breiten, blutigen Schwingen wieder The End singt oder auch mal von der oberen Seitenloge aus ihren Text spricht. Da scheint es aber auch, als würde Gockel Müllers 44 Jahre altes Stück ein wenig verulken wollen. Der Text hat allerdings nichts an seiner Wucht verloren und kann sich gut gegen das fröhliche Puppentheater einer für tot erklärten Revolution behaupten. Ging es damals noch mehr um nicht überwindbare Klassengegensätze, obwohl Müller auch Themen wie Kolonialismus, Rassismus und Nationalismus im Text aufscheinen lässt, so kommt man heute nicht umhin, das Fehlen der Stimme der im Stück selbst nicht sprechenden Sklaven festzustellen zu müssen.
Dem zuvor noch original von Julia Gräfner als „Mann im Fahrstuhl“ recht anschaulich performten Traumtext wird nach der Pause Elemawusi Agbédjidjis heutige Reflexion für eine schwarze Schauspielerin entgegengestellt. Gockel lässt Isabelle Redfern (in Berlin bisher bekannt aus Schau- und Volksbühne) zunächst im wie immer recht weißen Publikum nach einer passenden Brille suchen, da sie ihre angeblich vermisst. Ein schöner Seitenhieb auf die vorherrschende weiße Sichtweise auf das Thema Kolonialismus und Rassismus. Auch der schwarze Schauspieler Komi Mizraijm Togbonou merkt hier an, dass der Sklave im Stück nicht spricht. Im kleinen Bühnenfahrstuhl begegnen nun Isabelle Redfern alle möglichen westlichen Sichtweisen und Ratschlägen, die ihr von den anderen Ensemblemitgliedern als Reporter, Entwicklungshelfer oder Tourist angeboten werden. Eine Frau auf der Suche nach einer passenden Perspektive. Ein bisschen Slapstick gibt es auch noch, wenn Florian Köhler eine Ode an den Mokkakuchen mit viel Zucker und Kaffee als Kotz- und Schleckarie performt. Man fühlt sich ein ums andere mal nicht nur wegen der Livekameras an Inszenierungen von Frank Castorf erinnert. Der benutzt Müllers Auftrag ja auch immer wieder gern als bevorzugten Fremdtext.
„Das Theater der Weißen Revolution“ wird nun für beendet erklärt. Und da sich die westliche Welt bereits auf dem Weg befindet, den Weltraum zu kolonisieren, um dort die im Asteroiden Psyche17 befindlichen Bodenschätze auszubeuten, verlegt sich das Ganze nun etwas unvermittelt ins All. Whitey on the Moon rappt da Komi Mizraijm Togbonou das Spoken-Word-Poem des US-amerikanischen Jazz-Poeten Gil Scott-Heron. „The Revolution Will Not Be Televised“ möchte man hinterherrufen. Die Aufteilung der Kolonien wie 1884 bei der Berliner Kongo-Konferenz ist schon im vollen Gange, weiß der Text. Dass dieser Asteroid dann auch noch selbst zu Wort kommt und den Menschen mit Umarmung droht, lässt an Müllers Metapher vom „Aufstand der Toten“ als „Krieg der Landschaften“ denken. Die ausgebeutete Natur schlägt zurück. Die Frage, wie man im „Auf-und-Ab“ des Fahrstuhls die richtige Etage findet, bleibt letztendlich offen. Als separater Einzeltext dürfte es Psyche 17 eher schwer haben, in Zusammenhang mit Müllers Stücktext lohnt es sich aber ihn zu lesen.
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p. k. - 29. Oktober 2023 ID 14453
DER AUFTRAG / PSYCHE 17 (Deutsches Theater Berlin, 28.10.2023)
von Heiner Müller / Elemawusi Agbédjidji
Regie: Jan-Christoph Gockel
Bühne: Julia Kurzweg
Kostüme: Sophie du Vinage
Musik und Hörspiel: Matthias Grübel
Puppenbau: Michael Pietsch
Maskenbau: Claude Bwendua
Design und Herstellung Weltraumkostüm der Frau im Fahrstuhl: Adeju Thompson
Licht: Matthias Vogel
Dramaturgie: Karla Mäder
Mit: Julia Gräfner, Florian Köhler, Komi Mizraijm Togbonou, Raphael Muff, Pichael Pietsch, Evamaria Salcher u.a.
Premiere war am 28. Oktober 2023.
Weitere Termine: 05., 09., 26., 30.11.2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/
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