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Premierenkritik

Rollenspiel



Der Wald am Theater in der Josefstadt | Foto (C) Moritz Schell

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Die Gutsbesitzerin Raissa Pawlowna Gurmyschskaja hat durch den Verkauf eines Teils ihres Waldes – sie ziert sich nicht wie später Ljubow Andrejewna Ranjewskaja in Tschechows Kirschgarten und ist nicht so geschäftstüchtig wie Gorkis Wassa Schelesnowa – ein Vermögen eingenommen. Zu den potentiellen Profiteuren dieses Geldes gehört der lange abwesende Neffe ihres verstorbenen Mannes Gennadij Nestschastliwzew, den sie für einen Oberst hält, der in Wahrheit aber ein heruntergekommener Provinzschauspieler ist. Jemand ist nicht, wer er zu sein scheint. Verstellung: ein Grundelement der Komödie. Begleitet wird Nestschastliwzew von seinem Kumpel Arkadij Stschastliwzew, dem er nach langer Zeit wiederbegegnet ist. Umgeben werden diese Antagonisten von diversen Figuren, denen eins gemeinsam ist: die Gier nach dem Geld der Gurmyschskaja.

Der Wald ist neben dem Gewitter das meistgespielte Stück von Alexander Ostrowskij (nicht zu verwechseln mit Nikolaj Ostrowskij, dem Autor des sowjetischen Vorzeigeromans Wie der Stahl gehärtet wurde). Insgesamt aber ist Ostrowskij, der in Russland als der bedeutendste Dramatiker zwischen Gogol und Tschechow gilt und der beachtliche 47 Stücke geschrieben hat, auf den Spielplänen außerhalb seiner Heimat sträflich unterrepräsentiert.

*

Am Theater in der Josefstadt hat Stephan Müller jetzt den Wald inszeniert. Für die Gurmyschskaja steht ihm ein Star zur Verfügung, Andrea Jonasson, die am Abend der Premiere zum Ehrenmitglied des Theaters in der Josefstadt ernannt wurde. Ein weiterer Publikumsliebling glänzt als Arkadij Stschastliwzew (der Glückspilz): Robert Meyer war, obwohl aus dem bayrischen Bad Reichenhall gebürtig, einer der führenden Nestroy-Spieler am Burgtheater, ehe er 2007 Direktor der Wiener Volksoper wurde. Dort hat er im vergangenen Jahr aufgehört, und die Josefstadt hat ihn sich geschnappt. Ein kluger Schachzug, wie sich erweist. Sein Dialog mit Nestschastliwzew über das Theater sorgt für Lacher und ist beste Komödie.

In der Rolle des Alexej Sergejewitsch Bulanow turnt Claudius von Stolzmann, einer der aufstrebenden Schauspieler der jüngeren Generation, über die Bühne. Schwachpunkt des Abends ist ausgerechnet der Hausherr Herbert Föttinger als Gennadij Nestschastliwzew (der Unglücksrabe). Dieser Nachfolger von Gogols Chlestakow müsste stets beides in einem sein: der Schmierenkomödiant und die Figur, die er – Stück im Stück – darstellt. Föttinger schafft diese Brechung nicht. Die Verführung zum Gentleman scheint ihn zu überwältigen. Ältere Semester mögen sich an den Josefstadt-Star Leopold Rudolf in dieser Rolle erinnern. Kein Vergleich.

Der Wald ist eine Komödie vom Sieg der Kunst über das Geld. Wenn das nicht eine zeitgemäße Utopie wäre – was dann?




Der Wald am Theater in der Josefstadt | Foto (C) Moritz Schell

Thomas Rothschild - 13. Oktober 2022
ID 13852
DER WALD (Theater in der Josefstadt, 13.10.2022)
Regie: Stephan Müller
Bühnenbild und Video: Sophie Lux
Kostüme: Birgit Hutter
Musik: Matthias Jakisic
Dramaturgie: Barbara Nowotny
Licht: Pepe Starman
Besetzung:
Raissa Pawlowna Gurmyscheskaja ... Andrea Jonasson
Axinja Danilowna (Axjuscha) ... Johanna Mahaffy
Jewgenij Apollonytsch Milonow ... Michael König
Uar Kirilytsch Bodajew ... Robert Joseph Bartl
Iwan Petrow Wosmibratow ... Marcello De Nardo
Pjotr ... Tobias Reinthaller
Alexej Sergejewitsch Bulanow ... Claudius von Stolzmann
Gennadij Nestschastliwzew ... Herbert Föttinger
Arkadij Stschastliwzew ... Robert Meyer
Karp ... Alexander Strömer
Ulita ... Susanna Wiegand
Premiere war am 13. Oktober 2022.
Weitere Termine: 24., 28.-31.12.2022// 03.-05.03./ 13.04./ 16., 17., 25.05./ 06., 07., 12., 21., 26., 28.06.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.josefstadt.org/


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