Gegen den Trend
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Die Präsidentinnen von Werner Schwab am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Katrin Ribbe
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Bewertung:
Mit Werner Schwabs Präsidentinnen verhält es sich ähnlich wie mit Yasmina Rezas Kunst. Man kann diesen Kassenschlagern kaum entgehen, hat sie mehrfach gesehen, kennt die Story folglich genau, und da sie einen nicht mehr überraschen kann, konzentriert sich die gesamte Aufmerksamkeit darauf, wie die drei Männer bei der Dramatikerin und die drei Frauen bei dem Dramatiker die dankbaren Rollen in der aktuellen Aufführung füllen. Ein Vergleich mit früheren Inszenierungen kann nicht ausbleiben. Dabei war der außergewöhnliche Erfolg des früh verstorbenen Werner Schwab und seiner radikalen Sprachverwendung nicht von vornherein vorauszusehen. Selbst ein Claus Peymann, für zeitgenössische Autoren aufgeschlossen wie kaum ein Regisseur, hat seinerzeit, als Burgdirektor, Die Präsidentinnen abgelehnt und die historische Chance ihrer Uraufführung verspielt.
In Stuttgart hat Christian Schmidt – eine nicht ganz neue Idee – überdimensionale Möbel auf die Bühne gestellt, die die Schauspielerinnen puppenhaft klein erscheinen lassen. Anke Schubert als Erna und Christiane Roßbach als Grete plagen sich unter bizarren Verrenkungen, die riesige Couch zu erklimmen. Sie dürfen, um in der Sprache des Stücks zu bleiben, die Sau raus lassen. Die Lichter vom unsichtbaren Fernseher, von der gigantischen Stehlampe und manchmal von der Vorsehung gehen an und aus.
Es ist, ganz gegen den Trend der Zeit und des Theaters, kein schmeichelhaftes Bild von Frauen, das dieses „Fäkaliendrama“ entwirft, und die Regie von Amélie Niermeyer übertreibt das Groteske noch. Von Scheiße ist ausgiebig die Rede, von der Kirche, von Religion und von Leberkäs. An der Wand hängen Fotos zweier Päpste und, wenn ich mich nicht täusche, jenes österreichischen Ex-Bundeskanzlers, der sich zurzeit an der Schwelle zum Knast befindet. Die Figuren sprechen von sich in der dritten Person. Ein Kennzeichen des modernen Dramas seit Tschechow, die Unfähigkeit zur Kommunikation, ist bei Schwab ins Komische gewendet. Man redet nicht mit und zu einander, sondern an einander vorbei.
Die Frauen, die ironisch „die Präsidentinnen“ genannt werden, gehören dem gleichen Prekariat an wie das Personal von Franz Xaver Kroetz. Aber an die Stelle von dessen Empathie tritt bei Werner Schwab der Tabubruch. Soziales Mitleid kennt er nicht. Er ist fürs Theater, was Manfred Deix für die Karikatur war.
Therese Affolter stand in Tübingen und Ursula Höpfner in Wien und Berlin in der Rolle der Mariedl, die verstopfte Klos mit nackten Händen frei legt, im Zentrum. In Stuttgart ist die Mariedl der Celina Rongen eher marginalisiert. Die Szene gehört Anke Schubert und Christiane Roßbach. Leider glaubt Amélie Niermeyer, immerhin eine erfahrene und erfolgreiche Theaterfrau, die scheinbare Monotonie des Textes durch Regieeinfälle aufhübschen zu müssen, durch den Fake einer Drei-Mann-Blaskapelle auf der Oberbühne etwa oder einen Wandschrank, dessen Inhalt – Weinflaschen, Biergläser, Popcorn – sich jedes Mal verändert, wenn er geöffnet wird.
Am Schluss zerstört Mariedl die Illusionen von Erna und Grete. Es endet im dramaturgisch unverzichtbaren mörderischen Chaos. Das ist in Stuttgart nicht alltäglich. Es tut gut, und das Publikum wusste es zu schätzen.
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Die Präsidentinnen von Werner Schwab am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Katrin Ribbe
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Thomas Rothschild – 23. Oktober 2022 ID 13868
DIE PRÄSIDENTINNEN (Schauspielhaus, 22.10.2022)
von Werner Schwab
Inszenierung: Amélie Niermeyer
Bühne: Christian Schmidt
Kostüme: Kathrin Brandstätter
Musik: Imre Lichtenberger Bozoki
Licht: Felix Dreyer
Dramaturgie: Christina Schlögl
Besetzung:
Erna ... Anke Schubert
Grete ... Christiane Roßbach
Mariedl ... Celina Rongen
UA im Künstlerhaus Wien: 1990
Premiere war am 22. Oktober 2022.
Weitere Termine: 29.10./ 24., 29.11./ 03., 09., 31.12.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de
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