Georg Kreislers elftes Gebot
DU SOLLST NICHT LIEBEN am Theater Altenburg Gera
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„Die Wunde versteht das Messer“, sagt George Tabori. Aber das Messer versteht die Wunde nicht. Die Verbrecher wollen an ihre Untaten nicht erinnert werden. Dem Opfer geziemt es, zu schweigen. Wenn es sich beklagt, dann beruhigen die Täter sich und andere mit den standardisierten Erklärungen: Überempfindlichkeit sei da im Spiel, Paranoia gar. Die Wunde, die ihren Schmerz zeigt, ist ein Spielverderber, ein Unruhestifter, sie wird verlacht, von oben herab verhöhnt und im schlimmsten Fall durch einen weiteren Messerstich mundtot gemacht.
In einem offenen Brief schrieb Georg Kreisler im Jahre 1996 an die politischen Repräsentanten Österreichs und Wiens, er wünsche zu seinen runden Geburtstagen keine Glückwünsche mehr zu erhalten. Warum?
„Aber auf keinen Fall bin ich Österreicher, denn im Jahre 1945, nach Kriegsende, wurden die Österreicher, die 1938 Deutsche geworden waren, automatisch wieder Österreicher, aber diesmal nur diejenigen, die die Nazizeit mitgemacht hatten. Wer unter Lebensgefahr ins Ausland geflüchtet wurde, also auch ich, bekam seine österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr zurück. Ich habe mich genau erkundigt: Da ich kein Nazi war und mir überdies die Flucht vor den Nazis gelungen ist, müsste ich bei Gericht um meine österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen, und Sie werden vielleicht verstehen, warum ich mich nicht in diese Situation begeben möchte. Es widerstrebt mir zutiefst, jemanden um die österreichische Staatsbürgerschaft bitten zu müssen. Ich bin seit 1943 amerikanischer Staatsbürger, obwohl mir der Clinton noch nie zum Geburtstag gratuliert hat.
Zweitens aber, und das ist vielleicht noch wichtiger, kann ich nicht im Interesse der Republik Österreich sein, weil sich die Republik Österreich in den über vierzig Jahren, seit ich nach Europa zurückgekehrt bin, noch nie um mich geschert hat. Kein subventioniertes Theater, kein subventionierter Verlag, kein Funk, kein Fernsehen, keinerlei Schauspiel-, Musik- oder sonstige Schule, keine österreichische kulturelle Organisation hat mich je um Mitarbeit gebeten. Und wenn man mich manchmal vorübergehend engagieren, ein Buch von mir publizieren oder ein Fernsehprogramm mit mir veranstalten will, treten sofort diverse Leute auf den Plan, die es verhindern wollen und meistens auch können, sicher zu ihrer Freude, aber nicht zu meinem Leid, denn mir geht es unter solchen Umständen besser, wenn ich nicht nach Österreich komme. Glücklicherweise hat man mir nie die Chance gegeben, Sehnsucht nach Österreich zu haben.“
Die Kränkung saß tief, und sie war keine Einbildung. Vielleicht war Georg Kreisler überempfindlich, zu leicht beleidigt, aber das ändert nichts an der Richtigkeit seiner Aussage, und jene, die dafür die Verantwortung tragen, haben nicht darüber zu befinden, ob die Wunde das Messer ein Messer nennen darf.
Der offene Brief schließt mit einer Bitte:
„Und ich möchte dieser Heuchelei, die nur meinen Tod abwartet, um mich posthum zum Österreicher ernennen zu können, keinen Vorschub leisten. Noch bin ich am Leben, noch kann ich mich dagegen wehren. Deshalb ersuche ich Sie heute höflichst, meinen Namen von den entsprechenden Listen entfernen zu lassen und in Ihrer offiziellen Funktion von weiteren Geburtstagswünschen abzusehen.“
Als Georg Kreisler im November 2011 starb, ging die österreichischen Nachrichtenagentur APA wie so oft mit schlechtem Beispiel voran und meldete in hohler Rhetorik und falschem Deutsch: „Neben seinen Gedichten und Liedern war Kreisler auch als Buchautor und Hörspieltexter tätig und verfasste Kabarett- sowie Theaterstücke.“ Der Tote muss es sich gefallen lassen, dass er neben Gedichten und Liedern tätig gewesen sein soll.
Zur tatsächlichen Geringschätzung durch die Repräsentanten der österreichischen Politik und vor allem der Medien – Kreisler nannte es einen „Boykott“ – kommt allerdings die Tragödie, dass Georg Kreisler über das Renommee, das er trotz allem besaß, nicht glücklich war. Er wollte nicht Kabarettist sein, nicht der unübertroffene Autor und Interpret „schwarzer Lieder“, als der er prominent und bei seinen Fans beliebt war. Er sah sich als Komponist und Dichter und in dieser, seiner, wie er meinte, eigentlichen Begabung verkannt. Tatsächlich hat Kreisler, der 1922 in Wien geboren wurde, ja jede Menge Stücke fürs Sprech- und fürs Musiktheater geschrieben, er hat während seines amerikanischen Exils mit internationalen Berühmtheiten, unter anderem für Charlie Chaplin gearbeitet. Ob er der „beste lyrische Dichter in deutscher Sprache“ war, wie Daniel Kehlmann versichert, darf man bezweifeln. Fest steht, dass er, neben Robert Gernhardt, die komischsten Reime seit Wilhelm Busch erfunden hat. Er hatte ein ausgeprägtes Gespür für phonetischen Witz, etwa wenn er in einem Lied tschechische Namen reiht, die für unsere Ohren so ulkig klingen wie Schmidt, Müller und Meier für Amerikaner. Und wenn vom Bluntschli berichtet wird, der dem Herrn Wachtel bei seinem Achtel erst Bedeutung verleiht, dann ist das von einer zugleich absurden und tiefsinnigen Komik wie kaum etwas, das nach 1945 in deutscher Sprache geschrieben wurde.
Mit zunehmendem Alter wurde Kreisler, ganz gegen den Zeittrend, immer radikaler in seinen politischen, nicht jedoch in seinen ästhetischen Ansichten. Schon zuvor aber resignierte er: „Es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen/ statt die Verantwortlichen niederzumachen.“
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Das Zweipersonen-Musical Du sollst nicht lieben lässt von diesem Zorn und dieser Radikalität nichts ahnen. Es wurde 1996 geschrieben, 1999 in Köln uraufgeführt und seither, wohl auch wegen des geringen Personalaufwands, in mehr als fünfzig meist kleinen Theatern nachgespielt. Nebenbei: es wäre interessant, die Statistiken über die Anzahl von Aufführungen einmal danach zu durchforsten, wie viele Damen und Herren sie erfordern. Stünde Yasmina Rezas Kunst so oft auf den Spielplänen, wenn es mehr als drei Darsteller benötigte? Verdanken sich die vielen Soloauftritte mit Texten, die oft gar nicht fürs Theater gedacht sind, nicht bloß der Tatsache, dass sie ohne Ensemble auskommen? Würde, umgekehrt, Arthur Schnitzlers Professor Bernhardi nicht häufiger gespielt, wenn man für eine ungekürzte Inszenierung nicht neunzehn Männer mittleren Alters bräuchte?
Dass Du sollst nicht lieben Aufnahme in den Kanon gefunden hätte, lässt sich dennoch nicht behaupten. Es ist eins von Georg Kreislers zahllosen Bühnenstücken, von denen ein großer Teil nie aufgeführt wurde. Wirklich durchgesetzt hat sich lediglich das Einpersonenstück Heute Abend: Lola Blau von 1971.
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Du sollst nicht lieben am Theater Altenburg-Gera | Foto (C) Ronny Ristok
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Jetzt kann man Du sollst nicht lieben am Theater Altenburg Gera sehen. Die Musik stammt nur zum geringsten Teil von Kreisler selbst. Er macht sich vielmehr einen Spaß daraus, seinen Text auf bekannte Kompositionen von, in alphabetischer Reihung, Bach, Beethoven, Bizet, Grieg, Khatchaturian (meist als Chatschaturjan transkribiert), Liszt, Mahler, Mascagni, Mozart, Rossini, Schubert, Schumann, Tschaikowsky, Verdi, Wagner, Weber und Wolf abzustimmen, teils indem er ihnen den Text unterlegt, teils indem die Kompositionen mit ihrem Originaltext den Dialog kommentierend oder konterkarierend unterbrechen. Neben der Bühne steht lediglich ein Klavier. Der Rest der Musik kommt in Kreislers Vorlage kostensparend vom Tonband. Ein Orchester für bloß zwei Personen auf der Bühne: da fällt einem fast nur Gian Carlo Menottis The Telephone ein. In Gera wird auf das Tonband verzichtet. Für die Begleitung sorgt fast ausschließlich der Pianist Thomas Wicklein.
Zugleich aber wirkt der Dialog auf die Musikzitate zurück. In seiner Trivialität verspottet er das Pathos vieler Konzertlieder und Opernarien. Das war schon im bekannten Opernboogie Kreislers Methode. Hier wird sie auf die große Form übertragen.
Johannes Pietzonka spielt in der Premierenbesetzung den nicht mehr ganz jungen und nicht sonderlich verführerischen Lothar, Jana Lea Hess die aktive Sonja. Ihr ist ein Zimmer in Rosa mit Puppen und Nippes zugeordnet, er residiert in einem bräunlichen Zimmer mit Heimtrainer und ausgestopften Vögeln. Am Schluss wird ohne erkennbaren Zusammenhang Georg Kreislers Lied "Zwei alte Tanten tanzen Tango" gesungen, das er fast 40 Jahre vor Du sollst nicht lieben geschrieben hat. Und das ist eine Falle. Denn es bestätigt die Ansicht, dass er als Kabarettist bedeutender war denn als Dramatiker. Den tieferen Sinn, den die Regisseurin Lea Willeke im Programmfaltblatt vorschlägt, vermag der Text nicht einzulösen, und so richtig komisch ist weder das Stück, noch die Darstellung. Aber über Humor lässt sich schlecht streiten. Das Publikum schien ihn zu goutieren. Beneidenswert.
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Thomas Rothschild - 5. Juni 2023 ID 14235
DU SOLLST NICHT LIEBEN (Bühne am Park, 04.06.2023)
Musikalische Leitung und Klavier: Thomas Wicklein
Inszenierung: Lea Willeke
Bühne und Kostüme: Elena Köhler
Dramaturgie: Sophie Jira
Besetzung:
Sonja ... Jana Lea Hess und Eva-Maria Wurlitzer
Lothar ... Johannes Pietzonka und Jan Kristof Schliep
Premiere am Theater Altenburg Gera: 4. Juni 2023
Weitere Termine: 09., 23., 24.06./ 09., 16., 22.09./ 29.10.2023 (in Gera) sowie 14., 19.01./ 16., 23.03./ 20.04./ 03.05.2024 (in Altenburg)
Weitere Infos siehe auch: https://theater-altenburg-gera.de
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