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Premierenkritik

Starkes Solo

ELLBOGEN von
Fatma Aydemir


(C) Esra Rotthoff

Bewertung:    



Ellbogen, der 2017 erschienene Debütroman von Fatma Aydemir, kommt 2024 fast gleichzeitig als Kinofilm und Theaterstück heraus. Seine Weltpremiere feierte die Filmadaption von Aslı Özarslan bereits im Februar bei der BERLINALE. Der offizielle deutsche Kinostart ist dann allerdings erst im Herbst. Bis dahin kann man sich aber die Bühnenfassung von Dramaturgin Anahit Bagradjans in der Regie von Studio Я-Leiter Murat Dikenci am Maxim Gorki Theater Berlin ansehen. Nach Dschinns im Februar 2023 ist das die zweite Adaption eines Romans von Fatma Aydemir am Haus.

*

Der Regisseur hat den Abend als Solo für die Schauspielerin Aysima Ergün eingerichtet. Statt wie für einen Spielfilm eine Handlung mit Dialogen kreieren zu müssen, könnte die Bühnenadaption die Form des inneren Monologs der Protagonistin der Romanvorlage im Solovortrag voll aufnehmen. Tut sie aber nicht. Aysima Ergün gibt neben der Hauptfigur Hazal auch die anderen Figuren des Romans wie die ewig gestresste Mutter mit Migräne oder die Freundinnen Hazals mit verstellter Stimme. Spielt sogar die Sitze wechselnd eine Unterhaltung mit der besten Freundin Elma zur großen Unterhaltung des Studio-Publikums, das im Karree um die Spielfläche sitzt. Drei Wartesitze wie in der U-Bahn stehen an der Kopfseite des Raums. An den Ecken hängen zwei TV-Bildschirme, auf denen Werbefernsehen oder türkische Soap-Operas laufen. Nebel wabert manchmal durch den Raum, den Aysima Ergün immer wieder von einer Seite zur anderen durchmisst.

Die Heiterkeit des ersten Teils täuscht etwas über den wütenden Ton der kurz vor ihrem 18. Geburtstag stehenden, im Wedding aufgewachsene Deutschtürkin, die nach der Schule mehrere Job-Ablehnungen hinter sich hat und nicht wirklich weiß, wie es weiter gehen soll. Bezeichnend ist eine Szene im Kaufhaus, bei der Hazal von einem Kaufhausdetektiv beschuldigt wird, einen Lippenstift gestohlen zu haben. Sie ist dem Typen ausgeliefert, der 100 Euro Fangprämie von ihr verlangt, dafür, dass er sie nicht bei den Eltern verrät. Die Wut auf diese Typen, die die jungen Frauen anmachen oder ausnutzen, steckt tief. Dagegen himmelt Hazal ihre Facebook-Bekanntschaft Mehmet, der straffällig aus Deutschland in die Türkei abgeschoben wurde, im Chat förmlich an. Sich mit ihm in Istanbul zu treffen, traut sie sich aber nicht. Hazal berichtet aus ihrem Alltag mit den Vorhaltungen der Mutter, die sie als Gehilfin zu einer befreundeten Friseurin schicken will. Vater und Mutter haben sich nicht viel zu sagen. Der Taxifahrer ergeht sich in Erdogan-Sprüchen, der Bruder Onul dealt mit Hasch.

Hazal fühlt ihr Leben vorbestimmt, ohne dass sie darauf einen Einfluss hätte. Dagegen zu rebellieren ist kaum möglich. Den Frust reagieren Elma und Hazal verbal an zwei deutschen Mädchen ab. Hier im Studio macht Aysima Ergün Leute im Publikum an. Das Abhängen mit den ehemaligen Schulfreundinnen Elma, Gül und Ebru sind willkommene Abwechslung. Diesen gemeinsamen Spaß überträgt Aysima Ergün im flotten Slang recht gut. Hazal fiebert ihrer Geburtstagsparty entgegen. Das Publikum bekommt entsprechend die Aufforderung Luftballons aufzublasen. Einzige Hoffnung, zur Party auch nachts wegbleiben zu dürfen, ist Hazals Tante Semra, eine studierte Sozialarbeiterin und allein lebende selbständige Frau, die als einzige Verständnis für Hazals Verhalten zeigt.

Es fließt reichlich Wodka zum Warmlaufen für den geplanten Clubbesuch. Doch an der Tür, die hier in den rot leuchtenden Nebenraum geht, werden sie abgewiesen. Der Frust darüber steckt bei den Mädchen tief. Später entlädt sich die Wut in einem gemeinsamen Gewaltakt im U-Bahnhof gegen einen betrunkenen Studenten, der die Mädchen mit anzüglichen Sprüchen provoziert. Hazal stößt den Studenten auf die Gleise und flieht überstürzt zu Mehmet nach Istanbul. Murat Dikenci nimmt hier etwas das Tempo raus, lässt Aysima Ergün die Drastik der Tat nur vage erzählen.

Dann öffnet die Schauspielerin ein Fenster zur Straße, von der Geräusche nach drinnen dringen. Das markiert einen Bruch im Ton wie auch in der Handlung. Auch in Istanbul findet Hazal keine Ruhe. Wie in Deutschland ist sie ein Fremdkörper in einem für sie fremden Land. Mehmet erweist sich als labiler Mensch, der viel kifft, Computerspiele zockt und nur an Sex interessiert ist. Durch Gespräche mit Mehmets Mitbewohner Halil, einem politisch aktiven Kurden aus der Provinz Mardin, erfährt Hazal erstmals von der Unterdrückung der Kurden. Eine Geschichte, die in ihrer Familie nicht vorkam. Nachdem die Polizei gewaltsam in Mehmets Wohnung eindringt, verlässt Hazal Mehmet und steht wieder allein in Istanbul. Hier lässt die Bühnenfassung einiges aus und geht gleich zum Kontakt Hazals mit ihrer Tante Selma über. In Deutschland ist ihre Tat bereits medial im Internet präsent, und die Tante will sie zur Rückkehr bewegen, um sich zu stellen. In einem längeren Monolog rekapituliert Aysima Ergün noch einmal die Verzweiflung ihrer Figur, das Desinteresse der Gesellschaft. „Sie sehen uns nur, wenn wir Scheiße bauen, dann sind sie plötzlich neugierig.“

Wie im Roman bleibt auch hier das Ende offen. Nicht nach Deutschland zurückzukehren, ein eigenes selbstbestimmtes Leben zu führen, wird auch in der Türkei kaum möglich sein. Musik klingt von der Straße herein. Auf den TV-Bildschirmen laufen Bilder von der in Deutschland fast schon vergessenen Niederschlagung des Putsches gegen Erdogan 2016 in der Türkei. Diese politische Komponente, die das Ende des Romans bestimmt, lässt einen hier noch ratloser zurück. Ein Abend, der atmosphärisch in zwei Teile zerfällt, aber durchweg von der starken Präsenz der Solo-Darstellerin getragen wird.



Aysima Ergün in Ellbogen am Maxim Gorki Theater Berlin | (C) Ute Langkafel MAIFOTO

Stefan Bock - 19. April 2024
ID 14706
ELLBOGEN (Studio Я, 18.04.2024)
von Fatma Aydemir

Regie: Murat Dikenci
Bühne: Marco Michelle
Kostüme: Marilena Büld
Sounddesign: Lukas Grundmann
Video: Ufuk Cam
Fassung & Dramaturgie: Anahit Bagradjans
Outside Eye: Necati Öziri
Mit: Aysima Ergün
Premiere am Maxim Gorki Theater Berlin: 18. April 2024
Weitere Termine: 25.04. / 02., 13.05.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de


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