DDR-Roman von
Charlotte Gneuß
fürs BE
adaptiert
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Gittersee am Berliner Ensemble | Foto (C) Moritz Haase
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Bewertung:
In ihrem 2023 erschienenen Debutroman Gittersee beschreibt die 1992 in Ludwigsburg geborene Schriftstellerin Charlotte Gneuß die Geschichte der 16-jährigen Karin, die in den 1970er Jahren im kleinen Dresdner Vorort Gittersee aufwächst und plötzlich unerwartet mit der Staatsicherheit in Kontakt kommt. Der Roman stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis und gleichzeitig in der Diskussion, ob Gneuß überhaupt einen authentischen Roman über die DDR, in der sie nicht gelebt hat, schreiben könne. Anlass für diese Feuilleton-Debatte war eine vom S. Fischer Verlag in Auftrag gegebene sogenannte „Mängelliste“, in der der aus Dresden stammende Schriftsteller Ingo Schulze (u.a. Adam und Evelyn und Die rechtschaffenen Mörder) 20 Kritikpunkte zur Lebensrealität in der DDR aufführte. 10 davon seien von Gneuß dann auch korrigiert worden, heißt es. Dass diese Liste an die Buchpreisjury anonym durchgestochen wurde, scheint allerdings der eigentliche Skandal zu sein. Für den Deutschen Buchpreis hat es dann nicht gereicht, dafür heimste der Roman den aspekte-Literaturpreis für das „beste Debüt des Jahres“ und den Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung ein.
„Schon wieder ein Roman über die Stasi?“ werden einige gelangweilt fragen. Es handelt sich aber um eine durchaus interessant erzählte Geschichte, die sich so oder so ähnlich auch in der DDR zugetragen haben könnte. Für Gneuß ist das Jahr 1976 ein entscheidender Kipppunkt in der DDR-Geschichte. Von einem „1968 für unsere Ostgeschichte“ spricht die Autorin in einem FAZ-Interview. Der „Anfang vom Ende“, könnte man auch sagen. Ein entscheidendes Ereignis dürfte die Biermann-Ausbürgerung sein. Außerdem setzte sich auf dem Marktplatz der Stadt Zeitz der systemkritische Pfarrer Oskar Brüsewitz aus Protest gegen die DDR-Regierung selbst in Brand, und der Regime-Kritiker Robert Havemann wurde unter Hausarrest gestellt. Erich Honecker bündelte nach der Volkskammerwahl die Macht in der SED, dem Staats- und Verteidigungsrat, in seiner Hand. Ausreiseanträge und die sogenannte Republikflucht von Bürgern der DDR wurden häufiger. Die Staatsmacht reagierte mit der Verlegung von zusätzlichen Minen in Grenzabschnitten, die durch Flüchtlinge überwunden worden waren.
Von alldem ist im Roman nicht die Rede, aber eine resignierende Stimmung unter den Erwachsenen, besonders den Eltern der Protagonistin, ist schon spürbar. Daneben steht die Schülerin Karin an der Schwelle zum Erwachsensein. Eine erste Liebe verbindet sie mit dem jungen Wismut-Kumpel Paul, der sie auf ein „Abenteuer“ einladen will. Mit dem Moped zum Somersonnwendfest in die Tschechei. So nannte man damals umgangssprachlich noch das sozialistische Bruderland Tschechoslowakische Republik. Karin muss aber auf die kleine Schwester aufpassen, und zudem ist Waschtag. Nachdem Paul mit seinem Freund Rühle weg ist, kommt plötzlich der Stasi-Mann Wickwalz ins Haus und holt Karin zu einer Klärung auf die Dienststelle. Paul hat Republikflucht begangen, Rühle ist in seinem Zelt bei Plauen im Vogtland festgenommen worden. Es entwickelt sich nun eine recht intensive Beziehung zwischen Wickwalz und Karin, bei der der Stasi-Offizier Karin manipuliert und für eine inoffizielle Mitarbeit gewinnen will, bei der sie sogar Geheimnisse ihrer Freundin Marie verraten wird.
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Die Regisseurin Leonie Rebentisch hat für ihr Debut am Berliner Ensemble den Roman adaptiert und auf die Bühne des Neuen Hauses gebracht. Den sprachlich recht sparsamen Text hat sie noch weiter verknappt. So kommen Karins Freund Paul und ihr trinkender Vater nicht mehr persönlich vor. Der Figuren-Kreis ist begrenzt auf die Mutter, die Kathleen Morgeneyer stets dauernervös performen muss, die Oma, die immer wieder von ihrem Kriegsdienst als Flakhelferin in Paris und Minsk schwärmt und hier mit Rahel Ohm in Kittelschürze fleißig Äpfel und Kartoffeln schält, und Karins beste Freundin Marie, betont lebenslustig gespielt von Irina Sulaver. Das sind nicht zufällig drei Generationen ostdeutscher Frauen. In der Vergangenheit verfangen die Großmutter, ohne Perspektive im Heute gefangen, die Mutter und eher unbefangen die beiden Mädchen, die hier oft miteinander scherzen und sich alles erzählen, auch dass Marie einen Westvater hat, den sie immer wieder im Urlaub mit der Mutter trifft, und dass sie einmal die erste Frau auf dem Mond werden will.
Die Entdeckung aber ist die junge Schauspielerin Amelie Willberg, die ihre erste Hauptrolle am BE spielt. Zwischen Freund, Freundin und Stasi-Kontakt Wickwalz (als psychologisch gewiefter Verführer, mal väterlichen Freund, mal guter Märchenonkel, gespielt von Paul Herwig) versucht sie ihre Autonomität zu behaupten und mit der Flucht Pauls umzugehen. In Wickwalz findet sie erstmals jemanden, der ihr zuhört, sie scheinbar ernst nimmt. Hier erfährt sie Aufmerksamkeit, die sie bisher als Betreuerin ihrer kleinen Schwester und Haushaltshilfe von Eltern und Großmutter nicht bekommt. Das ist in ihrer Ambivalenz und Zerrissenheit glaubhaft gespielt und sticht gegenüber den anderen mehr schablonenhaft gezeichneten Figuren hervor. Auch Rühle, gespielt von Gabriel Schneider, bleibt dagegen blass. Seine Beichte, auch für die Stasi berichtet zu haben, kommt nicht überraschend, das prompte krimiähnliche Ende mit Karins Rache an Wickwalz schon. Da ist viel Enttäuschung im Spiel.
Leonie Rebentisch führt die Inszenierung wie ein psychologisches Kammerspiel. In einem von einem Plexiglasdach hängenden Papierlamellenwald (Bühne: Sabine Mäder) treten die DarstellerInnen für kurze Spielszenen auf, die sich teilweise überschneiden. Ein Regiekniff wie auch das anfängliche Körperschattenspiel des Ensembles hinter dem weißen Vorhang im Hintergrund. Auf der Suche nach der Wahrheit werden immer wieder wütend Papierlamellen abgerissen, als ließe sie sich dahinter finden. Eine psychologische Studie ge- und enttäuschter Ost-Generationen, aber auch lesbar als eine über perfiden staatlichen Machtmissbrauch an Minderjährigen. Die Krimi-Spannung will leider nicht so recht zünden, und auch als historischer Themenabend ist die Inszenierung nicht wirklich gedacht.
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Gittersee am Berliner Ensemble | Foto (C) Moritz Haase
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Stefan Bock - 7. November 2024 ID 15003
GITTERSEE (Neues Haus, 02.11.2024)
nach dem gleichnamigen Roman von Charlotte Gneuß
Regie: Leonie Rebentisch
Bühne: Sabine Mäder
Kostüme: Luisa Wandschneider
Musik: Fabian Kuss
Licht: Frédéric Dautier
Dramaturgie: Karolin Trachte
Mit: Amelie Willberg, Irina Sulaver, Paul Herwig, Kathleen Morgeneyer, Gabriel Schneider und Rahel Ohm
Premiere am Berliner Ensembe: 2. November 2024
Weitere Termine: 23., 24.11. / 07., 08., 31.12.2024// 01.01.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/
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