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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Bildgewaltige

Szenencollage



Legende am Thalia Theater Hamburg | Foto (C) Frol Podlesnyui

Bewertung:    



Gut drei Monate nach der Uraufführung bei der RUHRTRIENNALE ist Kirill Serebrennikovs 4-stündiges Opus Legende nach Motiven aus der Welt des sowjetischen Filmregisseurs armenischer Abstammung Sergey Paradjanov (1924-1990) im koproduzierenden Thalia Theater Hamburg angekommen. Im Gegensatz zu Andrei Tarkowski  ist Paradjanov im Westen eher weniger bekannt. Grund dafür dürfte sein Anecken bereits in frühen Jahren bei der sowjetischen Zensur sein. Visuell weicht der Regisseur stark vom sozialistischen Realismus ab. Folklore und religiöse Motive bestimmen seine ersten Filme über Bauern in den Karpaten oder einen armenischen Musiker in seinem Film Die Farbe des Granatapfels. Der Film durfte nicht in die sowjetischen Kinos kommen. Weitere Projekte wurden abgelehnt. 1974 wurde Paradjanov wegen Homosexualität, Pornographie und angeblicher „homosexueller Vergewaltigung“ zu fünf Jahren strenger Lagerhaft verurteilt. 

Da ist der Regisseur zumindest bei europäischen Kollegen wie u.a. Fellini, Rossellini und Godard bereits so bekannt, dass sie sich für ihn einsetzten. Nach vier Jahren wurde Paradjanov entlassen und zog nach Tiflis, wo weitere Filme wie eine Doku über den georgischen Maler Niko Pirosmani entstanden. Paradjanov war auch selbst als bildender Künstler tätig. Eine freigeistige Künstlernatur, als die auch Serebrennikov sich sieht. Eine künstlerische Verwandtschaft bis hin zu den staatlichen Repressalien. Düster ist dieses motivische Künstlerportrait des Regisseurs aber dennoch nicht. In zehn als Legenden übertitelten Szenen entwirft Serebrennikov ein in Bühne und Kostümen opulentes Werk mit viel Musik von armenischer Folklore über deutsches Liedgut bis zu US-amerikanischen Popsongs.

Als Nichtkundige/r bekommt man ein 210-seitiges Programmbuch zum Abend in die Hand, das neben dem kompletten Stücktext auch Erklärungen zum Hintergrund der einzelnen Szenen enthält und zumindest zur Nachbereitung des Abends recht empfehlenswert ist. Ohnedem dürfte man zuweilen etwas rätseln, wie König Lear, Walt Whitman, einige bekannte Maler wie Dürer, Delacroix oder Velázquez, Verdis La Traviata und anderes mehr zu Paradjanov passen. Bildgewaltig liebte es der Regisseur, der selbst Beerdigungen zu zelebrieren wusste, was gleich Thema in der ersten Szene ist. Hier erinnert sich Paradjanov (in den einzelnen Szenen wechselnd gespielt von Mitgliedern des Thalia Theater-Ensembles und der Kirill & Friends Company) an seine Eltern, die gern in die Oper zu Massenets Werther gegangen sind, wo der Vater stets beim Selbstmordschuss Werthers aus dem Schlaf erwachte. Danach kommt des Geschehen allerdings weniger gut in Gang, sodass es sich bis zur Pause szenisch vor allem beim Lear etwas zieht, wobei die musikalische Untermalung für einiges entschädigt.

Nach der Pause beginnt es mit der Legende vom Baum der Wünsche, bei der ein junger Barde Leonard Cohens Halleluja intoniert und von den Wunschgierigen erst entkleidet, enthäutet und schließlich als Gerippe selbst an den Baum gehängt wird. Diese leicht schwarze Komik und Ironie wohnt auch der Szene mit der alternden Diva und ihrem Regisseur inne, die einem zahlungswilligen Sammler selbst noch das letzte Wort und den letzten Wimpernschlag der Diva (herrlich hier: Karin Neuhäuser) für die Finanzierung ihrer aufwendigen Kunstprojekte verkaufen. Eigensinniger Junge oder Genie, da wird auch mal mit Händen und Füßen gemalt. „Kein besseres Opfer als die Jugend. Kein reicheres Opfer als der menschliche Körper.“ wird in der Legende vom Sieger zelebriert. Das könnte das Credo dieses bildgewaltigen Abends sein. Am Ende stehen alle nochmal nacheinander als „Greis“ zu Paradjanovs Lagererinnerungen auf der Bühne. Da schlägt selbst der Besen, mit dem der Gefängnishof gefegt wird, Funken und brennt. Ein Feuer für alle politischen Gefangenen, denen Serebrennikov hiermit huldigt.




Legende am Thalia Theater Hamburg | Foto (C) Frol Podlesnyui

Stefan Bock - 1. Dezember 2024
ID 15036
LEGENDE (Thalia Theater Hamburg, 30.11.2024)
nach Motiven aus der Welt von Sergey Paradjanov

Regie, Bühne und Kostüme: Kirill Serebrennikov
Dramaturgie: Joachim Lux und Anna Shalashova
Komposition und musikalische Leitung: Daniil Orlov
Video: Ilya Shagalov
Choreografie: Ivan Estegneev und Evgeny Kulagin
Lichtdesign: Sergej Kuchar
Sounddesign: Sven Baumelt und Rustem Imamiev
Mit: Filipp Avdeev, Odin Biron, Campbell Caspary, Pascal Houdus, Felix Knopp, Svetlana Mamresheva, Karin Neuhäuser, Daniil Orlov, Falk Rockstroh, Gurgen Tsaturyan, Tilo Werner und Nikita Kukushkin
UA bei der RUHRTRIENNALE: 17. August 2024
Hamburger Premiere: 30.11.2024
Weitere Termine (n Hamburg): 08., 09.11./ 04., 05.12.2024// 04., 05.01./ 04., 05.02./ 20., 21.03.2025
Koproduktion mit der RUHRTRIENNALE und der Kirill & Friends Company


Weitere Infos siehe auch: https://www.thalia-theater.de/


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