Brechts Szenen aus dem Dreißigjährigen Krieg mit einem rein weiblichen Ensemble
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(C) Esra Rotthoff
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Bewertung:
Mit Bertolt Brechts Antikriegsstück Mutter Courage und ihre Kinder über die geschäftstüchtige Marketenderin Anna Fierling, genannte die Courage, setzt Regisseur Oliver Frljić, der seit dieser Spielzeit auch Teil der künstlerischen Leitung am Gorki Theater ist, seine auf drei Teile ausgelegte „Kriegstrilogie“ fort. Im 1. Teil im April diesen Jahres hatte Frljić Büchners Revolutionsstück Dantons Tod mit Euripides Tragödie Iphigenie über deren Opferung für guten Wind der Griechen im Feldzug gegen Troja kurzgeschlossen. Eine offene Anklage gegen Ideologen und Kriegstreiber als Reaktion auf den damals gerade zweimonatigen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine, aber auch ein zynischer Abgesang auf Vernunft, Aufklärung und jegliche Revolutionsfolklore. Am Ende zuckte das vierköpfige rein weibliche Ensemble unter Maschinengewehrsalven und Gelächter aus dem Off minutenlang nur still auf Stühlen sitzend mit den Schultern. Eine regelrechte Zumutung für das Publikum, wie sie Oliver Frljić als bewusste Provokation sehr oft in seinen Inszenierungen einsetzt.
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Brechts Stück spielt bekanntlich im Dreißigjährigen Krieg. Mutter Courage versucht sich mit dem Krieg und seinen oft wechselnden Fronten zu arrangieren und verliert dabei nach und nach ihre drei Kinder. Brecht wollte das auch als Warnung verstehen, kein Geschäft mit dem Krieg machen zu wollen, wie es einige europäische Länder im Zweiten Weltkrieg versuchten. Letztendlich wie immer bei Brecht auch eine Kritik am Kapitalismus, den er als Hauptursache für Kriege sah. Auch Putins Krieg ist ein Wirtschaftskrieg gegen Europa, ein bewaffneter Streit um ökonomische Einflusszonen, natürlich verbrämt mit nationalistischen Großmachtphantasien. Hitler ist da nicht mehr allzu weit weg.
So möchte man zumindest meinen, wenn man den Vorschautext auf der Gorki-Website liest, wo davon die Rede ist „Querverbindungen zwischen Krieg, Faschismus und Kapitalismus in den Blick zu nehmen“. Frljić spielt Brechts Stück zwar stark gekürzt in 11 der 12 Bilder dann aber doch recht textgetreu vom Blatt, was nicht unbedingt erwartbar war, aber in der kurzen, konzentrierten Fassung doch größtenteils überzeugt. Grandios schon das erste Bild, in dem die Courage in einem Tarnnetz gewandet den zwei Werbern gegenübersteht, ihre Kinder unter dem Camouflage versteckend, das in der Auflösung aber auch den Planwagen darstellt, den die drei Kinder wie im Geschirr ziehen. Schon hier gehen die Darstellerinnen buchstäblich über Leichen, die als Säcke unter ihnen liegen.
Das Tarnnetz macht die Courage über den ganzen Abend kenntlich, da die Rolle von Bild zu Bild auch wechselt. Das Ensemble ist wieder rein weiblich besetzt und dazu recht international, was natürlich auch gut zum Stück passt. Frljić legt den Fokus auf die Szenen, in denen die Courage um ihre Ware handelt und dabei auch um das Leben ihrer Kinder feilscht, was im Fall des Schweizerkas dann auch schief geht. Ein düsterer Bescheid auf die Titelfigur, die auch mal „Hyäne des Krieges“ genannt wird, und die Verhältnisse, die sie dazu zwingen. Da werden Leichen gefleddert und eine Babypuppe im Eimer herumgereicht. Genauso düster ist die Bühne von Igor Pauška, die meistens leer nur durch die Leichenpuppen, die auch mal von der Decke hängen, bevölkert wird. Sehr plakativ auch ein Reigen von Särgen. Frljić bleibt sich da treu, die Schrecken des Krieges auch immer wieder so zu bebildern.
Er lenkt aber fast noch mehr als Brecht mit der Besetzung explizit den Blick auf die Frauen im Krieg. Einzige Fremdeinspielung ist ein arabisches Lied, das neben dem Lied der Courage (Musik: Paul Dessau) zu hören ist. Die Musik kommt hier vom Band in einer recht düsteren Elektro-Version. Daneben setzt Frljić aber auch auf einige Originaleinspielungen der Brecht-Inszenierung mit Helene Weigel als Mutter Courage. So endet der Abend mit ihren Schlussworten aus dem Off: „Ich muß wieder in'n Handel kommen.“ Der Abend zeigt den Krieg als „Einnahmequelle“ aber auch sehr eindrücklich als großes Elend für die Zivilbevölkerung. Mehr Gegenwartsbezüge braucht es da nicht.
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Stefan Bock - 10. Oktober 2022 ID 13848
MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER (Maxim Gorki Theater, 09.10.2022)
2. Teil der Kriegstrilogie
Regie: Oliver Frljić
Bühne: Igor Pauška
Kostüme: Katrin Wolfermann
Musikalische Leitung: Daniel Regenberg
Dramaturgie: Simon Meienreis und Johannes Kirsten
Mit: Maryam Abu Khaled, Yanina Cerón, Lea Draeger, Kenda Hmeidan, Abak Safaei-Rad und Çiğdem Teke
Premiere war am 9. Oktober 2022.
Weitere Termine: 12., 30.10./ 14.11.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de
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