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Premierenkritik

„the love

that dare

not speak

its name“



Georgette Dee als Wildes Mutter und Yascha Finn Nolting als Oscar Wilde in Die Märchen des Oscar Wilde erzählt im Zuchthaus zu Reading am Düsseldorfer Schauspielhaus | Foto © Thomas Rabsch

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Liberalität, Individualismus und Menschlichkeit stehen in unserer heutigen Zeit auf dem Prüfstand, da Demokratien angesichts neuer politischer Realitäten schwächeln. In den USA wurde so in den letzten Wochen durch zahlreiche Maßnahmen ein Schutz von sexuellen Minderheiten abgebaut und bigotte Moralvorstellungen werden wieder hochgehalten. Hierzulande wird Homosexualität oft als Privatsache abgetan oder verschwiegen, wie etwa jüngst am Beispiel der AfD-Kanzlerkandidatin, die trotz ihrer Lebensrealität für Rückschrittlichkeit und gegen Diversitäten eintritt.

Oscar Wilde (1854-1900), im viktorianischen England der wohl bekannteste Dichter, saß 1895, verurteilt wegen Sodomie, in einer Gefängniszelle in Reading. Der einstige glamouröse Freigeist und exzentrische Dandy war zu zwei Jahren harter Zwangsarbeit wegen „grober Unzucht“ bei unmenschlichen Haftbedingungen verurteilt. Er wurde öffentlich gedemütigt, als Häftling C33 im Gefängnis körperlich gezüchtigt und von seinem Geliebten verlassen. Dem schillernden Romancier und Dramatiker wurde das Schreiben verboten, und er musste Teile seiner Strafe in Isolationshaft verbringen.

Graue hohe Wände rotieren auf der schattenhaft mit Türen, Gerüsten und einem kleinen Gitterfenster ausgestatteten Drehbühne von Ansgar Prüwer. Am Düsseldorfer Schauspielhaus verbindet Regisseur André Kaczmarczyk in seiner Collage Die Märchen des Oscar Wilde erzählt im Zuchthaus zu Reading den Blickwinkel des Gefangenen mit Fantasien aus Wildes Märchen, Erzählungen, Romanen, Gedichten, Dramen oder Briefen. Die Gegenwart trifft dabei auf Parallelen oder träumerische Erinnerungen aus der Vergangenheit. Auch Zitate und Erinnerungen aus Wildes Zeit als Häftling in Reading werden szenisch nachgestellt, wie protokollierte Kreuzverhöre der Gerichtsprozesse nach historischen Dokumenten.

Poetische Fluchtträume stehen neben der harten Gefängnisrealität, wenn Kaczmarczyk szenisch Wildes Märchen vor dem Hintergrund seiner Haft andeutet. Der Figur eines Wärters, Thomas Martin (Thomas Wittmann), wird nach einem realen Vorbild eine fürsorgliche Rolle zuteil. Historischen Quellen zufolge wurde Martin in Reading entlassen, weil er Häftlingen durch menschliche Gesten ihre Haft erleichterte. In Kaczmarczyks Inszenierung erzählt Oscar Wilde ihm aus der Isolation heraus ausgewählte, selbst geschriebene Kunstmärchen.

Wir sehen die Hauptfigur, wie sie einsam in einer Zelle gebückt steht und sich windet, bis der Wärter Martin hinzutritt. Mit choreographischen Einlagen, schillernden Kostümen und hintergründigen Witz bringen dann die Märchen Farbigkeit in das düstere Geschehen. Doch auch Wildes Märchen, die im Kern Menschenliebe behandeln, enden stets traurig. Die Märchenfiguren verfolgen absurde Ideen, zeigen sich verletzlich, werden geläutert oder treten voller Mitgefühl für andere ein: Ein verliebter Student möchte die Gunst seines Schwarms mit einer roten Rose für sich gewinnen. Eine selbstlos liebende Nachtigall singt sich zu Tode und sticht sich mit einem Dorn ins Herz. Ein Prinz verschenkt seine Besitztümer an ihm unbekannte Notleidende.

In einigen starken Rückblenden sehen wir, wie Vertraute Wildes ihn dazu drängen in Länder zu fliehen, wo homosexuelle Handlungen nicht verfolgt werden. Sie haben sogar Fluchtwege für ihn vorbereitet. Doch der exaltierte Künstler weigert sich narzisstisch gekränkt und geht stolz erhobenen Hauptes in den Gerichtssaal. Der Prozess selbst, in dem Carson (Sebastian Tessenow), der Anwalt der Gegenseite, Wilde regelmäßig umkreist und ihn brutal etwa zu sexuellen Handlungen mit teils minderjährigen Prostituierten befragt, ist szenisch ergreifend.

Musikalisch wird die Aufführung unter der Leitung des Komponisten Matts Johan Leenders stimmungsvoll harmonisch, fließend und leicht durch ein kammermusikalisch besetztes Ensemble unter anderem auf einem Flügel, mehreren Streichinstrumenten, einem Cello und einer japanischen Trommel begleitet. Treibende Percussion-Rhythmen wechseln mit drängenden Streichmelodien. Der Duktus, die Akkorde und Melodien werden dabei mitunter durch effektvollen mehrstimmigen Gesang getragen. Leenders arbeitete mit Kaczmarczyk bereits in Cabaret eng zusammen, bei dem der Regisseur und Schauspieler gleich selbst die Rolle des Conférenciers verkörperte. Auch hier ging es um queere Menschen, politischen Kampf, Selbstverleugnung oder Selbstbehauptung.

Die bekannte Berliner Kabarettsängerin und Diseuse Georgette Dee spielt und singt Wildes Mutter und einige Märchenfiguren mit melancholisch betörender Emphase. Sie überzeugt durch tiefes Timbre, sonore Präsenz und schöne vokale Linien. Auch Yascha Finn Nolting, der die Titelfigur verkörpert, performt ausdrucksstark und singt leidenschaftlich weich und warm die neu komponierte Songs. Bemerkenswert ist weiterhin die gesangliche Leistung von Michael Fünfschilling mit strahlend weichem Bariton in der Rolle der Nachtigall. Die Diktion der Gesangsbeiträge ist nicht immer gut textverständlich.

Die Märchen des Oscar Wilde erzählt im Zuchthaus zu Reading mit einer Dauer von etwa drei Stunden (inklusive einer Pause) ist ein opulent schwelgerisches Plädoyer für die Freiheit. Eine ästhetische Überhöhung durch Show-Glamour kommt in dieser Inszenierung nicht zu kurz, wenn die Figuren mit Federboas, Pailletten, Fächern und in Samt und High Heels prächtig geschmückt auftreten. Das aufwendige Traumspiel, das Wilde als schillernde Persönlichkeit, kühnen Ausnahmekünstler und queere Ikone würdigt, hinterlässt einen ergreifenden Eindruck.



Die Märchen des Oscar Wilde erzählt im Zuchthaus zu Reading am Düsseldorfer Schauspielhaus | Foto © Thomas Rabsch

Ansgar Skoda – 14. März 2025
ID 15186
DIE MÄRCHEN DES OSCAR WILDE ERZÄHLT IM ZUCHTHAUS ZU READING (Düsseldorfer Schauspielhaus, 08.03.2025)
Regie: André Kaczmarczyk
Musik: Matts Johan Leenders
Bühne: Ansgar Prüwer
Kostüm: Martina Lebert
Licht: Konstantin Sonneson
Dramaturgie: Janine Ortiz
Mit: Yascha Finn Nolting (als Oscar Wilde) sowie Thomas Wittmann, Anya Fischer, Sarah Steinbach, Luise Zieger, Raphael Gehrmann, Elias Nagel, Sebastian Tessenow, Thiemo Schwarz, Michael Fünfschilling, Roman Wieland, Markus Danzeisen. Eray Gülay, Igor Meneses Sousa und Georgette Dee u.v.a.
Premiere war am 8. März 2024.
Weitere Termine: 25.03./ 04., 14., 20.04./ 10.05.2025

Weitere Infos siehe auch: https://www.dhaus.de


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