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Premierenkritik

Phädras Leiden



Phädra, in Flammen - am Burgtheater Wien | Foto (C) Marcella Ruiz Cruz

Bewertung:    



Weniger bühnenwirksam kann ein Theaterstück kaum beginnen. Uraufgeführt wurde Phädra, in Flammen der in Berlin lebenden georgischen Erfolgsautorin Nino Haratischwili im Mai dieses Jahres am Berliner Ensemble. Jetzt folgte im Kleinen Haus des Burgtheaters, am Akademietheater, die österreichische Erstaufführung in der Regie von Tina Lanik. Phädra (Sophie von Kesssel), inklusive Perücke ganz in Rot, hockt mit gespreizten Beinen am Boden und monologisiert. Sie erinnert an die femmes fatales des Jugendstils, aber auch an Andrea Jonasson. Ihre Sprache changiert zwischen hohem Stil und Vulgarität: „Die Königin ist dem Überdruss entflohen. Sie steht auf der Terrasse und lässt sich volllaufen.“ Oder Phädra persönlich: „Ariadne, die mir schon mit 13 erzählt hat, dass sie auf nichts so neugierig sei, wie auf das Gefühl, einen Schwanz zwischen ihren Beinen zu spüren.“

Haratischwili hat den Phädra-Stoff, wie wir ihn von Euripides oder von Racine kennen (unvergessen Peter Steins Inszenierung mit Jutta Lampe und Libgart Schwarz) – nein, nicht überschrieben, sondern im Geist der Gender-Mode neu erfunden (und so gegen Kritik von Männern immunisiert). Die Gliederung folgt den Phasen des Mondes, der im Hintergrund riesengroß auf- und untergeht. Aus dem Lautsprecher ertönt eine Stimme, die in guter Tradition des epischen Theaters einen Erzähler herbeizaubert: „unter uns gesagt“; „Es ist keine lyrische Stimmung, also steht hier auch nichts Lyrisches.“

Phädras Gegenspielerin Persea (Dagna Litzenberger Vinet) ist von den Füßen bis zu den Schultern tätowiert. Ein Zeichen von Jugend, wo sich in den Freibädern die beleibten Siebzigjährigen mit üppigen Tattoos präsentieren? Jede Geste, jede Bewegung erfolgt wie auf Knopfdruck. Schon klar: realistisch will diese Inszenierung nicht sein. Aber der Steg zwischen Stilisierung und Unbeholfenheit ist schmal. Die Hände hängen, außer beim Hohepriester (Philipp Hauß), der einzigen lebendigen Figur dieser Aufführung, neben den Oberschenkeln oder ruhen auf diesen. Das Moderne dieser Inszenierung berührt sich auf seltsame Weise mit dem Deklamationstheater des 18. Jahrhunderts. Statisten füllen stumm die Lücken zwischen den „Solisten“.

Die Protagonisten treten in Rotlicht wie in einem Fotolabor auf. Am Ende leidet die überrumpelte Phädra vor sich hin. Darauf also läuft es hinaus.

Das Sprechtheater ist tot? An Dialog mangelt es dieser Aufführung nicht. Wohl aber an Aktion. Und die Bezüge zur georgischen Realität? Sie bleiben Behauptung. Zu sehen ist davon auf der Wiener Bühne: nichts.



Phädra, in Flammen - am Burgtheater Wien | Foto (C) Marcella Ruiz Cruz

Thomas Rothschild - 8. Oktober 2023
ID 14422
PHÄDRA, IN FLAMMEN(Akademiethater, 07.10.2023)
von Nino Haratischwili

Regie: Tina Lanik
Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier
Musik: Electric Indigo
Licht: Michael Hofer
Dramaturgie: Jeroen Berstellep
Besetzung:
Phädra ... Sophie von Kessel
Theseus ... Ernest Allan Hausmann
Demophon ... Julian von Hansemann
Acamas ... Etienne Halsdorf
Persea ... Dagna Litzenberger Vinet
Panopeus ... Philipp Hauß
UA bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen: 25. Mai 2023
Premiere am Burgtheater Wien: 7. Oktober 2023
Weitere Termine: 16., 24.10./ 09., 16., 20.11.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.burgtheater.at/


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