Queer Lear
im Weltall
oder
Endstation
Bushaltestelle
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Corinna Harfouch als Queen Lear | Foto (C) Esra Rotthoff
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Bewertung:
Shakespeares Tragödien-Klassiker King Lear sei schon frauenfeindlich, meint der Theaterregisseur Christian Weise. Die jüngste Tochter Cordelia sei gut und wichtig, spiele im weiteren Verlauf des Stücks aber kaum noch eine Rolle, und die anderen beiden als die starken Frauenrollen des Stücks sind nur bösartig und gemein. Das ist zuvor schon anderen aufgefallen. Die Besetzungslisten der jüngeren Inszenierungs-Geschichte tragen dem auch Rechnung und tauschen in den Rollen hier und da die Geschlechter. So ist etwa Wiebke Puls an den Münchner Kammerspielen als Gräfin Gloucester zu sehen. Den bezüglich der bösen Schwestern feministisch neu gedeuteten Text lieferte der Dramatiker Thomas Melle. Auch Karin Beier änderte am Deutschen Schauspielhaus Hamburg bei einigen Rollen ihres King Lear die Geschlechter. Und auch Lear muss nicht unbedingt von einem Mann gespielt werden. Es muss ja auch nicht zwingend „King“ Lear heißen. Christian Weise nennt seine Version des Shakespeare-Dramas daher nun sogar Queen Lear und rennt damit eigentlich offene Türen ein.
Bei dieser Besetzungsidee ist der Regisseur nicht stehen geblieben. Auch hier gibt es eine Gräfin Bossy Gloster (Catherine Stoyan). Sister Eddi (Svenja Liesau) ist ihre gute Tochter, und Proud Boy Edmund (Aram Tasfreshian) heißt der intrigante Bastardsohn. Die Lear-Familie besteht aus Prince Goneril (Tim Freudensprung), Renegade Regan (Emre Aksızoğlu) und der jüngsten Tochter Charming Cordelia (Yanina Cerón). Und auch der getreue Graf Kent (Fabian Hagen für den kurzfristig erkrankten Lindy Larsson) nennt sich nach seiner Verbannung „menstruierender Mensch“ und wechselt ins eher unbestimmte Geschlecht eines queeren „she/they/them“. Den entsprechend modernisierten Text zur Inszenierung lieferte der unter dem Autorenpseudonym Soeren Voima schreibende und hin und wieder auch schauspielernde Schaubühnendramaturg Christian Tschirner.
Bevor es aber endlich losgeht, wird zu Beginn von Fabian Hagen noch eine sogenannte Trigger-Warnung ausgegeben. Es könne zu fürchterlichen Szenen aller Arten von Gewalt oder sogar Folter kommen. Die Androhung von Folter trifft es dann auch ziemlich genau. Dass man zunächst nur ein Live-Filmchen von den hinter einer Video-Leinwand gespielten Szenen zu sehen bekommt, daran ist man mittlerweile fast schon gewöhnt. Die Live-Filmästhetik vor aufgemalten Pappkulissen kennen einige sicher schon von Vegard Vinge und Ida Müller aus dem Volksbühnen-Prater. Allerdings hat sich die Mannschaft um die von Gaststar Corinna Harfouch gespielte Queen Lear in die Weiten des Weltalls verirrt. Die Queen ist ein herrisch knarzender Darth-Vader-Verschnitt, der im Raumschiff die Erde in drei Kuchenstücke teilt. Charming Cordelia (mit Prinzessin-Lea-Schneckenzöpfen) geht wegen Unbotmäßigkeit beim Liebesgeheuchel bekanntlich leer aus und ist dann auch hier fast den ganzen Abend nicht mehr zu sehen. Und auch ansonsten bleibt der Plot recht nah an Shakespeare.
Nur machen Regisseur und Autor die Tragödie um den alternden Herrscher zu einer mäßig witzigen Weltraumklamotte, in der Laserschwerter gezückt werden und die Queen mit ihrem Hofstaat bestehend aus Clerk Kent und ihrem Narren von Planet zu Planet fliegt. Oscar Olivio trägt Yoda-Ohren und wird gleich Clown genannt. Bei der Absonderung von ulkigen Weisheiten übertrifft ihn nur noch Svenja Liesau, die nach der Pause als Armer Eddi wie immer ihre Solo-Show bekommt, sich das Haltestellenschild hinter dem Gorki Theater greift und auf nun videobefreiter Bühne durch den Rest des Abends berlinert. Die in geistiger Umnachtung über die Bühne geisternde Queen Lear ist da fast nur noch Nebensache. Zu ihrem eigenen Geisteszustand verkündet Lisau irgendwann, dass da bei ihr oben keiner mehr zu Hause sei, „alle unbekannt verzogen“. Ach ja, wirklich? Ob das Gorki nun auch von allen guten Theater-Geistern verlassen ist, darf man sich da schon mal allen Ernstes fragen. Nach einigen hochgelobten Inszenierungen über Queernis, Gender-Diskurs und Cancel Culture scheint man nun am Gorki Theater zum ironischen Teil mit blank geputztem Gendersternchen übergangen zu sein.
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Stefan Bock - 22. Februar 2022 ID 13483
QUEEN LEAR (Maxim Gorki Theater, 20.02.2022)
nach William Shakespeare in einer Bearbeitung von Soeren Voima
Regie: Christian Weise
Bühne: Julia Oschatz
Kostüme: Paula Wellmann
Musik: Jens Dohle
Dramaturgie: Maria Viktoria Linke
Mit: Emre Aksızoğlu, Mazen Aljubbeh, Yanina Cerón, Tim Freudensprung, Fabian Hagen, Corinna Harfouch, Svenja Liesau, Oscar Olivo, Catherine Stoyan und Aram Tafreshian
Premiere war am 20. Februar 2022.
Weitere Termine: 05., 06., 19., 20.03. / 17.04. / 01.05. / 12.06.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de/de/
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