Ein Pferd
per Telefon
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André Kaczmarczyk als Richard III. am Düsseldorfer Schauspielhaus | Foto (C) Thomas Rabsch
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Bewertung:
So kurz war Richard III. selten. Keine zwei Stunden dauert er am Düsseldorfer Schauspielhaus in der Regie von Evgeny Titov. Das reicht aber auch.
Um es frank und frei zu sagen: Die Zweifel an der Berechtigung für das fast automatische Lob, das die rasche Karriere des in Kasachstan geborenen Regisseurs begleitet, haben sich verstärkt. Dieser Richard ist im besten Fall originell, eher schon modisch. Intelligent ist er nicht.
Die Titelrolle spielt der Düsseldorfer Publikumsliebling André Kaczmarczyk [vgl. auch seinen Macbeth vor zwei Jahren]. Wer könnte zu solch einem Angebot auch nein sagen. Es kommt gleich nach Hamlet und Lear. Kaczmarczyks Richard ist nicht böse, sondern komisch, Wilhelm Buschs drahtiger Lehrer Lämpel als Übeltäter. Er trägt Plateausohlen ohne Absätze, damit ihm das Humpeln leichter fällt.
Lord Hastings ist in Düsseldorf eine Frau. Sie schleicht sich auf die Bühne, noch ehe Richard die berühmte Genitivmetapher vom Winter des Missvergnügens, in der benutzten Übersetzung von Thomas Brasch der Bitternis, aussprechen darf. Der hockt verhüllt wie ein trotziges Kind in der Ecke, um sich gleich darauf in seiner hageren Nacktheit zu zeigen.
Nach dem Tod Edwards IV. zieht Richard dessen Sarg hinter sich her wie Sergio Corbuccis Django den seinen. Den Verstorbenen betrauert er heuchlerisch mit Damenhut und Schleier.
Lady Anne sieht aus wie Elisabeth I., die ihre Regentschaft fast ein Jahrhundert nach dem Zeitpunkt der Handlung angetreten hat. Aber historische Authentizität ist ohnedies nicht gewollt. Der Regisseur und seine Mitarbeiter schaffen sich ihr eigenes theatrales Universum. Sehr eigen. Mit Shakespeare nur entfernt verwandt.
Titovs Frauen sind quer durch die Geschichte nicht so sehr Opfer wie Beteiligte am Ränkespiel, Kolaborateurinnen und Profiteure der Missetaten. Sein Richard fällt nicht in der Schlacht – die feindlichen Krieger wurden in Düsseldorf allesamt zugunsten der komprimierten Spielzeit wegeskamotiert –, sondern durch die grausame Rache der vereinigten, in schwarz gekleideten Frauen (der nicht ganz lustigen Weiber von London), Hastings inklusive, vor einer Wand mit Monitoren, die ihn und das blutrünstige Geschehen, pardauz, in die Gegenwart versetzen. Dann hebt der Bösewicht den Telefonhörer ab und spricht, ehe er stirbt, jenen Satz, den wir ebenso wenig vermissen wollen wie den Winter von ehschonwissen: "Ein Pferd! ein Pferd! mein Königreich für 'n Pferd."
Die Bühne präsentiert sich grau in grau, schäbig, in kaltem Licht. Mehr war von diesem Richard III. auch nicht zu erwarten. Schon wahr: so haben wir ihn noch nie gesehen. So originell, so modisch. Hat uns etwas gefehlt?
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André Kaczmarczyk (als Titelfigur) und Blanka Winkler (als Hastings) in Richard III. am Düsseldorfer Schauspielhaus | Foto (C) Thomas Rabsch
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Thomas Rothschild – 3. September 2023 ID 14369
RICHARD III. (Düsseldorfer Schauspielhaus, 02.09.2023)
Regie: Evgeny Titov
Bühne: Etienne Pluss
Kostüm: Esther Bialas
Musik und Video: Moritz Wallmüller
Licht: Konstantin Sonneson
Dramaturgie: Janine Ortiz
Besetzung:
Richard ... André Kaczmarczyk
Königin Elisabeth ... Judith Rosmair
Königin Margaret ... Friederike Wagner
Herzogin von York ... Manuela Alphons
Lady Anne ... Claudia Hübbecker
Hastings ... Blanka Winkler
Lady Rivers ... Pauline Kästner
u.a.
Premiere war am 2. September 2023.
Weitere Termine: 07., 10.09./ 01., 06., 14., 16.10.2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.dhaus.de
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