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Premierenkritik

Oratorium

des Untergangs



Das Schiff der Träume (fährt einfach weiter) am DT Berlin | (C) Eike Walkenhorst

Bewertung:    



Das Deutsche Theater möchte zum Spielzeitauftakt „Flagge für die Kunst“ zeigen. Mit anderen Theater- und Opernhäusern der Stadt schließt es sich dem Aufruf des Deutschen Bühnenvereins „Berliner Kultur in der Haushaltskrise schützen“ an. Bekanntlich muss der Berliner Senat sparen und hat eine Kürzung des Haushalts resortübergreifend um 10 Prozent angekündigt. Es sieht nicht so aus, als würde sich der Kultursenator Joe Chialo diesem Diktat widersetzen können. Auf der Bühne des Deutschen Theater appellierte Intendantin Iris Laufenberg an das Premierenpublikum, diesen Aufruf an den Regierenden Bürgermeister und den Kultursenator mit einer Unterschrift zu unterstützen. Kunst und Kultur sind auch Tourismusträger für die klamme Stadt Berlin. Aber neben dem Etat für die künstlerische Ausstattung von Opern- und Theaterproduktionen an den großen Häusern dürften die Kürzungen im Kulturbereich vor allem die Freie Szene treffen. Auch das merkte Iris Laufenberg an. Es geht also um Solidarität in der Kulturszene. Ein hehres Wort, das immer wieder gern benutzt wird.

*

Doch wie sieht es damit in der Realität aus? Da passt die erste Inszenierung der Saison am DT wie die Faust auf das schon etwas dämmrige Auge. Auf dem Programm steht Das Schiff der Träume (fährt einfach weiter) nach Federico Fellinis E la nave va. In dem 1983 gedrehten Filmklassiker versammelt sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs eine illustre und glamouröse Gesellschaft aus Künstlern und Verehrern auf dem Ozeandampfer Gloria N., um die Asche einer verstorbenen Operndiva vor einer Insel im Mittelmeer zu verstreuen. Diese Repräsentanten der dem baldigen Untergang geweihten Donau-Monarchie treffen auf eine Gruppe schiffbrüchiger serbischer Flüchtlinge, denen sie kurzzeitig Zuflucht auf dem Schiff gewähren, bevor sie sie später einem österreich-ungarischen Kriegsschiff ausliefern. Dabei kommt es zur Torpedierung des Ozeandampfers, der daraufhin untergeht.

Fellini spielte hier auf den Untergang des alten Europa nach dem Ersten Weltkrieg an. Eine wie im Traum um sich selbst kreisende Gesellschaft verliert den Blick für die Wirklichkeit. Das ist natürlich opulent und fantastisch in Szene gesetzt mit Nashorn im Unterdeck, hypnotischem Gesang, einem großen Sängerwettstreit und einer Musik mit Farben assoziierenden blinden Principessa (gespielt von Pina Bausch). 2015/16 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in Deutschland entdeckte das Theater den Filmstoff neu für die Bühne. Karin Beier inszenierte in Hamburg ein großes Konzert , bei dem auch afrikanische Künstler mit im Boot waren. Jan Gehler hielt sich dagegen in Dresden relativ getreu an den Filmplot.

Fellinis Figuren treffen wir auch in der Inszenierung von Anna Bergmann am Deutschen Theater wieder. Die Regisseurin ist knapp drei Wochen vor der Premiere für die erkrankte Claudia Bauer eingesprungen. Bühne, Kostüme und Text waren da schon fertig. Die Größe des inszenatorischen Eingriffs von Anna Bergmann lässt sich da nur schwer beziffern.

Es sieht schon wie eine originale Claudia-Bauer-Produktion aus. Das Team besteht auch aus den bekannten künstlerischen Mitstreitern. Andreas Auerbach hat den Rundhorizont mit weißen Tüchern verhängt und nachdem sich der eiserne Vorhang hebt, sieht man das Personal erstmal nur durch einen Fadenvorhang. Darauf und später auf die Rückwand lassen sich live gedrehte Filmaufnahmen projizieren (Live-Video: Dorian Sor / Videodesign: Jan Speckenbach). Später gibt es auch hölzerne Transportkisten, die als Passagier-Kabinen dienen, aber auch kleine Künstlergarderoben sein könnten. Aus Künstlern besteht ja auch zum großen Teil die Schiffsgesellschaft. Vanessa Rust hat das Ensemble in glamouröse Kostüme gesteckt und wie in Schwitters Ursonate zum Teil mit herrlich verrückten Turmfrisuren ausstaffiert. Als Journalist Orlando führt Anja Schneider zu Beginn in die Handlung ein und kommentiert auch im Weiteren das Geschehen. Es ist von Stille und Tod, Trauerzug und Abgesang die Rede. Da ist schon am Anfang klar, wo das Ganze enden wird.

Ganz anders geriert sich das Stückpersonal. Große Show für große Diven. Allen voran Countertenor Hubert Wild als Sängerin Ildebranda Cuffari, die ihre Tochter Monica (Julia Gräfner) als talentlos bezeichnet und selbst weiß, dass sie nie an die göttliche Edmea Tetua heranreichen wird. Die tote Diva (Sina Kießling) geistert ganz in Blau über die Bühne und singt auch mal den "Cold Song" aus Purcells King Arthur. Die übrige Musik hat Peer Baierlein komponiert und mit den drei Live-Musikern einstudiert. Der Komiker Sabatino Lepori (Janek Maudrich) ist ein Clown mit überdimensionalen Händen, der ein ernsthafter Künstler sein will. Der Conte di Bassano (Moritz Kienemann) ein eitler Fatzke, der Großherzog (Julia Gräfner) ein großes Kind in Uniform, das mit Pistolen herumspielt. Und auch die anderen Passagiere ergehen sich in Prahlerei und Eifersüchteleien. So viel zur anfänglichen Solidarität. Jammern auf hohem Niveau. Da legt der Abend den Finger in die Wunde.

Einmal geht es in die Unterbühne zum Nashorn (Julia Gräfner mit großem Pappkopf). Lediglich von den aufgenommenen Flüchtlingen ist nur in den Erzählungen Orlandos die Rede. Anja Schneider raunt von der internationalen Lage, von Flut und Weltgericht. Die Texte dazu hat der Dramatiker Thomas Perle geschrieben. „Diese Gesellschaft weiß nur sich selbst zu bedauern“, könnte der Hinweis in die Gegenwart sein. „Wann hat das angefangen?“ Die Datumsangaben bringen die Weltkriege mit dem 11. September, dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und dem Terrorangriff der Hamas auf Israel zusammen. Es folgt ein Hinweis auf das Mare Nostrum als Massengrab der Weltgeschichte. Schließlich finden sich alle auf leerer Bühne zum großen Untergangschoral zusammen. „Lebt wohl ihr Träume. Wir haben versagt.“ „Bleiben wird die Kunst.“ So sagt es zuvor die Untergangsgesellschaft. Hier überleben nur Möwe und Nashorn. Für die 90 Minuten ist das, wenn auch zutreffend, ein doch recht dünnes Fazit. Der Abend lebt allein durch seinen großen Schauwert. Wenn das in Zukunft auch noch weggespart werden soll, bleibt wohl tatsächlich nicht mehr viel.



Das Schiff der Träume (fährt einfach weiter) am DT Berlin | (C) Eike Walkenhorst

Stefan Bock - 27. September 2024
ID 14940
DAS SCHIFF DER TRÄUME (FÄHRT EINFACH WEITER) | Deutsches Theater Berlin, 26.09.2024
nach Federico Fellinis E la nave va
Texte von Thomas Perle & Ensemble

Regie: Anna Bergmann
Bühne: Andreas Auerbach
Kostüme: Vanessa Rust
Musikalische Leitung, Komposition: Peer Baierlein
Videodesign: Jan Speckenbach
Live-Video: Dorian Sor
Dramaturgie: Daniel Richter
Mit: Julia Gräfner, Anastasia Gubareva, Moritz Kienemann, Sina Kießling, Florian Köhler, Janek Maudrich, Anja Schneider, Mathilda Switala und Hubert Wild sowie den Live-Musikern Rieko Okuda und Samuel Hall
Premiere war am 26. September 2024.
Weitere Termine: 29.09. / 02., 19., 23., 28.10.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


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