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Premierenkritik

Kleine

Horror-

Show



Ulrike Maria Stuart von Elfriede Jelinek - am DT Berlin | Foto (C) Eike Walkenhorst

Bewertung:    



„Es ist spannend und leider traurig, dass Jelineks Text von 2006 so an Aktualität gewinnt in Deutschland.“ So die Regisseurin Pınar Karabulut zur Frage, wieviel Gegenwart in Elfriede Jelineks Stück Ulrike Maria Stuart, einer bitter-ironischen Abrechnung mit der linken Ideologie der Roten Armee Fraktion (RAF), noch steckt. Abgedruckt ist das Interview im Programmheft zu Karabuluts Inszenierung des 2006 von Nicolas Stemann am Thalia Theater Hamburg uraufgeführten Stücks. Stemanns zum Theatertreffen eingeladene Uraufführungsinszenierung wurde 2007 ebenfalls hier auf der Bühne des Deutschen Theaters gezeigt. Man könnte sie als legendär und nie wieder erreicht bezeichnen. Stemann hatte den Chor der Untoten der deutschen Geschichte mit Masken von damals politische, wirtschaftliche und Meinungs-Macht ausübenden Männern wie Gerhard Schröder, Kai Diekmann, Josef Ackermann und Johannes B. Kerner auftreten lassen.

Das könnte man sicher heute auch noch so machen, nur dass es momentan sicher nicht so einfach sein dürfte, bei all den anliegenden Problemen, sich für ein paar Personen oder politische Meinungen, die es zu kritisieren gilt, entscheiden zu müssen. Im Interview erwähnt Pınar Karabulut auch den jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Meinung zu mehr Abschiebungen. Aktuell sei auch die Frage nach den Formen der Legitimation von Gewalt, sagt die junge Regisseurin, und fragt sich zum „vor sich hin köchelnden Hass“ in Deutschland: „Ist das nicht schon ein Grund, auf die Straße zu gehen und eine anarchistische, radikale Gruppe zu gründen?“ Dass es auch anders gehen könnte, lassen zumindest die vielen Demonstrationen gegen die erstarkende AfD in letzter Zeit erhoffen.

Letztendlich bleibt die Frage, warum sich Pınar Karabulut gerade für Jelineks RAF-Abrechnung entschieden hat. Es hätte genauso gut auch Jelineks Text zum NSU-Prozess Das schweigende Mädchen sein können. Nur ließe sich damit kaum ein so schön gruseliges Zombietheater vor Friedhofsgrotte (Bühne: Michela Flück, Kostüme: Claudia Irro) veranstalten. Wie der Zufall so will, kam ganz unerwartet doch noch etwas Aktualität auf, da am Tag zuvor in Kreuzberg die Festnahme einer der letzten noch in Freiheit befindlichen RAF-TerroristInnen der 3. Generation geglückt war. Nur, wie steht es denn nun mit der Aufarbeitung linken und rechten Terrors in Deutschland?

Eine Frage, die auch die nur 70minütige Inszenierung von Pınar Karabulut nicht beantworten kann, außer mit einem Tanz der untoten Vampire, die sich zunächst hinter einem Gazevorhang mit Burgmauerapplikationen verstecken. Im Zentrum der Bühne hängt da noch ein rechteckiges Stahlrohrgerüst, das sich als Verließ und Isolationszelle der titelgebenden Ulrike Maria Stuart entpuppt. Jelinek hat in ihrem Stück den rhetorischen Kampf der beiden führenden RAF-Frauen Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof um die Macht in der Gruppe mit dem der beiden Königinnen Elisabeth I. und Maria Stuart aus Schillers Drama gespiegelt. Karabulut legt den Fokus fast ausschließlich auf diesen verbal nicht gerade feinen Schlagabtausch. Der Chor der Greise und die Prinzen im Tower, die die Staatsmacht und die zum revolutionären Kampf unfähige junge Generation verkörpern sollen, kommt nicht mehr vor. So von personifizierten Gegnern und ihren Kindern entkoppelt wird das zum reinen Wortduell zweier politisch-ideologischer Thesenträger.

Das ist natürlich auch vordergründig die Intension von Elfriede Jelinek. Nur wozu bedarf es dann noch eines dreiköpfigen Zombie-Chors (Katrija Lehmann, Daria von Loewenich, Caner Sunar), der aus den Gräbern der Gruft kriecht und - „Now it’s showtime!“ - ein wenig kleine Horrorshow zelebriert. Das ist ein zum Teil leider recht billiger und peinlicher Klamauk an der Rampe - sehr zum Vergnügen der anwesenden Fanbase des Produktionsteams. Überzeugen kann hier lediglich Regine Zimmermann als mit sich ringende Ulrike im Isolierkasten, was den Abend relativ vielversprechend beginnen lässt. Abak Safaei-Rad als Gegenspielerin Gudrun ist zumindest eine nicht minder glänzende Sparringspartnerin, auch wenn die körperlich stark choreografierten Paar-Szenen den übriggebliebenen, mit Bruchteilen von dokumentarischem Zitat-Material durchsetzten Jelinek-Text nicht aufwiegen. So ist der rein auf ästhetische Mittel setzende, inhaltlich aber magere Abend kaum zum Nachdenken über ideologisch motivierte Gewalt und eine gefährdete Demokratie geeignet.



Ulrike Maria Stuart am DT Berlin | Foto (C) Eike Walkenhorst

p. k. - 1. März 2024
ID 14641
ULRIKE MARIA STUART (Deutsches Theater Berlin, 28.02.2024)
von Elfriede Jelinek
Regie: Pınar Karabulut
Bühne: Michela Flück
Kostüme: Claudia Irro
Musik: Daniel Murena
Licht: Cornelia Gloth
Dramaturgie: Daniel Richter
Mit: Katrija Lehmann, Daria von Loewenich, Abak Safaei-Rad, Caner Sunar, Regine Zimmermann.
Premiere war am 28. Februar 2024.
Weitere Termine: 08., 12., 29.03.2024



Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


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