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Vor den Vätern sterben die Söhne nach Erzählungen von Thomas Brasch - am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
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Bewertung:
2021 jährte sich zum zwanzigsten Mal der Todestag von Thomas Brasch (1945-2001). Ein Jahr und einen Brasch-Film von Andreas Kleinert später hat sich Theaterregisseur Sebastian Hartmann Vor den Vätern sterben die Söhne, den 1977 im Rotbuch Verlag erschienenen Prosaband des deutschen Schriftstellers, Dramatikers und Übersetzers vorgenommen und am Staatsschauspiel Dresden einen für ihn typischen assoziationsreichen Theaterabend daraus gemacht. Für Brasch, der 1976 aus der DDR nach West-Berlin ausgereist war, bedeutete der Erzählband nach Jahren, in denen er in der DDR nichts veröffentlichen konnte, den literarischen Durchbruch. Es folgten etliche Theaterstücke, Gedichtbände, drei Kino- und ein TV-Film zu seinem vielleicht bekanntesten Theaterstück Mercedes. Braschs Übersetzungen von Shakespeare- und Tschechow-Stücken sind nach wie vor präsent auf den Bühnen.
Dass Thomas Brasch nicht nur in der DDR aneckte, beweist die legendär gewordene Dankesrede zur Verleihung des Bayrischen Filmpreises 1981 für Engel aus Eisen, in der er in Anwesenheit des Bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung dankte. Er sprach vom „Widerspruch der Künstler im Zeitalter des Geldes“, aber auch dass diese Widersprüche Hoffnungen sind, wenn man sich ihnen aussetzt. Eine „Zerreißprobe zwischen Korruption und Talent“, sich den Herrschenden mit seiner Kunst anzupassen oder für die absolute Freiheit der Kunst einzutreten. Das mag heute im vereinigten Deutschland so zugespitzt nicht mehr gelten, ist aber immer noch das Dilemma subventionierter Kunst, auch wenn es heute eher um verschiedene Ästhetiken als um politische Inhalte geht. Dass der Schauspieler Yassin Trabelsi, der erstmal an der Rampe nur provokant ins Publikum blickt, den Abend mit dieser Rede beginnt, mag Sebastian Hartmanns Wink an die Verächter wider den Kanon frei assoziierender Theaterkunst sein.
Wirklich neu und provokant sind seine Theatermittel aber auch nicht. Da wird zu Beginn viel rumgerannt, geschrien und live gefilmt, was sich hinter einer Wand im Hinteren der Bühne abspielt. Da steht eine Tafel, an der sich die sieben SchauspielerInnen mit Bier und Bockwurst vergnügen und so etwas wie den sozialistischen Arbeiter im permanenten Pausenmodus darstellen. Viktor Tremmel darf da auch den subversiven Brasch-Text Mit sozialistischem Gruß im breiten Wienerisch hinlegen. Bei diesen anfänglichen Chaosfestspielen, bei denen Marin Blülle auch ganz schnell alle Hüllen fallen lässt, will noch nicht so recht klar werden, worum es Hartmann bei seiner Inszenierung der Brasch-Erzählungen aus der real-sozialistischen Wirklichkeit eigentlich geht.
Um die anarchischen Arbeiterfiguren Ramtur, der seinem Direktor per Brief klar zu machen versucht, womit er seine Arbeitszeit, bei voller Zahlung des Gehalts natürlich, lieber verbringen würde, oder Fastnacht, der sich mit dem Geist von Marxengels auf dem Klo herumschlägt, sicher nur am Rande. Das würde sich auch nur zu einem mäßig lustigen Arbeiterkabarett eignen, wie es zum Teil in der 2013 am Anhaltischen Theater Dessauer herausgekommenen Fassung der Brasch-Erzählungen zu sehen war. Sebastian Hartmann will mehr. Er bringt das Leiden der Figuren am Leben und Lieben mit dem Leiden des Künstlers an sich in einen assoziativen Zusammenhang. Das große Thema Väter und Söhne ist ja auch das Thema von Brasch selbst, der, vom Vater verraten, aufgrund seines Protestes gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen zur Niederschlagung des Prager Frühlings inhaftiert und dann zur Bewährung als Dreher in die Produktion geschickt wurde. In der Inszenierung wird das zum eindrücklichen Zusammentreffen eines alten Kommunisten und ehemaligen Spanienkämpfers (Torsten Ranft) und einem jungen Arbeiter (Yassin Trabelsi) kurz vor der Flucht in den Westen.
Die Erzählung Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl ist die längste des Prosa-Bandes. Hier geht es um drei junge Menschen zwischen Arbeit, Wunsch nach Freiheit und politischer Repression. Das verkörpern hier sehr zärtlich Luise Aschenbrenner, Linda Pöppel (als Gast vom Berliner DT) und Viktor Tremmel. Die Brasch-Bearbeitung des antiken Mythos des von Gott Apoll gehäuteten Marsyas wird von Viktor Tremmel und Marin Blülle gespielt. Den mit Theaterblut Überströmten hält Linda Pöppel wie in einer christlichen Pieta in den Armen. Hier zeigt sich wieder Hartmanns Bildgewalt, die durch die geschickte Verdopplung von Spielszenen und live gefilmten Videobildern verstärkt wird. Der Leipziger Künstler Tilo Baumgärtel hat wieder eine seiner eindrucksvollen Videoanimationen beigesteuert. Die auf der Bühne stehenden Nachbildungen von Großwildtieren bevölkern darin leere Häuserschluchten und dringen in die menschlichen Behausungen ein.
Viele weitere Textsplitter aus Braschs Erzählungen kann man erkennen, wenn man das schmale Bändchen gelesen hat. Sie zeugen von einem andauernden Kampf gegen bestehende Verhältnisse. Jung kämpft gegen Alt, das Scheitern immer inbegriffen. Wie deren Träume gefriert da auch schon mal ein Telefon. „Wo ist man woanders?“ ist der verzweifelte Schrei des Abends. Kurz wird auch Braschs Gedicht Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin angesprochen. Kriemhild Hamann singt zur Gitarre Bettina Wegners Sind so kleine Hände. Von Feeling B erklingt Ich such die DDR und Als wär‘s das erste Mal von DAF. Da hat Sebastian Hartmann, der neben Regie und Bühne auch die Auswahl der Musik verantwortet, tief in die Retrokiste gegriffen. An anarchischem Theaterfeuer mangelt es diesem zweistündigen Abend nicht, auch wenn er einen manchmal ein bisschen im sprichwörtlichen Regen, der unablässig auf der Hinterbühne fällt, stehen lässt.
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Vor den Vätern sterben die Söhne nach Erzählungen von Thomas Brasch - am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
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Stefan Bock - 4. Juni 2022 ID 13656
VOR DEN VÄTERN STERBEN DIE SÖHNE (Staatsschauspiel Dresden, 02.06.2022)
nach den Erzählungen von Thomas Brasch
Regie, Bühne und Musik: Sebastian Hartmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Lichtdesign: Lothar Baumgarte
Animation: Tilo Baumgärtel
Dramaturgie: Jörg Bochow
Live-Kamera: Julius Günzel und Eckart Reichl
Mit: Luise Aschenbrenner, Marin Blülle, Kriemhild Hamann, Linda Pöppel, Torsten Ranft, Yassin Trabelsi und Viktor Tremmel
Premiere war am 2. Juni 2022.
Weitere Termine: 10., 18.06. / 03.07.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de/
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