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Warten auf Godot am Berliner Ensemble | Foto (C) Jörg Brüggemann
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Bewertung:
Das Stück ist in die Jahre gekommen. Seit nunmehr fast 75 Jahren leidet es unter den strikten Aufführungsanweisungen seines Autors. Am Berliner Ensemble gerät Becketts Warten auf Godot nun tatsächlich zur körperlichen Zustandsbeschreibung eines Großteils des ebenfalls nicht mehr ganz jungen Publikums. Estragon ist fußlahm, Wladimir kann den Harn nicht halten. Eine traurige Pose und Slapsticknummer, die sich durch den ganzen Abend zieht und zum Altherrenwitz verkommt.
Regisseur Luk Perceval meint es nicht gut mit seinen Protagonisten und ist damit mehr auf Linie mit dem Autor, als er vermutlich glaubt. Die beiden Existenzialisten-Clowns Didi und Gogo werden vom BE-Schauspieler Paul Herwig und Stargast Matthias Brandt (nach Frischs Mein Name sei Gantenbein zum zweiten Mal auf der Bühne des BE) verkörpert. Und sehr körperlich wird es auch auf der von Katrin Brack mit mehreren Theaterscheinwerfern ausgestatteten Bühne. Paul Herwegs unruhiger Didi ist ein ständig tänzelndes Nervenbündel im zerschlissenen Schlabberpullover, das seine durchnässte Hose an einem der Scheinwerfer trocknet. Matthias Brandts dauermüder Gogo in zerrissenen Netzstrumpfhosen und orangener Sonnenbrille will dagegen nur seine Ruhe und neigt unvermittelt zum Aufbrausen. Warum sie zusammenbleiben und worauf sie warten ist unklar.
Der Regisseur hat Becketts Text leicht gekürzt und sogar den Namen des nie auftauchenden Titelhelden gestrichen. Er, einfach ein Herr, könnte alles und jeder sein. Nicht anders ist es vom Autor gedacht. Zwei Überlebenskünstler schlagen die Zeit tot und reden über den Heiland am Kreuz, den Tod, Gott und die elende Welt, wie sie in ihrem begrenzten Horizont erscheint. Ein trostloses Stück Land mit einem einzelnen Baum, der hier eine Leuchte an langer Teleskopstange ist. Didi steckt einmal ein loses Kabelende in einen Stecker an einem der herabhängenden Scheinwerfer und zuckt unter gespielten Stromstößen, wie zur Vergewisserung, dass er noch am Leben ist. Dagegen hat Gogo längst aufgegeben und jammert über Schuhe und Füße. Ein alterndes Paar, das nicht mit- und nicht ohneeinander kann. Bei Perceval, der fernöstlicher Philosophie zugeneigt ist, heißt das Yin und Yang, Ruhe und Bewegung. Auch das ist bereits in Beckets Stück hineininterpretiert worden.
Estragon könnte hier nach dieser Theorie der Gegensätze aber auch eine Frau sein. Da das gemäß Autor auf der Bühne nicht erlaubt ist, lässt Perceval die Souffleuse Antonia Schirmer vom Bühnenrand bedeutungsschwanger Teile von Becketts Regieanweisungen einsagen. Das verblüfft zunächst nicht nur die beiden miteinander Streitenden auf der Bühne. Bleibt aber bloßer Regieeinfall, der sich als Running Gag im 1. Akt schnell aufgebraucht hat. Dass man es hier mit einer dem Theater anverwandten Situation zu tun hat, verrät einem nicht nur das Bühnenbild, auch das Spiel als Zeitvertreib ist im Stück angelegt. Bleibt die These, dass das Leben, die Geburt „rittlings über dem Grabe“, wie es im Stück auch heißt, von vornherein vorbestimmt ist. Ein ewiges Warten vom Morgen bis in die Nacht, das aus Angst mit quasi „sinnerfüllendem“ Zeitvertreib gefüllt werden muss. Live untermalt wird das Ganze vom Musiker Philipp Haagen, der atmosphärisch schön zunächst minimalistisch auf einem präparierten Flügel klimpert, oder auch gedämpft in eine Tuba bläst.
Aus ihrer redseligen Lethargie reißt die beiden Wartenden nur zweimal ein weiteres Paar. Pozzo und sein Diener Lucky, über deren Bedeutung nicht weniger viel philosophiert worden ist. Oliver Kraushaar ist Pozzo in Hemd und hellem Anzug. Er gibt sich laut und aasig, geht Estragon an die Strumpfhose und Schlüpfer. Ein einziges Knäul der Begierde. Der Lucky von Jannik Mühlenweg trägt Unterwäsche, stiert tumb, ringt nach Worten und stammelt schließlich seinen Denker-Monolog mit Didis Hose auf dem Kopf völlig unverständlich her. Er muss dann noch über die Stuhlreihen in den Saal flüchten und wird von Pozzo bis in den zweiten Rang verfolgt. Bei dieser merkwürdigen Herr-Knecht-Beziehung läuft einiges aus dem Ruder. Das sorgt für viel Budenzauber und Erheiterung vor der Pause, vor der noch Roderich Gramse als graubärtiger Bote in kurzen Jungshosen erscheint.
Der 2. Akt ist bekanntlich mehr eine Variation des ersten. Die neckischen Wasserspritzereien aus dem 1. Akt gipfeln in einer reinen Schlacht beim Wiederauftauchen des nun im Kostüm des jeweils anderen steckenden Paars Pozzo und Lucky, der nun mehrere Koffer trägt und seinen erblindeten Herrn hinter sich herzieht. Auch sie sind unabänderlich aneinander gebunden, wenn auch unter etwas anderen Vorzeichen. Eine Änderung, die dem Paar Didi und Gogo nicht vergönnt ist. Hier menschelt es noch ein wenig, wenn Didi dem verzweifelten Gogo in die Schuhe hilft. Unweigerlich kommt einem George Taboris Godot-Inszenierung von 2006 am BE in den Sinn. Ein völlig unterspanntes Spiel und leise Clownerie, in der die Souffleuse ebenfalls eine besondere Rolle einnahm. Perceval gelingt es nicht gegen den zwanghaften Drang der Ausdeutung anspielen zu lassen. Man könnte nun weiter mit Didi und Gogo auf Erlösung warten, oder einfach gehen, wie es einige im Publikum auch getan haben.
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Warten auf Godot am Berliner Ensemble | Foto (C) Jörg Brüggemann
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Stefan Bock – 12. April 2025 ID 15226
WARTEN AUF GODOT (Berliner Ensemble, 11.04.2025)
Regie: Luk Perceval
Bühne: Katrin Brack
Kostüme: Ilse Vandenbussche
Musikalische Leitung: Rainer Süßmilch und Philipp Haagen
Licht: Mark van Denesse
Dramaturgie: Amely Joana Haag
Mit: Matthias Brandt (als Estragon), Paul Herwig (als Wladimir), Oliver Kraushaar (als Pozzo), Jannik Mühlenweg (als Lucky) und Roderich Gramse bzw. Jürgen Linneweber (als Ein Junge) sowie dem Live-Musiker Philipp Haagen
Premiere war am 11. April 2025.
Weitere Termine: 26., 27.05./ 06., 07.06.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/
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