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Christan Weise scheitert am Maxim Gorki Theater mit einem fragwürdigen Reenactment der Verfilmung einer legendären Tschechow-Inszenierung von Thomas Langhoff



(C) Esra Rotthoff

Bewertung:    



Das Maxim Gorki Theater wird 70 und feiert das mit einem Jubiläumsmonat. Im Oktober stehen drei Premieren auf dem Spielplan, von denen eine direkt auf die Historie des Hauses, das 1952 als ein Ort zur Pflege russischer und sowjetischer Theaterkunst gegründet wurde, Bezug nimmt. Im Jahre 1979 kam hier die legändere Tschechow-Inszenierung der Drei Schwestern von Thomas Langhoff, Ex-Schwiegervater der jetzigen Intendantin Shermin Langhoff, zur Premiere. Der langjährige DDR-Theaterhit kam 157 mal zur Aufführung. Am 25. März 1984 wurde eine Verfilmung der Inszenierung ebenfalls in der Regie von Thomas Langhoff im DDR-Fernsehens ausgestrahlt. „'Drei Schwestern' ist ein Film von hohem ästhetischem Eigenwert und gleichzeitig Dokument einer großen Bühneninszenierung. Die künstlerische Ehe zwischen Theater und Fernsehen hat Früchte getragen.“ urteilte damals das Parteiorgan Neues Deutschland. An diesen Früchten möchte nun eine neue Inszenierung von Regisseur Christian Weise im Gorki Studio partizipieren, indem sie meint, den erfolgreichen Film einfach wieder in das Medium Theater zurück transformieren zu können.

Dazu hat Jeeyoung Shin eine in mehrere Mattscheiben unterteilte Videowand ins Gorki Studio gestellt, auf der über 95 Minuten Szenen aus dem in schwarz-weiß gedrehten Film zu sehen sind. Live-Musiker Falk Effenberger schiebt zu Beginn eine alte Video-Kassette in die Wand, setzt sich ans Keybaord und spricht die Fernsehansage von damals mit, bevor die sechs weiteren ausschließlich männlichen Darsteller Emre Aksızoğlu, Karim Daoud, Tim Freudensprung, Kinan Hmeidan, Oscar Olivo und Falilou Seck in enganliegenden grünen Ganzkörperanzügen mit Gesichtsmasken die Bühne betreten und die Filmszenen synchron mitspielen und auch die Texte nachsprechen. Eine zunächst recht merkwürde Form eines Reenactments, da die grünen Männchen wie vor einem Greenscreen zu verschwinden scheinen, sich aber doch vor die Filmbilder drängen.

Diese gewollte Überlagerung der Filmhandlung des erstens Akts von Tschechows Drei Schwestern ist relativ perfekt getimt, vermittelt einem aber außer einer angestrengten Form der Verfremdung nicht wirklich den Sinn dahinter. Verfremdung will ja seit Brecht den Blick von den Gefühlen weg zur Reflektion des Inhalts lenken. Hier kann man höchstens über Langhoffs filmische Umsetzung und das schauspielerische Vermögen der DarstellerInnen staunen, oder auch über das unablässige Gewusel vor der Videowand schmunzeln. Oder aber sich einfach über eine billige Parodie ärgern. „Tschechow, ..., ist ein Meister des psychologischen Seelendramas“, weiß die TV-Ansagerin zu vermelden. Davon bekommt man hier nur Versatzstücke geliefert, die obendrein noch mittelmäßig veralbert werden.

Zum Film selbst wäre einiges zu sagen. Es spielen hier u.a. auch heute noch recht bekannte BühnendarstellerInnen wie Monika Lennartz, Ursula Werner, Swetlana Schönfeld, (als Olga, Mascha und Irina) Ruth Reinicke (Natascha), Klaus Manchen (Andrej), Jörg Gudzuhn (Werschinin), Frank Lienert  (Tusenbach), Uwe Kockisch (Soljony), Hilmar Baumann (Kulygin) oder Lotte Loebinger (Anfissa), denen man hier nun etwas respektlos über den Mund fährt. In ein paar Szenen sind sie aber doch noch selbst im O-Ton zu hören. So auch der 2012 verstorbene Regisseur in einer Zwischeneinblendung. Langhoff spricht hier von Tschechow als „Erfinder eines neuen Theaters“, ein „Revolutionär“ eines Theaters, dass es „bis dahin nicht gegeben hat“, aber auch, dass trotz des gleichen Konzepts im Film „sich doch Etliches verändert hat, weil wir uns verändert haben“.

Und das wäre eigentlich eine Idee wert gewesen. Umsonst nimmt Weise ja auch nicht diese Überlegungen mit in seine Inszenierung. Aber außer, dass er Monika Lennartz, Ursula Werner und Ruth Reinicke in einem weiteren Zwischenspiel zu Wort kommen und aus ihrer heutigen Sicht über die Dreharbeiten erzählen lässt, passiert nichts. Da wird über Sehnsucht, Freiheit und was sich davon auch im Hinsicht auf die Wende erfüllt hat, gesprochen. Der Ruf sehnsuchtsvolle Ruf „Nach Moskau!“ hatte zu DDR-Zeiten noch eine ganz andere Bedeutung und hätte auch „Nach Paris!“ lauten können. Das hat sich sicherlich erfüllt, aber andere Hoffnungen auf Veränderungen wurden auch enttäuscht, wie Ursula Werner erklärt. Das spiegelt sich zumindest in der Aussage des Syrers Kinan Hmeidan über das Scheitern des arabischen Frühlings. Dass auch hier die Weise-Darsteller vor der Leinwand die Texte synchron mitsprechen müssen, erschließt sich einem aber überhaupt nicht.

Der zweite und dritte Akt bietet neben Kostümwechseln vor der Wand kaum Veränderung. Außer dass das Videoband hakt und neu eingelegt werden muss. Das nutzt Weise nun dafür, einige Filmszenen zu loopen und daraus lustige Gesangseinlagen zu basteln. In Kostümen und Ton nähert sich das Reenactment am Ende immer mehr dem Pathos des Original-Films an, bleibt aber trotzdem eine doch recht misslungene Parodie, die im Abschiedsakt vollends ärgerlich aus dem Ruder läuft. Bei aller technischen Raffinesse und Aufwand hinter dem Mischpult und darstellerischem Eifer davor, bleibt von diesem Abend, der mit fragwürdigen Mitteln die Vergangenheit beschwören will, nur das ungute Gefühl, um einen Tschechow gebracht worden zu sein. Aber warum? „Wenn man es nur wüsste!“
Stefan Bock - 4. Oktober 2022
ID 13838
DREI SCHWESTERN (Gorki Studio, 03.10.2022)
Regie: Christian Weise
Bühne: Jeeyoung Shin
Kostüme: Pina Starke
Musik: Falk Effenberger
Dramaturgie: Maria Viktoria Linke
Lichtdesign: Ernst Schießl
Mit: Emre Aksızoğlu, Karim Daoud, Tim Freudensprung, Kinan Hmeidan, Oscar Olivo, Falilou Seck
Premiere am Maxim Gorki Theater Berlin: 1. Oktober 2022
Weitere Termine: 28.-30.10./ 10., 14., 15.11.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de/de/


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