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Repertoire

Rumreich,

aber ginlos



Sören Wunderlich, Janko Kahle, Lena Geyer und Birte Schnöink in Amphitryon am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung

Bewertung:    



Wenn Stress die Konzentration schwächt, führt dies mitunter zu Gedächtnisproblemen und ruft Wortfindungsstörungen hervor. Auch Alkoholkonsum oder Demenz begünstigen, dass wir Worte vergessen. Besucher, die der Aufführung Amphitryon am Theater Bonn beiwohnen, werden nun mit zahlreichen ungewohnten Wortverbindungen konfrontiert, die ganz neue Konnotationen eröffnen, insbesondere wenn es um Hochprozentig-Süffiges geht. Wohlmeinend ausgerufenen Korrekturen wird dann kein Gehör geschenkt.

Im Bühnenzentrum sehen wir eine Backsteinhaus-Kulisse mit seitlichem Treppenaufgang atmosphärisch angeleuchtet. Davor ist ein barähnlicher Beistelltisch mit Kaltgetränken, Spirituosen und Sekt- oder Cocktailgläsern aufgebahrt. Später werden wir eines zweiten solchen Beistelltisches zum gemeinschaftlichen Umtrunk ansichtig. Auch sonst gibt es gleich zu Beginn der Vorstellung einige Doppelungen.

Absurde Wiederholungen werden in verschiedenen Variationen durchgespielt: Fünf Figuren betreten kurzzeitig nacheinander - gleich gekleidet und im gleichen Gestus - in sich gekehrt die Bühne. Alsbald sehen sie sich selbst. Sie werden als Sosias, Diener des Amphitryon, am Bühnenrand mit ihren Wiedergängern konfrontiert. Wer ist hier wer? Im Gespräch mit ihren Doubles ziehen sie prompt die eigene Existenz in Zweifel. Wenn es den Einzelnen offensichtlich mehrfach gibt, erscheint das eigene Sein als Schein. In einem Identitätenlabyrinth weiß bald keiner mehr, wer er wirklich ist.

Molières Komödie Amphitryon aus dem 17. Jahrhundert existierte in dramatischen Varianten von der Antike bis zur Moderne. Der Göttervater Jupiter schwärmt für Alkmene. Als der Ehemann Alkmenes im Krieg ist, nimmt Jupiter flugs seine Gestalt an und verbringt leidenschaftlich eine Nacht mit Alkmene. Kurz darauf kehrt der reale Amphitryon zurück aus dem Krieg und hört von seiner Gattin von der vergangenen gemeinsam durchlebten Nacht. Es herrscht große Verwirrung.

Hat der Fieberwahn die Sinne verwirrt? Die Figuren fragen sich, ob sie vielleicht schlafen und alles nur ein Traum ist. Das Verwirrspiel gibt viel Raum für energische, großspurige oder extravagante und effektvolle Auftritte (ausdrucksstark: Birte Schnöink). Die Akteure reden sich in Rage, rennen kreisförmig über die Bühne, treten in wechselnden Rollen auf und ab. Es gibt bald ein ganzes Sammelsurium an Paar-Konstellationen und glanzvolle Berichte gesehener Heldentaten des Herrn Amphitryon. Insbesondere Song-Einspieler und schwungvolle tänzerische Einlagen sorgen für Auflockerung im Durcheinander des Ausnahmezustandes. Bei den Einspielern lassen sich Leonard Cohens „Suzanne“, „Mr. Blue Sky“ von Weezer und der 2. Satz aus Franz Schuberts Klaviertrio op. 100 heraushören.

Martin Laberenz platziert in seiner Inszenierung des Spieles um Verwechslungen, Täuschungen, Missverständnisse, absurde Abgründe und fluide Identitäten Verweise auf Rilkes Der Panther.

Sich theatralisch in Pose werfende Figuren kämpfen im Ringen um Orientierung am Rande des Verstandes. Wenn sie über die Bühne hechten, spricht das den Lachnerv an. Sogar die Existenz des Publikums wird bald hinterfragt, wenn die Akteure eine mögliche Anwesenheit der Zuschauer in das Spiel mit einbeziehen.

Welch ein Schicksalsschlag, wenn die Lösung des Ehebundes im Raume steht. Gibt es den Commander gar zwiefach? Leider hält die Vorstellung das Tempo nicht und einiges wirkt übertrieben oder überdreht. Christian Czeremnych und Sören Wunderlich sorgen als athletische Männer in kurzen Frauenröcken in der Rolle der Cléanthis, Gemahlin des Sosias, für Publikumslacher. Dieser Gag wirkt aber etwas altbacken. Es gibt Längen, etwa wenn Christian Czeremnych minutenlang nachdenklich eine Zigarette auf offener Bühne raucht. Schlussendlich bringt Janko Kahle den Clou auf den Punkt (Achtung: Spoilerwarnung): „Ich bin nicht Jupiter, eigentlich bin ich Sören Wunderlich.“ Lena Geyer toppt das dann noch, wenn sie meint: „Ich bin eigentlich Jodie Foster in der Rolle der Nell, wäre aber gerne Sören Wunderlich.“ Soviel augenzwinkernde Selbstreferenzialität muss sein.

Tänzerische Finesse dann am Ende der durchaus erheiternden Verwechslungskomödie – die Akteure schwingen in ausgefallenen, glitzernd paillettenbestickten Kostümen gepflegt, gar göttlich, das Tanzbein.



Amphitryon am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung

Ansgar Skoda - 17. Oktober 2024
ID 14969
AMPHITRYON (Schauspielhaus, 13.10.2024)
Regie: Martin Laberenz
Bühne: Oliver Helf
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Licht: Ansgar Evers
Dramaturgie: Carmen Wolfram
Mit: Lena Geyer, Birte Schnöink, Christian Czeremnych, Janko Kahle und Sören Wunderlich
Premiere am Theater Bonn: 27. September 2024
Weitere Termine: 24.10./ 02., 09., 17., 22.11.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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