Klaustrophober Horrortrip
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Bernarda Albas Haus am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Thomas Aurin
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Bewertung:
Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg ist mit zwei Inszenierungen aus dem letzten Jahr zum Berliner Theatertreffen im Mai eingeladen. Anita Vulesica hat sich mit Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh ein äußerst witziges Hör-Sprach-Spiel des französischen Schriftstellers und Dramatiker Georges Perec (1936-1982) zu Goethes Wanderers Nachtlied vorgenommen. Katie Mitchell inszeniert mit Bernarda Albas Haus das bekannteste Theaterstück aus der Trilogie über die Unterdrückung spanischer Frauen auf dem Land vom Lyriker und Dramatiker Federico García Lorca (1898-1936). Unterschiedlicher könnten die Themen nicht sein. Das mag zunächst verblüffen. Aber einen politischen Anspruch - jeder auf seine Art - erfüllen durchaus beide Abende.
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Während Anita Vulesica als Regisseurin zum ersten Mal zum Theatertreffen eigeladen wurde, ist Katie Mitchell eine alte Bekannte beim Festival der 10 bemerkenswertesten Inszenierungen in Berlin. Einen Tag nach dem Internationalen Frauentag stand ihre Neufassung des Lorca-Klassikers über eine Mutter, die ihre fünf Töchter nach dem Tod des Vaters im Trauerhaus einschließt, wieder auf dem Spielplan des ShauspielHaus. Mitchells Leib- und Magen-Autorin Alice Birch (Orlando, Anatomie eines Suizids) hat Lorcas Text aktuell überschrieben. Die deutsche Übersetzung stammt von Ulrike Syha.
Das Bemerkenswerte der Inszenierung dürfte vor allem das Bühnenbild von Alex Eales sein. Ein aufgeschnittenes Haus in zwei Etagen, das oben die Kammern der Frauen und unten die Küche, das Esszimmer mit langer Tafel und links ein hohes Gittertor zeigt. Den Schlüssel zum Tor hat Bernarda Alba (Julia Wieninger) am Schlüsselbund. Abends schließt sie ab und kontrolliert die Zimmer der fünf Töchter und der dementen Mutter (Bettina Stucky). Bereits diese Eingangssequenz ist an düsterer Beklemmung nicht zu überbieten. Dazu dräut der E-Sound von Melanie Wilson.
Katie Mitchell inszeniert hier ein klaustrophobisches Horrorhaus, zu dem Alice Birch den sparsam gehaltenen Text einer methodischen Unterdrückung zart aufkeimenden Begehrens liefert. Ziel dieser jugendlichen Begierde ist der bei Lorca einzige Mann des Stücks, der hier als von Joël Schnabel gespielter Peter am großen Gittertor wartet, es einmal sogar übersteigt, ansonsten aber stumm im Hintergrund bleibt. Heiraten soll ihn die älteste und hier sogar schwangere Schwester Angustias (Alberta von Poelnitz), einzige Erbin des Stiefvaters, der sie vermutlich auch missbraucht hat. Peter trifft sich aber heimlich auch mit der jüngsten Schwester Adele (Linn Reusse), die wiederum dafür von der unscheinbaren Mariche (Henni Jörissen) beneidet wird.
Komplettiert wird das Frauenhaus von den Schwestern Magda (Josefine Israel) und Amanda (Mayla Häuser) sowie den beiden Dienstmägden Poncia (Luisa Taraz) und Clara (Sachiko Hara). Zusammengedrängt im Haus der Patriarchin kann zwischen den Frauen aber nie so etwas wie wirkliche Nähe oder Solidarität entstehen. Die Schwestern schauen sehnsüchtig in die erleuchteten Screens ihrer Handys oder hören Pop-Musik, was die Witwe immer wieder unterbindet. Die aufmüpfige Großmutter hat sich in ein eigenes Reich der Fantasie geflüchtet. Bernarda Alba schürt durch ihre abwertenden Reden immer wieder die Ängste, vor dem was draußen wartet. Sie schreckt gegenüber den Töchtern auch nicht vor manifester Gewalt zurück. Glück ist ihr unwichtig. Hauptsache der Eindruck der Familie ist perfekt. Und so nimmt wie bei Lorca auch hier das Unglück seinen Lauf.
Die Inszenierung erlangt zusätzliche Dichte durch die in den verschiedenen Kammern zumeist gleichzeitig ablaufenden Spielszenen. Gespräche der Schwestern oben überschneiden sich mit denen der Mutter mit anderen Bewohnerinnen im unteren Teil. Wie auf einem übergroßen Splitscreen folgt das Publikum dem Geschehen auf der Bühne. Besonders surreal wirkt der Abend durch Phasen in gespielter Zeitlupe. Nach jedem der drei Akte sinkt unter aufdröhnendem Sound der Eiserne Vorhang nieder. Die ursprüngliche schon düstere Handlung Lorcas erfährt bei Mitchell und Birch noch eine dramatische Zuspitzung, wenn die junge Frau aus dem Dorf, die ihr ungewolltes Kind getötet hat, von drei Männern bis ins Haus verfolgt wird. Hier kommt zum ersten Mal Albas‘ Gewehr zum Einsatz. Bekanntlich auch am Ende, was den Selbstmord von Adele zur Folge hat. Wobei hier noch das Verbleiben der übrigen Schwestern im Todeshaus mittels Pillen der Mutter zementiert wird. Auch wenn die Haustür am Ende offensteht, ist dieser Abend mit all seiner überhöhten Drastik eine zutiefst deprimierende Bestandsaufnahme zum momentanen Backlash in Sachen Frauenrechte.
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Bernarda Albas Haus am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Thomas Aurin
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Stefan Bock – 11. März 2025 (2) ID 15182
Bernarda Albas Haus (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 09.03.2025)
Regie: Katie Mitchell
Bühne: Alex Eales
Kostüme: Sussie Juhlin-Wallen
Licht: James Farncombe
Komposition: Paul Clark und Melanie Wilson
Original-Soundesign: Melanie Wilson
Dramaturgie: Sybille Meier
Mit: Mayla Häuser, Sachiko Hara, Josefine Israel, Henni Jörissen, Eva Maurischat, Eva Maria Nikolaus, Linn Reusse, Joël Schnabel, Bettina Stucky, Luisa Taraz, Julia Wieninger; sowie Heinke Andresen, Mathias Baumann, Thomas Geiger und Alexej Mir
Premiere war am 2. November 2024.
Weitere Termine: 12.04./ 08.05.2025
Weitere Infos siehe auch: https://schauspielhaus.de
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