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Repertoire

Kampf gegen

Zensurmühlen



Don Quijote von Michail Bulgakow in der Werkstatt des Theaters Bonn| Foto © Matthias Jung

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Es braucht eine gewisse Manie, um bei viel Gegenwind den Kampf um Gerechtigkeit weiterzuführen. Miguel de Cervantes Klassiker Don Quijote von der Mancha handelt von einem Ritter, der an Ehre und Gerechtigkeit glaubt. Wenig bekannt ist, dass der russische Schriftsteller Michail Bulgakow um 1938 an einer Interpretation des Ritterromans arbeitete. Er stand dabei unter Überwachung sowjetischer Behörden, wurde zensiert, seine Werke wurden konfisziert. Am Theater Bonn verwebt nun Sascha Hawemann Bulgakows Interpretation mit der Biografie des Autors dieser Version. In der Werkstatt-Bühne sehen wir so irritierenderweise nicht Cervantes fröhliche Komödie über einen komischen Ritter, der versponnen für das vermeintlich Gute kämpft. Der Beinahme „Ritter von der traurigen Gestalt“, den Cervantes Titelheld, der Landadlige Alonso Quijano, auf Anregung seines Knappen annahm, gebührt hier eher Michail Bulgakow, der depressiv im Zentrum des Geschehens steht.

Das Stück beginnt mit dem Autor, der von gleich drei Darstellern (Janko Kahle, Timo Kählert, Alois Reinhardt) verkörpert wird, jeweils bekleidet im dunklen Anzug, mit roter Fliege vor weißem Hemd. Sie stellen sich dem Publikum förmlich als Michail Bulgakow vor und erzählen, teils chorisch gesprochen, von seinen Sorgen im Moskau der UdSSR des Jahres 1938. Hier werden Bulgakows Texte vom Regime verboten. Der einst gefeierte Schriftsteller wird im totalitären stalinistischen System gnadenlos schikaniert und zensiert.

Statt eines tolpatschigen Kompagnons steht gleich zu Stückbeginn Jelena Sergejwna Bulgakowa (Ursula Großenbacher) dem erzählenden Helden zur Seite. Bulgakows dritte Ehefrau unterstützt ihn als eine Art persönliche Sekretärin und treibt ihn in schwierigen Zeiten an, sein schriftstellerisches Lebenswerk fortzuführen. Jelena unterstützt Bulgakow auch darin, in seiner Verzweiflung einen Brief an Genosse Stalin persönlich zu schreiben.

Auf der Bühne begegnen sich nach Briefversand Stalin (Ursula Großenbacher mit Bart) und Bulgakow (Alois Reinhardt); später treffen sie erneut aufeinander, dann mimt jedoch Janko Kahle Stalin. Es ist historisch verbürgt, dass Stalin, der von Bulgakows Stück Die Tage der Turbins (1926) begeistert war, Bulgakow persönlich anrief und ihn bat, etwas Leichtes für die Genossen zu schreiben, jenen Don Quichotte in Anlehnung an das wohl berühmteste Buch der spanischen Literatur.

Im Zuge des Auftrags ziehen die Akteure zwei Vorhänge beiseite und ein Bild von einer naiv gemalten spanischen Steppenlandschaft eröffnet sich. Leben und Fiktion vermischen sich fortan: Die Darsteller wechseln fliegend von Figuren aus Bulgakows Leben zu Figuren aus Cervantes Epos und Schelmenroman. Hawemanns Engführung ist interessant: Bulgakow entkommt der Unterdrückung des mörderischen UdSSR-Regimes nicht; Don Quijote scheitert kläglich beim ritterlichen Kampf für Gerechtigkeit und gegen Windmühlen oder die Wüste.

Einige Schlüsselpassagen aus Cervantes Ritterroman kommen in geraffter Form dazu. Wechselnde Akteure wappnen sich mit Rüstung und Helm. Das Reitpferd Rosinante ist ein altes russisches Moped, das Schildknappe Sancho Panza (Timo Kählert) über die Bühne schiebt. Ursula Großenbacher mimt eine einfache Bäuerin als Vorbild für Don Quichottes fiktive Geliebte Dulcinea. Timo Kählert trägt als Esel Rucio Eselsohren und einen meterlangen Schwanz. Es treten ein Jesus (Ursula Grossenbacher mit metergroßem Holzkreuz) und ein Pilatus (Janko Kahle) auf. Weißes Pulver macht zu Klängen von „Golden Brown“ von The Stranglers die Runde.

Solche Szenen werden stets collagiert mit Bildern, in denen die Angst und Geldnöte aus Bulgakows Leben im Jahre 1938 eine Rolle spielen. Bulgakow möchte an Idealen festhalten, hat jedoch Todesangst, da Stalin befreundete Schriftsteller ermorden lässt. Hawemanns Bezugsetzungen etwa zum schriftstellerischem Werk Bulgakows sind anspruchsvoll, nicht leicht verständlich und es bedarf der Vorkenntnisse.

Im Stückverlauf agieren die verwandlungswilligen Akteure laut, turbulent und leidenschaftlich. Einige überdrehte, klamaukige oder auch alberne Szenen erscheinen langatmig. So sehen wir gegen Ende in einer Filmprojektion in der Jetztzeit Don Quijote und Sancho Panza sitzend an der Bonner Bahnhaltestelle Plittersdorfer Straße beim heiklen Essen von Dönertaschen.

Nach Depressionen, Panikattacken und einer Erblindung stirbt der Visionär Bulgakow 1940. Erst nach seinem Tod veröffentlicht seine Witwe Der Meister und Margarita, das 1966 ein posthumer Welterfolg wird. Einigen Theaterbesuchern dürfte die groteske Satire bekannt sein, so wurde sie 2022 eindrücklich und mit surrealen Bildern in einer Vertonung von York Höller an der Oper Köln gezeigt.

Der einstige Terror und Bulgakows Machtlosigkeit in Russland erscheinen durchaus erzählenswert in Zeiten eines russischen Angriffskrieges in Europa und der Tode russischer Oppositionspolitiker in sibirischen Straflagern.



Alois Reinhardt, Ursula Grossenbacher, Janko Kahle und Timo Kählert (v.l.n.r.) in Don Quijote von Michail Bulgakow | Foto © Matthias Jung

n. k. - 22. Dezember 2024
ID 15078
DON QUIJOTE (Werkstatt, 21.12.2024)
von Michail Bulgakow

Regie: Sascha Hawemann
Bühne: Alexander Wolf
Kostüme: Ines Burisch
Video: Lars Figge
Licht: Johanna Salz
Dramaturgie: Jan Pfannenstiel
Mit: Ursula Grossenbacher, Janko Kahle, Timo Kählert und Alois Reinhardt
Premiere am Theater Bonn: 7. November 2024
Weitere Termine: 28.12.2024// 04., 18.01./ 01., 24.02.2025


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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