K. ist viele
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Das Schloss am Residenztheater München | Foto (C) Lalo Jodlbauer
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Bewertung:
Was mit „kafkaesk“ gemeint ist, dürfte jeder zu wissen meinen, auch wenn er nie eine Zeile von Franz Kafka gelesen hat. Und weil das mit einem verbreiteten Lebensgefühl des 20. Jahrhunderts viel zu tun hat, weil Kafka andererseits nie ein Theaterstück geschrieben hat, werden seine drei Fragment gebliebenen Romane stets aufs Neue für die Bühne bearbeitet. Die Ergebnisse sind unterschiedlich wie die diversen Interpretationsansätze, nur eins haben sie gemeinsam: sie sind eben „kafkaesk“ oder was man dafür hält.
Am Münchner Residenztheater ist es Das Schloss, und Karin Henkel beherrscht das kafkaeske Handwerk. Sie hat eine Entdeckung gemacht: Eine literarische Figur, ob Thomas Bernhards Franz Murau, ob Hamlet wie eben in Wien, ob Kafkas K., muss auf dem Theater nicht einem einzigen Darsteller zugeordnet werden. Sie kriegt offenbar nicht genug von diesem Bühnentrick zur Lösung aller Identitätsprobleme. Ihr Ansatz zur Kafka-Deutung ist nicht der theologische, sondern die Bürokratiekritik. Dabei lässt sie auch Raum fürs Komische. Die Gehilfen Arthur und Jeremias sind bei ihr Verwandte von Gogols Bobtschinski und Dobtschinski. „Kafkaesk“ wird das alles durch das Fehlen räumlicher und zeitlicher Logik in den Repliken und Reaktionen. Die Wächter tragen Frauenkleider: auch das Geschlecht ist Teil der unbestimmten Identität. Die Zeitanzeige an der Wand und das Display am Fahrstuhl spielen verrückt. Die Hochhäuser hinter den fensterlosen schwarzen Räumen mit Zwischenkabinen, die der Verwandlung der Darsteller dienen, steigen auf und senken sich. Die Menschen werden – ein sehr zeitgemäßer Gedanke im Strudel von KI – zu Automaten.
Karin Henkel kennt nicht nur Das Schloss. Sie zitiert auch den zum Ungeziefer verwandelten Gregor Samsa, die Strafkolonie, den Process. Die Parabel Vor dem Gesetz wird vorsichtig angetönt. Die K.s allesamt warten auf Klamm, der ebenso wenig kommt wie Godot.
Über die Bühne geistert in Abständen eine Kreuzung aus Nico und Cher mit Eektrobass und singt beispielsweise Joni Mitchells Both Sides Now. Kafkaesk? Es gibt auch Konstanten im Gegenwartstheater.
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Michael Wächter und Carolin Conrad in Das Schloss am Residenztheater München | Foto (C) Lalo Jodlbauer
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Thomas Rothschild – 24. November 2024 ID 15025
DAS SCHLOSS (Residenztheater München, 23.11.2024)
nach dem gleichnamigen Roman von Franz Kafka
Inszenierung: Karin Henkel
Bühne: Thilo Reuther
Kostüme: Katrin Wolfermann
Komposition und Sounddesign: Arvild J. Baud
Komposition und Live-Musik: Pollyester
Körperarbeit: Brandon Lagaert
Chorarbeit: Alexander Weise
Licht: Markus Schadel
Dramaturgie: Constanze Kargl und Rita Thiele
Mit: Linda Blümchen, Carolin Conrad, Michael Goldberg, Evelyn Gugolz, Vincent zur Linden, Florian von Manteuffel, Nicola Mastroberardino, Vassilissa Reznikoff und Thomas Hauser
Premiere war am 2. Februar 2024.
Weitere Termine: 25.11./ 18.12.2024// 06., 31.01.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.residenztheater.de
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