Der Hofmeister als live
eingesprochener Theaterfilm
Jürgen Kuttner missglückt am Deutschen Theater Berlin die Wiederbelebung von Brechts legendärer Bearbeitung des Lenz-Dramas
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Bewertung:
Jürgen Kuttner hat am Deutschen Theater schon einige Stücke von Bertolt Brecht, Peter Hacks und Heiner Müller dem Vergessen entrissen. Man könnte diese Autoren auch als politisches Dreigestirn der vergangenen DDR-Dramatik bezeichnen, hätte Brecht nicht schon zuvor Stücke für den deutschen Dramenkanon geschrieben. Seine beiden sich später in Feindschaft verbundenen Schüler, wenn man so will, haben ihren jeweils eigenen Weg in der Literatur-Geschichte der DDR gefunden. Kuttner hat mit Die Sorgen und die Macht von Peter Hacks und Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande von Heiner Müller die beiden großen Skandalstücke der DDR-Theater-Geschichte wieder auf die Bühne gebracht, was er mit seinen mitaufgeführten Kommentaren immer auch zu einer echten Geschichtsstunde werden ließ. So nun auch Brechts Bearbeitung der Tragikomödie Der Hofmeister von Jakob Michael Reinhold Lenz, uraufgeführt 1950 an den Kammerspielen des DT, wo das Berliner Ensemble bis zur Übersiedlung ins Theater am Schiffbauer Damm gastierte.
Die Mitarbeiterin und Ex-Geliebte Brechts Ruth Berlau ließ 1951 eine Aufführung des Stücks am Deutschen Theater in Einzelbildern (je eins pro Sekunde) zu Dokumentationszwecken mit einer 16mm-Kamera aufnehmen. Spielt man das als Bildfolge ab, entsteht, da die Tonspur fehlt, eine Art Stummfilm, in dem die Bewegungen der DarstellerInnen recht abgehackt wie in einem schlecht animierter Puppentrickfilm wirken. Diesen Schwarz-Weiß-Film haben Jürgen Kuttner und sein Regie-Kompagnon Tom Kühnel bereits im Oktober 2019 im Kino Babylon gegenüber der Volksbühne am Rosa-Luxemburgplatz im Rahmen einer Aufführung aller rekonstruierten originalen Brecht-Filme von einem kleinen Ensemble von SchauspielerInnen (u.a. Peter René Lüdicke, Kathleen Morgeneyer und Samuel Finzi vom DT) live synchronisieren lassen. Das Ergebnis scheint so gut angekommen zu sein, dass es nun ins Repertoire des Deutschen Theaters gehievt wurde. Neu einstudiert, versteht sich.
Ein Reenactment, wie es Kuttner zu Beginn betont. 71 Jahre nach der Uraufführung am gleichen Ort würde so der Theaterfilm wieder in das alte Medium Theater zurücküberführt. Ob das nun geglückt ist, und zu welchem Zweck, darüber lässt sich sicher trefflich streiten. Zunächst erfährt das Publikum in den Kammerspielen von Jürgen Kuttner vor auf den Vorhang projizierter Brecht-Gardine mit der typischen Friedenstaube alles, was es dazu und darüber hinaus zu sagen gibt. Zuerst natürlich zur Arbeit Brechts am Stoff des Hofmeisters, ein Stück über die „teutsche Misere“, wie es darin heißt. Der Lehrer Läuffer muss sich beim adligen Major von Berg als Hofmeister verdingen. Nachdem ihm immer mehr die Bezüge gekürzt werden und er seinem sexuellen Trieb folgend die Tochter des Majors Gustchen verführt hat, muss er fliehen und bekommt Asyl beim Schulmeister Wenzeslaus, bei dem er Enthaltsamkeit lernt. Doch da ihm sein Trieb weiter im Weg steht, kastriert sich Läuffer, weil er glaubt nur so beruflich weiterzukommen. Brechts Angriff auf die unkritisch nur an Goethe und Schiller orientierte Klassikerverehrung der DDR-Kulturpolitik wird zum großen Erfolg und begeistert auch Heiner Müller, der im Hofmeister den „Höhepunkt von Brechts Arbeit am Berliner Ensemble“ sieht.
Vom weiter aus dem Theater-Nähkästchen plaudernden Kuttner erfährt man noch wie Brecht als zweiter Schattenintendant des DT durch seine Anwesenheit dem eigentlichen DT-Intendanten Wolfgang Langhoff nach Parteirausschmiss den Job rettete. Denn als DT-Intendanten mochte die DDR-Kultur-Nomenklatura den unbequemen Brecht sicher nicht haben. Was man nun an diesem Abend zu sehen bekommt, ist ein Zusammenschnitt der wichtigsten Szenen um den Hofmeister Läuffer und seine liebe Not mit zu viel Trieb und zu wenig Lohn für Brot. Mit Kuttner sprechen Peter René Lüdicke, Helmut Mooshammer, Kathleen Morgeneyer und Birgit Unterweger Brechts Hofmeister-Texte live zu den filmischen Szenen ein. Garniert wird das ganze noch mit Brechts Anmerkungen zu seiner Inszenierung. Ein wahrer Wortschatz, der allein sich schon zu lesen lohnt. Allerdings ist das nicht die erste Parallelführung dieser Erklärungstexte mit dem Hofmeister-Film. Bereits 1998 hat der Regisseur Peter Voigt einen 18minütigen Film aus dem Material geschnitten und Hermann Beyer, Dieter Knaup und Martin Wuttke Brechts Anmerkungen dazu sprechen lassen. Das Filmchen ist noch auf YouTube zu sehen und eine gute Vorbereitung auf Kuttners Hofmeister-Abend.
So gerüstet und mit musikalischer Klavierbegleitung von Matthias Trippner verfolgt das Publikum die Szenen vom Prolog bis zum Epilog. Geschnitten hat Kuttner nicht nur die Scharrfuß-Szene, in der Läuffer sich dem Major und dessen Bruder, dem Geheimen Rat von Berg, anbiedert, aber nicht von ihnen beachtet wird. Es fehlen auch die Szenen aus dem Studentenleben des Fritz von Berg, dem Cousin und Geliebten von Gustchen, der zum Studieren nach Halle muss. Letztendlich ist das hier aber auch zu verschmerzen. Kuttner konzentriert sich ganz auf den Hofmeister, der von der Frau Majorin examiniert, vom Major kujoniert schließlich dem reizenden Gustchen verfällt, dass das Schicksal seinen Lauf nimmt. Wirklich spannungsgeladen ist diese launig eingesprochene Stummfilm-Scharteke aber nicht wirklich. Es ist nett anzuhören, wie die SchauspielerInnen ihren Text relativ synchron und lustig betont zu den hakeligen Bildern sprechen. Auch ein paar Geräusche mit Papier werden dabei gemacht. Wer bei der Schnittversion den Überblick verliert, bekommt die Erklärungen direkt mitgeliefert. Man stelle sich vor, die RegisseurInnen müssten in Zukunft ihr Werk für begriffsstutziges Publikum live vom Bühnenrand kommentieren. Episches Theater mal ganz anders.
Irgendwie bleibt das Ganze aber ein recht blutleeres Vorzeigetheater, dass nicht mal wirklich witzig ist. Es lacht auch keiner im Publikum der zweiten Vorstellung. Was im Babylon vielleicht noch ein paar TheaterwissenschaftlerInnen und Fans von Brecht und Kuttner begeistert hat, wirkt hier aber wie tot. Den Versuch einer Wiederbelebung kann man als fehlgeschlagen bezeichnen. Brechts beißender, sarkastischer Spott über gesellschaftliche Verhältnisse ist hier nur schwer heraushörbar. Wer und warum sich hier kastriert, wäre heute sicher auch noch interessant. Der Versuch des Aufsteigens aus einer niederen Klasse, Opportunismus und Anbiederung an den Zeitgeist, was zumindest zur geistigen Kastration führen kann. Kuttner liefert da zu Beginn auch ein paar Schlagworte mit. Aber es scheint, als hätten Regie und Dramaturgie sich der eigenen Faszination ergeben und selbst entmannt.
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Der Hofmeister am DT Berlin | Foto (C) Arno Declair
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Stefan Bock - 14. Dezember 2021 ID 13358
DER HOFMEISTER (Kammerspiele; 12.11.2021)
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
Bühne: Jo Schramm
Kostüme: Daniela Selig
Musik: Matthias Trippner
Dramaturgie: Claus Caesar
Mit: Jürgen Kuttner, Peter René Lüdicke, Helmut Mooshammer, Kathleen Morgeneyer und Birgit Unterweger sowie dem Pianisten Matthias Trippner
Premiere am Deutschen Theater Berlin: 11. Dezember 2021
Weitere Termine: 16.12.2021 // 01., 11., 17.01.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/
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