Das Genie, das Männer liebte
DIE TURING-MASCHINE von Benoit Solès am Theater Pforzheim
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Bewertung:
Die Saison hat sich nach vorwiegend zähen Anfängen mit Aplomb angelassen, nachdem man sich in Pforzheim an einen bedeutenden Wissenschaftler – Alan Turing – und in Stuttgart an einen bedeutenden Dichter des 20. Jahrhunderts – Daniil Charms – erinnert hat.
Theaterstücke über historische Persönlichkeiten im Allgemeinen und berühmte Gelehrte im Besonderen haben ihren ganz eigenen Reiz. Ob sie Galilei, Einstein oder Oppenheimer heißen. Sie bedienen, manchmal ironisch gebrochen, eine Kammerdienerperspektive und lassen, selbst wenn sie sich dokumentarisch geben, vergessen, dass sie nicht Geschichtsschreibung, sondern Fiktion sind. Oft scheinen sie der Homestory näher als der dramatischen Dichtung. So auch Die Turing-Maschine von Benoît Solès, die 2018 in Avignon uraufgeführt wurde, über den Mathematiker und Informatiker, der allerdings, außerhalb von Fachkreisen, nicht so bekannt und wohl auch nicht so charismatisch ist wie Galilei, Einstein und Oppenheimer, obwohl sein Leben und seine Dechiffrierung des nationalsozialistischen Verschlüsselungscodes zahlreichen Filmen als Vorlage diente.
Der Name Alan Turing verbindet die moderne Linguistik mit einem der bedeutendsten Schriftsteller der österreichischen Avantgarde, mit Oswald Wiener (Eine elementare Einführung in die Theorie der Turing-Maschinen, 1998). Was bei seiner „Maschine“ herauskommt, ist zugleich automatisch generiert und intelligent. So intelligent, wie es beispielsweise die um 1960 durch Zufallsgenerator produzierten Texte von Max Bense und seinen Mitarbeitern waren.
Turing ist bei Solès ein schrulliger, etwas naiver Typ und dadurch zugleich bemitleidenswert und komisch. Die Frage, die sich Turing stellt – „Können Maschinen denken?“ –, ist angesichts des ausufernden KI-Hypes in höchstem Maße aktuell. Ein Seitenthema ist Turings Homosexualität, die allerdings in der Realität erhebliche und anhaltende Folgen hatte.
Außer Alan Turing treten in dem Stück drei Personen auf: Der Ermittlungsbeamte Mick Ross, der Kellner im Hotel Continental Arnold Murray und der Schachmeister Hugh Alexander. Da diese drei vom selben Darsteller verkörpert werden, also nie mehr als zwei Personen auf der Bühne stehen, hat Die Turing-Maschine den Charakter eines durchgängigen Zwiegesprächs, in dem Turing die Konstante und somit der Gegenstand des Interesses ist. Nicht zuletzt wegen der Figur des Mick Ross gleicht es einem Verhör und nähert es sich dem Kriminalstück. Vom Boulevardstück unterscheidet es sich durch den eher sparsamen Gebrauch von Humor. Dass es der Autor ernst meint, wird zunehmend bis hin zum tragischen Ende deutlich.
Die Turing-Maschine „erzählt“ den Fall vom Ende her und sorgt so für Spannung. Zugleich dürften einzelne Details für Nichtmathematiker mit hoher Wahrscheinlichkeit unverständlich bleiben. Das tut aber der Problematik, der Kriminalisierung von Homosexualität im Allgemeinen und von Prominenten im Besonderen, keinen Abbruch.
Den Alan Turing spielt Frederik Kienle, seine Gegenfiguren Max Ranft. Regie führte Sascha Mey.
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Thomas Rothschild – 19. Januar 2025 ID 15108
DIE TURING-MASCHINE (Podium, 18.01.2025)
von Benoit Solès
Inszenierung: Sascha Mey
Ausstattung: Steven Koop
Dramaturgie: Andreas Frane
Mit: Frederik Kienle und Max Ranft sowie (den Stimmen von) Pike Markus Löchner und Jan-David Bürger
Premiere am Theater Pforzheim: 11. Januar 2025
Weitere Termine: 22.-25., 29.-31.01./ 01.02.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-pforzheim.de/
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