Rettung
durch Regie
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Die Eingeborenen von Maria Blut am Burgtheater Wien | Foto (C) Susanne Hassler-Smith
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Bewertung:
Maria Lazar (1895-1948) gehört zu jener gar nicht so kleinen Zahl von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, deren Karriere am Anfang des 20. Jahrhunderts begann und die nach Verfolgung und Verbot durch die Nationalsozialisten wegen ihrer politischen Gesinnung oder ihrer Herkunft aus dem Judentum vergessen waren. Manche wurden wiederentdeckt, nach Jahrzehnten, als jene, die ihre Vertreibung geduldet oder sogar betrieben hatten, längst verstorben waren.
Nun, da das Werk von Maria Lazar nach und nach wiederveröffentlicht wird, häufen sich die begeisterten Lobeshymnen der Nachgeborenen. Dabei scheint der kritische Verstand Pause zu machen. Die Rehabilitierung ist das eine, die Verabschiedung aller literarischer Kriterien das andere. Jeder, dem Unrecht getan wurde, verdient Respekt und Erinnerung, auch wenn sie oder er keine einzige Zeile geschrieben hat. Wer aber künstlerisch tätig war, muss heute mit den gleichen Maßstäben gemessen werden wie alle, auch die unmoralischsten Künstler. Jeder Bonus erniedrigt sie oder ihn ein weiteres Mal. Er dient nur den Laudatoren, nicht den Gepriesenen und erst recht nicht der historischen Wahrheit.
Dies gesagt habend, sprechen wir es ohne Wenn und Aber aus: Die Eingeborenen von Maria Blut, die 88 Jahre nach ihrer Entstehung in einer Dramatisierung durch die Regisseurin Lucia Bihler und den Dramaturgen Alexander Kerlin im Wiener Akademietheater uraufgeführt wurden, sind ein politisch anständiger, aber literarisch schwacher Text, den die Regie gerettet und sogar zu einem bedeutenden theatralen Ereignis gemacht hat.
Die Eingeborenen von Maria Blut spielen im Österreich der dreißiger Jahre und handeln, wie unter anderem Joseph Roths Spinnennetz, Ferdinand Bruckners Rassen, Friedrich Wolfs Professor Mamlock, Lion Feuchtwangers Geschwister Oppenheim, Klaus Manns Mephisto, Irmgard Keuns Nach Mitternacht, Franz Werfels Cella, Anna Seghers' Das siebte Kreuz oder Arnold Zweigs Das Beil von Wandsbek (soviel zur Etablierung der literarischen Maßstäbe), vom Aufstieg des Nationalsozialismus.
Das Bühnenbild von Jessica Rockstroh zeigt eine Riesenmadonna und zwei Engel. Die Darsteller*innen tragen weitgehend, aber nicht durchgängig überdimensionale Kopfmasken. Ihr Text wird teilweise von wechselnden Ensemblemitgliedern in Mikrophone am Bühnenrand gesprochen. Gekleidet sind diese wie jene in rosafarbene Sportkleidung und Kniestrümpfe, über die gelegentlich durchsichtige Latexjacken und -hosen gezogen werden.
Zwischen den einzelnen Szenen blitzen die Glühbirnen des Bühnenrahmens kurz auf, um einen kurzen Blackout anzukündigen.
Lucia Bihler nähert sich Maria Lazar ungefähr so wie Hans Hollmann einst Ödön von Horváth. Sie inszeniert Die Eingeborenen von Maria Blut als verfremdetes Volkstheater, das mit Ulrich Becher oder Jura Soyfer allerdings mehr gemeinsam hat als mit Horváth. Die Dialoge kommen in ihrer Verknappung immer direkt zur Sache. Die Schwächen werden offenkundig, wenn man Lazars naiven Nazi Vinzenz mit Horváth Sladek vergleicht.
Jonas Hackmann spielt diesen Vinzenz als Hitler-Karikatur. Die Frage, ob man Witze über Hitler machen dürfe, hat sich mit Chaplin, Lubitsch oder Tabori erledigt. Heute aber wissen wir: ihn der Lächerlichkeit auszusetzen, konnte ihn nicht beseitigen, noch nicht einmal seine Gefährlichkeit verringern.
Robert Reinagl sieht als Pater Lambert aus wie Peter Ustinov und Philipp Hauß als der redliche Doktor Lohmann wie Willy Fritsch in einem Heimatfilm. Die Kopfmasken schützen vor solchen Assoziationen.
Am Ende werden Maria und die Engel von Bühnenarbeitern abgebaut. Im Hintergrund der leeren Bühne wird die Brandmauer sichtbar. Vinzenz erstarrt zur Spieldosenfigur mit Hitlergruß. Er wird erschossen und als neue Maria eingekleidet. Ein Bild der Hoffnung oder der Verzweiflung?
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Die Eingeborenen von Maria Blut am Burgtheater Wien | Foto (C) Susanne Hassler-Smith
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Thomas Rothschild - 10. Oktober 2023 ID 14424
DIE EINGEBORENEN VON MARIA BLUT (Akademietheater, 09.10.2023)
nach dem Roman von Maria Lazar
Regie: Lucia Bihler
Bühne: Jessica Rockstroh
Kostüme: Viktoria Behr
Musik und Sounddesign: Jacob Suske
Choreographie und Maskenspiel: Mats Süthoff
Maskenbau: Peter Spörl und Helmut Lackner
Licht: Norbert Piller
Dramaturgie: Alexander Kerlin
Premiere am Burgtheater Wien: 20. Januar 2023
Weitere Termine: 28.10./ 19., 25.11.2023
Weitere Infos siehe auch: https://www.burgtheater.at/
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