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nachDRUCK # 6

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Repertoire

Luise Voigt inszeniert

am Bayerischen

Staatsschauspiel

Brechts Spanienkampf-

Drama mit einem

Erweiterungstext von

Björn SC Deigner



Die Gewehre der Frau Carrar am Resi München | Foto (C) Sandra Then

Bewertung:    



Brecht ist nach wie vor modern, sagen auch heute noch viele der andauernden Verfechter des deutschen Dichters, Dramatikers und Erfinder des Epischen Theaters. Man muss und kann ihn auch zumindest bis 2026 nicht um- oder überschreiben. Dann könnte es aber durchaus interessant werden, wenn die Urheberrechte 70 Jahre nach Brechts Tod abgelaufen sind. Am Residenztheater hat nun Regisseurin Luise Voigt im Dezember letzten Jahres mit Die Gewehre der Frau Carrar einen bemerkenswert originalen Brecht inszeniert und ist damit Ende Januar zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden. Ganz so original ist der Abend dann aber doch nur in den ersten 50 Minuten. Danach bricht das Bretterbühnenbild von Fabian Wendling, das die Stube der Witwe Carrar, die ihre beiden Söhne vom Kämpfen gegen den Franco-Faschismus im Spanien der 1930er Jahre abhalten will, darstellt mit lautem Krach zusammen und mit dem nachgestellten Text Würgendes Blei aus der Feder des Dramatikers Björn SC Deigner erfährt das Publikum im Münchner Marstall, was geschehen könnte, nachdem sich die Carrar in Brechts Stück am Ende doch fürs Kämpfen entschieden hat.

Brechts Carrar entstand 1937 auf Anregung des Regisseurs Slatan Dudow, etwas zum Spanischen Bürgerkrieg zu schreiben, und wurde im selben Jahr in Paris durch ein Exil-Ensemble geflüchteter SchauspielerInnen uraufgeführt. In Deutschland unserer Tage sind Exil-Ensemble keine Seltenheit, man denke nur an geflüchtete KünstlerInnen aus dem arabischen Raum oder aus der von Russland überfallenen Ukraine. Der Diskurs um Neutralität, konsequenten Pazifismus oder für die aktive Unterstützung der Ukraine mit Waffen ist immer noch eines der politischen Hauptthemen, auch wenn das durch die aktuelle Fixierung auf die Asylpolitik und die durch Trump einseitig vorangetriebenen Verhandlungsbestrebungen um einen Waffenstillstand mit Russland etwas aus dem Fokus geraten ist.

Die Entdeckung des Zeitgemäßen in Brechts altem Stück hat die Regisseurin beim Lesen erschüttert. „Die Vergangenheit sucht mich heim“, sagt Luise Voigt in einem Interview im Programmheft. Diese Heimsuchung wollte sie dem Publikum mit ihrer Inszenierung auch ermöglichen. Die Konsequenz ist eine „historische Überformung“, die sich schon von der Ausstattung recht nah am Original bewegt. Zusätzlich zu den historischen Kostümen (Maria Strauch) und der „gweißneten“ Stube der Carrar mit Tisch, Stühlen, Backofen und dem Kruzifix in einer Ecke sprechen die DarstellerInnen über Microports verfremdet mit scharrender Stimme und rollendem R, wie in einem alten Tonfilm. Krisselig flimmernd wird die Szene mittels Videoprojektion überblendet. Selbst die Bewegungen sind sperrig wie die ganze Inszenierung überhaupt, die Brechts einziges Einfühlungs-Drama, wie er es selbst nicht ganz glücklich bezeichnete, selbst für heutige Verhältnisse stark verfremdet.

Mit dieser Rückführung auf Brechts eigenen V-Effekt verhilft die Regisseurin dem Publikum zur nötigen Distanz zum Stück, um eine neutrale Reflexion des Gesehenen zu ermöglichen. Wenn diese Distanz nicht eh schon allein durch die Ferne des deutschen Publikums zu eigenen Kriegserlebnissen bestehen dürfte. Was ja wiederum eher für eine Einfühlungsdramatik sprechen würde. Wie auch immer, das Publikum könnte aus dieser Möglichkeit, Brechts durchaus wankelmütiges Propagandastück fast nur auf den gesprochenen Text zu reduzieren und auf eine gefühlsdramatische Darstellung weitestgehend zu verzichten, durchaus profitieren. Einfach macht es einem dieser Abend aber nicht.

In den erste 50 Minuten wird Brechts kurzer Einakter wortgetreu abgespult. In der Stube sind zunächst die Netze flickende und Brot backende Carrar (Barbara Horvath) und ihr 15-jähriger Sohn José (Pujan Sadri), der großen Fenster stehend, das Boot des Bruders beobachtet, zu sehen. Nach und nach treten die einzelnen Figuren und Thesenträger des Stücks ein. Erst der Bruder der Carrar (Oliver Stokowski), der die Gewehre des Schwagers für den Kampf gegen Franco von der Schwester haben will. Der jüngere Sohn ist schnell an seiner Seite. Weiter kommen ein verwundeter Kämpfer (Volodymyr Melnykov), die Freundin (Naffie Janha) des älteren Bruders und der Padre des Dorfs (Florian Jahr). Aber niemand kann die Carrar von ihrer Ansicht, sich aus dem Kampf herauszuhalten, um die Söhne nicht zu gefährden, abbringen. Erst als die Leiche des von den Franquisten beim Fischen erschossenen ältere Sohns auf dem Tisch liegt, zieht die Carrar mit Pedro und José für ihn in den Krieg.

Brechts Parteiname für die spanischen Republikaner wird nun im zweiten Teil des Abends durch das wie ein poetisches Langgedicht verfasste Anhangsdrama von Björn SC Deigner wieder gehörig hinterfragt. Dazu treten die DarstellerInnen des ersten Teils in einem Sprechchor im auseinander gefallenen Bühnenbild auf. Die Carrar befindet sich nun in der Nähe der zerstörten Grundmauern ihres Hauses in einem nicht näher definiertem Krieg. Die Frage ist, ob und inwieweit sich die Ansicht der Frau durch die Kriegsereignisse wieder geändert haben. Außer ein paar Videoeinspielungen, in denen die Carrar in Uniform mit Gewehr durch die Natur irrt, oder Tierköpfen, die sich die DarstellerInnen ein paar mal aufsetzen, kommen keine weiteren visuellen Mittel zum Einsatz.

Der Krieg hat die Carrar entkräftet. Müde sucht sie nach Bruder und Sohn. Pedro erzähl vom Alltag im Kampf. Der Sohn als namenloser Soldat erkennt die Mutter nicht wieder. Ist immer noch Krieg oder schon wieder. Verluste von Menschen zählen kaum mehr als die von Munition. „Der Krieg, so scheint es uns, / ist ein Wiedergänger, / er lässt sich nicht begraben.“ klagt der Chor wie n ein Oratorium. Krieg als unausweichliche menschengemachte Naturkatastrophe. Deigner lässt noch ein zerschossenes Lindenblatt und ein alles zerstörendes Maschinengewehr auftreten. Bei einer Tasse Tee hustet Florian Jahr zu Salven aus dem Off. Das personifiziert Mordinstrument würgt Blei und beschwert sich das aus ihm nichts Nützlicheres wie ein Löffel oder Gartentor geworden ist. Nach ihm werden noch viel effizientere Waffen zur Vernichtung kommen. Der Text kümmert sich da allerdings nicht so sehr um die Frage von wem oder warum. Die Klassenfrage, die Brecht noch in seinem Text hatte, ist scheinbar doch aus der Mode gekommen. Sie wieder zu stellen, könnte aber durchaus nützlich sein.



Die Gewehre der Frau Carrar am Resi München | Foto (C) Sandra Then

Stefan Bock - 2. März 2025
ID 15169
Die Gewehre der Frau Carrar/ Würgendes Blei (Marstall, 27.02.2025)
von Bertolt Brecht / eine Fortschreibung von Björn SC Deigner

Regie: Luise Voigt
Bühne: Fabian Wendling
Kostüme: Maria Strauch
Musik: Friederike Bernhardt
Licht: Barbara Westernach
Choreografie: Tony De Maeyer
Video: Stefan Bischoff
Dramaturgie: Ewald Palmetshofer
Mit: Barbara Horvath, Pujan Sadri, Oliver Stokowski, Volodymyr Melnykov, Naffie Janha, Florian Jahr, Evelyne Gugolz u.a.
Premiere am Residenztheater München: 14. Dezember 2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.residenztheater.de/


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