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Repertoire

Kältetod

Ibsens JOHN GABRIEL BORKMAN am Schauspiel Stuttgart

Bewertung:    



Da war also wieder einmal eine Regisseurin am Werk, die der Meinung ist, man müsse einen Vortrag über Putin und die Ukraine halten, ehe jemand Krieg und Frieden liest, als wäre der zu unbedarft, um von sich aus die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den napoleonischen und heutigen Kriegen zu erkennen. Der Verdacht bestärkt sich, dass die Theatermacher der Gegenwart ihren eigenen Mangel an Übertragungsfähigkeit in ihr Publikum projizieren. Wie kamen bloß die Zeitgenossen Brechts damit zurecht, in dessen Galilei nicht einen Gelehrten des 16. Jahrhunderts, sondern den paradigmatischen Intellektuellen des Atomzeitalters wahrzunehmen? So ganz ohne Aktualisierung und Überschreibung, ohne Dramaturgen, die von Tätowierungen mehr wissen als von den Bewegungen der Gesellschaft und des Denkens? Wenn wir heute wie zu Lebzeiten Henrik Ibsens von Kapitalismus sprechen, so weist das auf grundlegende Strukturen hin, die sich wenig verändert haben, auf den Kapitalismus eben. Und dazu gehören ganz wesentlich Betrug, unrechtmäßige Bereicherung, Spekulation und Korruption, 2024 wie 1896. John Gabriel Borkman oder René Benko: Nur ein Tölpel bedarf des Winks mit dem Zaunpfahl.

Dabei hätte sich die Regisseurin Daniela Löffner diese Lokalsottisen, die im Wesentlichen Stuttgarter Gerichtsakten entnommen sind, sparen können. Denn ihre Inszenierung ist ein Beispiel für exzellentes psychologisches Theater, das durchaus noch funktioniert, wenn das gesamte Ensemble so leidenschaftlich mitmacht wie in diesem John Gabriel Borkman. Es profitiert von der Genauigkeit der Personenzeichnung in ihrer Widersprüchlichkeit: Matthias Leja in der Titelrolle, Sylvana Krappatsch als seine Frau Gunhild, Katharina Hauter als deren Schwester Ella Rentheim, Marco Massafra als Gunhilds Sohn, der von Ella aufgezogen wurde, Christiane Roßbach als dessen Geliebte Fanny Wilton, Michael Stiller als der armselige Vilhelm Foldal und Anne-Marie Lux als dessen Klavier spielende Tochter Frida. Schwarz-weiß ist Löffners Sache nicht. Und sie will nicht ideologischer sein als Ibsen. Seine Gesellschaftskritik setzt bei den Individuen an, nicht bei den Klassen.

Wenn Erhart mit Fanny Wilton aus dem Zuschauerraum ins Foyer stürzt, hört man einen Befreiungsschrei. Ein Hauch von Peer Gynt in der stickigen Welt der Borkmans.

Einen Kontrapunkt zum bedenkenlos realistischen Spiel steuert lediglich das Bühnenbild von Fabian Wendling bei. An die Stelle des großbürgerlichen Ambientes, das Ibsen akribisch beschreibt, hat er ein riesiges Aktenarchiv gebaut, das eher an Kafka als an Ibsen denken lässt.

Am Schluss, ehe John Gabriel Borkman den Kältetod stirbt, besteigt er bei Löffner mit Ella Rentheim einen Hügel wie Puntila und Matti den Hatelmaberg. Puntila zeigt seinem Knecht seine Wälder. Dazu kommt Borkman nicht. Und Ella wird, bei all dem Elend versöhnt, an Krebs sterben.



Bildquelle: schauspiel-stuttgart.de

Thomas Rothschild – 10. Juli 2024
ID 14832
JOHN GABRIEL BORKMAN (Schauspiel Stuttgart, 08.07.2024)
von Henrik Ibsen

Inszenierung: Daniela Löffner
Bühne: Fabian Wendling
Kostüme: Daniela Selig
Musik: Matthias Erhard
Licht: Felix Dreyer
Dramaturgie: Sabrina Hofer
Mit: Matthias Leja (John Gabriel Borkman), Sylvana Krappatsch (Gunhild), Marco Massafra Erhart), Katharina Hauter (Ella Rentheim), Christiane Roßbach (Fanny Wilton), Michael Stiller (Vilhelm Foldal) und Anne-Marie Lux (Frida Foldal)
Premiere war am 23. März 2024.
Weitere Termine: 20., 21.07.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de


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