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Daniel Stock und Janko Kahle in Kohlhaas (can´t get no satisfaction) am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung

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Wahlwerbende oder auch Politiker selbst werden im aktuellen Wahlkampf oft bedrängt; und das mitunter nicht nur verbal. Wie lässt sich einem Unrecht nachgehen, wenn es nicht als solches anerkannt wird? Wann ist Wut berechtigt, und wann bringt sie uns weiter? Welche Mittel sind erlaubt, um ungerechte Zustände zu verändern? Was könnte radikale Zerstörung und verbitterte Gewalt legitimieren? Die Titelfigur in Heinrich von Kleists Novelle Michael Kohlhaas (1810) ist zu Beginn ein ehrenwerter Mann: Der brandenburgische Pferdehändler reist auf der Suche nach einem Passierschein nach Dresden, während seine als Pfand zurückgelassenen Rappen für Feldarbeit eingesetzt werden. Bei seiner Rückkehr sind sie völlig abgemagert und kränklich. Kohlhaas beschreitet erfolglos juristische Wege gegen das ihm widerfahrene Unrecht durch die Obrigkeit des Schlossherrn von der Tronkenburg. Er verbittert zunehmend.

Wir könnten den Titelhelden heute als sogenannten Wutbürger bezeichnen. Kohlhaas verliert in seinem Kampf um Recht und Gerechtigkeit jegliches Maß und führt schlussendlich einen blutigen Rachefeldzug. Die Berliner Theatermacherin Rebekka David bezieht Kleists Text in der Bonner Inszenierung Kohlhaas (Can´t Get No Satisfaction) auf unsere heutige Gegenwart und den gesellschaftlichen Alltag hierzulande.

Auf der weitestgehend leeren und dunklen Bühne hat Ausstatter Robin Metzer rechts und links zwei große Pferdestatuen platziert, die ihr Gewicht effektvoll auf die gebeugten Hinterbeine verlagern. Sie visualisieren die Rappen aus Kleists Novelle. Sie stehen auf Podesten, deren Befestigung im Stückverlauf von dem wütenden Mob entkleidet wird. Im Hintergrund hängt eine große, glänzende Sträflings-Kette von der Bühne herab, die später herunterfällt. Die Inszenierung bebildert das fortwährende Reiten der Akteure, indem diese hörbar geschäftig im Kreise hopsend den rechten Arm hinter ihren Rücken legen und den linken nach vorne Strecken.

Janko Kahle strahlt als Kohlhaas anfangs mit stattlicher Statur einen gewissen Stolz aus. Er verkörpert später die Unruhe aufgrund seines deutlich verletzten Ehrgefühls mit ständigem Hin- und Hergehen, wenn er Sätze spricht wie: „Es schmerzt mich, die Welt in solch ungeheuerlicher Unordnung zu sehen.“ Im Mittelteil mimt er voller Energie einen getäuschten, gedemütigten und trauernden Mann, der alles verloren hat und an seinem zerstörerischen Eifer der Obrigkeit gegenüber festhält und auch andere hinter sich zu versammeln weiß. Er erhebt den Widerstand zur Pflicht für eine innere Ordnung der Dinge, wenn er die „Ordnung zur Unordnung bringen“ möchte.

Jakob Z. Eckstein beißt als Wenzel von Tronka, Schlossherr der Tronkenburg, genussvoll abwesend in einen Apfel, wenn Kohlhaas sich ehrerbietig vor ihm aufstellt. Er schaut verkniffen von oben herab. Musternd wertet seinen Gast durch hochnäsige und beleidigende Vorwürfe ab. Bald werden andere Figuren in Äpfel beißen und ein Mob wird gegenüber den Junker laut werden und „Haut ab“-Rufe forcieren.

Birte Schrein agiert als Kohlhaasens Gattin Lisbeth sehr bewegt und engagiert. Sie lacht laut auf, wenn ihr gewahr wird, dass ihr Ehegatte bereit ist, im Kampf um Gerechtigkeit alles aufzugeben. Später konfrontiert sie als Martin Luther und als Mittlerin Elken (letztere ist eine neue, nicht bei Kleist verortete Figur) Kohlhaas und seine Anhänger mit, sich von ihnen abgrenzenden und unterscheidenden Rechtsauffassungen. Schrein trägt als Mittlerin, die zur Hilfe eilt und zur Ordnung ruft, einen schlichten, schwarzen Anzug. Sie betont ein „zusammen“ und eine Hoffnung auf Versöhnung in einem „Haufen ohne Spitze“. Luther resp. die Mittlerin sprechen über demokratische Prozesse, den Volkswillen, die Imagination und philosophische Theorien. Doch die teils gegensätzlichen Standpunkte verhallen offenkundig im Raum.

Karolina Horster mimt Kohlhaasens Magd Herse eifrig und begeisterungsfähig, nahezu fanatisch, aber auch zerbrechlich. Daniel Stock verkörpert Kohlhaasens Knecht Waldmann, Erzählfigur in Kleists Novelle, laut, mit betont unterwürfigem Diensteifer, aber auch in stilleren Momenten mit fragender Nachdenklichkeit und Ungläubigkeit, wenn er ausruft: „Reiten müssen wir, krachende Hufen auf Menschenfleisch, vor uns Verderben, hinter uns Verderben. Buckeln. Recht bedeutet Prügel und Strafe.“ Im Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit erklärt Waldmann in der Bonner Inszenierung: „The pig of today is the sausage of tomorrow“, und eingedeutscht wiederholt er „Die Sau von heute ist die Wurst von morgen“. So einfach ist das, wenn eine Rohheit des Metalls regiert.

*

Rebekka David erweitert Kleists Vorlage auch um aktuelle Verweise. Es gibt eindrückliche Andeutungen auf Trump und den versuchten Anschlag auf ihn. Auch auf die AfD und die politische Stimmung, nicht nur in Sachsen, wird angespielt. Sogar ein Verweis auf die Hundekot-Attacke eines Ballettdirektors an einer Journalistin lässt sich in der Aufführung ausmachen. Die Figuren ahnen, dass soziale Ungerechtigkeit zunehmend auch zu gesellschaftlicher Spaltung führt. Wortreich vergleichen die Figuren die Gesellschaft mit dem Gewebe eines Teppichs, in dem es mitunter fette oder eben auch abgerissene Fäden gibt.

Leider hält die Inszenierung ihr Tempo nicht durch, und es gibt kleine Schwächen und Längen zum Ende hin. Der von Kleists Kohlhaas tief beeindruckte Kafka bemängelte einst in einem Brief an Felice Bauer das Ende der Novelle als schwächer und „grob hinuntergeschrieben“. Auch am Bonner Theater schwächeln die Monologe zum Ende hin. Die Figuren tragen dann zum Großteil Pferdeköpfe. Sie sprechen nicht mehr, häufen verteilt liegende Bühnenrequisiten übereinander. Später blicken sie wie gebannt hoch zur links platzierten Pferdeskulptur. Die Augen des Rappen leuchten gespenstisch in unterschiedlichen Farbgebungen. Es wird ausgeharrt, die Hoffnung auf eine sinnstiftende Zukunft wird enttäuscht.



Kohlhaas (can´t get no satisfaction) am Theater Bonn | Foto © Matthias Jung

Ansgar Skoda - 22. Februar 2025
ID 15157
KOHLHAAS (CANT'T GET NO SATISFACTION) (Schauspielhaus Bad Godesberg, 19.02.2025)
Regie: Rebekka David
Musik: Camill Jammal
Bühne: Robin Metzer
Kostüme: Florian Kiehl
Licht: Ansgar Evers
Dramaturgie: Nadja Groß
Mit: Jacob Z. Eckstein, Karolina Horster, Janko Kahle, Birte Schrein und Daniel Stock
Premiere war am 14. Februar 2025.
Weitere Termine: 08., 13., 21., 29.03./ 27.04.2025


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-bonn.de


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