Walversprechen
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Rosa Enskat als Kapitän Ahab in Moby Dick am Düsseldorfer Schauspielhaus | Foto © Lucie Jansch
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Bewertung:
Zu Beginn sehen wir das Bild eines sich mächtig emporwerfenden Wales inmitten eines nächtlich wild stürmenden Meeres. Rechts neben dem Wal ist ein gefährlich wogendes, kleines Segelschiff abgebildet, leicht zu übersehen. Meeresrauschen, eine Art Walgesang und das Kreischen der Möwen hören wir vor Beginn im Surroundsond, dann ein lauter Knall. Im Orchestergraben sorgen alsbald E-Gitarren, Trommeln und Geigen für eine Wellenbewegung und exquisit stürmische Rock-N-Roll-Dynamik.
Wechselnde Bühnenbilder mit verspielten Schwerpunkten auf Licht und Schatten, ausgewählte Kostüme, artifiziell-automatenhaftes, kantiges, vom Text losgelöstes Spiel, übertriebene oder erstarrte Mimik, gespreizte Gesten etwa der Hände und schräg toupierte Haare: Nicht nur die Wiederholungen in den vorgetragenen Texten prägen sich ein, auch gestalterisch setzt Robert Wilson mit einer streng stilisierten Ästhetik, theatralisch sorgfältig choreographierten Welten und burlesken und expressionistischen Noten erneut auf Altbewährtes.
Wilson zählt zu den gefragtesten Theaterregisseuren der Welt. Der Form- und Beleuchtungsmeister verbindet in seinen Arbeiten Performance, Musik, Schauspiel, Tanz, Malerei und Lichtdesign. Am Schauspiel Düsseldorf inszenierte er bereits Dorian und Das Dschungelbuch. Der inzwischen 82-jährige US-Amerikaner arbeitete für Der Sandmann (2017) bereits mit der britischen Singer-Songwriterin Anna Calvi zusammen, die auch für Moby Dick nach Herman Melville die Songs schrieb. Der klassische Epos, geschrieben zur Hochzeit des Walfangs 1851, handelt von der Jagd nach dem weißem Pottwal und den menschlichen Kampf, die Natur bezwingen zu wollen. Das Stück eröffnete nun die Spielzeit am Düsseldorfer Schauspielhaus.
Der erzählerische Reichtum der Vorlage des etwa 900seitigen Seefahrer-Abenteuers wird nur in Anklängen beleuchtet. Zentrale Konflikte werden in wenigen Sätzen mit unterschiedlichen Nuancen pointiert aufgezeigt.
Auf der Bühne erleben wir in wechselnden Tableaus den seebärartigen Erzähler Ismael (Kilian Ponert) mit weißem Rauschebart und den einbeinigen, wahnhaft getriebenen Kapitän Ahab (Rosa Enskat), dessen Prothese mitunter im Rhythmus der Musik klackt. Ein Wal hat Ahabs Bein in den Abgrund mitgerissen. Enskat, einzige Frau im Darstellerensemble, agiert als Ahab verstörend still und obsessiv, wenn sie, wie besessen, diesen Wal, jagt. Robert Wilson wertet Melvilles Nebenfigur des Pipp (Christopher Nell) als Hauptcharakter auf. Pipp durchlebt die zwanzig Episoden in Düsseldorf hyperaktiv mit Sturmfrisur und kommentiert in hoher Stimmlage oft ironisch.
Wilson spielt nicht nur mit Rollen und Perspektiven, auch die Geschichte selbst verortet er anders. Neben eingeblendeten Szenen aus John Hustons Romanverfilmung von 1956, zeigt das Bühnenbild auch mehrfach ein Haus, das dem ältesten erhaltenen Haus in Nantucket nachempfunden ist, dem im 19. Jahrhundert wichtigsten Hafen der Walfangflotte.
Die dunklen, kraftvollen, oft emotionsgeladenen Songs der Rock-Gitarristin und -Sängerin Anna Calvi werden virtuos vorgetragen. Kompositionen wie „A man and his whale“ oder „Every sailor is a butcher“ erklingen farbenreich, gitarrenlastig und bluesig stampfend. Sphärische, bebende Gesänge scheuen auch den Pathos nicht. Einprägsame Melodien wie das sehnende „Desire“ kennen Fans bereits von früheren Alben der Künstlerin.
Es wird viel dramatisch nach vorne hin gesprochen, etwa wenn die Matrosen das Publikum mit Taschenlampen auf der Suche nach dem Wal beleuchten. Das Geschehen erscheint artifiziell und die Gesichter wirken meist maskenhaft. Der eigentliche Kampf mit dem Wal wird nicht dargestellt. Dafür gibt es kryptische Verweise auf Reden von Greta Thunberg („Wie könnt ihr es wagen“) und auf über 3 Millionen getötete Wale im vergangenen Jahrhundert. Viele Vorstellungen sind bereits ausverkauft; insbesondere die zahlreichen Familien im Publikum waren begeistert.
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Belendjwa Peter, Jonas Friedrich Leonhardi, Michael Fünfschilling, Roman Wieland, Moritz Klaus, Yaroslav Ros, Jürgen Sarkiss, Christopher Nell, Kilian Ponert in Moby Dick am Düsseldorfer Schauspielhaus | Foto © Lucie Jansch
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Ansgar Skoda - 5. Oktober 2024 ID 14952
MOBY DICK (Düsseldorfer Schauspielhaus, 29.09.2024)
Regie, Bühne und Licht: Robert Wilson
Songs und Lyrics: Anna Calvi
Additional Music: Chris Wheeler, Dom Bouffard
Kostüm: Julia von Leliwa
Co-Regie: Ann-Christin Rommen
Co-Bühnenbild: Serge von Arx
Co-Lichtdesign: Marcello Lumaca
Video: Tomasz Jeziorski
Make-Up-Design: Manu Halligan
Music Supervisor und Arrangements: Chris Wheeler
Musikalische Leitung: Dom Bouffard
Orchester-Arrangements: Chris Wheeler
Sounddesign: Torben Kärst
Dramaturgie: Robert Koall
Dramaturgische Mitarbeit: Eli Troen
Besetzung:
Kapitän Ahab … Rosa Enskat
Starbuck, Offizier … Heiko Raulin
Flask, Offizier/Father Mapple … Jürgen Sarkiss
Ismael, Seemann … Kilian Ponert
The Boy … Christopher Nell
Queequeg, Harpunier … Yaroslav Ros
Tashtego, Harpunier … Moritz Klaus
Fedallah, Harpunier … Roman Wieland
Perth, Seemann … Jonas Friedrich Leonhardi
Manxman, Seemann/Kirchgängerin … Belendjwa Peter
Bulkington, Seemann/Kirchgängerin … Michael Fünfschilling
Violine … Maurice Maurer/ Vargas Amezcua Maria del Mar
Schlagzeug, Gesang … Tim Dudek/ Ralf Gessler
Cello, Gesang … Tobias Sykora/ Emanuel Wehse
Klarinette, Bassklarinette, Gesang … Sandra Klinkhammer
Vibraphon, Percussion … Salome Amend/ Bruna Gonçalves Cabral
Bass, SynthPiano, Gitarre … Kriton Klingler-Ioannides
Violine, Viola … Christoph König/ Cristina Ardelean Montelongo
Gitarre, Musikalische Leitung … Dom Bouffard
Premiere war am 7. September 2024.
Weitere Termine: 06., 19., 20., 26.10./ 07., 24., 25.11./ 03., 21.12.2024// 07.02.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.dhaus.de
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