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Eines langen Tages Reise

in die Nacht

Am Staatsschauspiel Dresden löst Sebastian Hartmann Eugene O´Neills psychologisches Familiendrama assoziativ als Spiel der Körper auf

Bewertung:    



Dass Sebastian Hartmann Eugene O’Neills autobiografisch angehauchtes Familiendrama nicht als psychologisches Kammerspiel oder well-made Konversationsstück inszenieren würde, war von Anfang an klar. Die Inszenierung soll laut Dramaturg Jörg Bochow sogar an jedem Abend in ihren Abläufen etwas anders sein. Bemerkenswert ist das auch ohne dieses Wissen. Beurteilen könnte man es eh nur nach mehrmaligen Besuchen. Wer O’Neills 1941 „mit Blut und Tränen“ geschriebenes Drama über die dem Suff und Morphium verfallene Künstlerfamilie Tyrone, die sich an einem Tag mit Vergnügen gegenseitig zerfleischt, nicht kennt, dürfte trotzdem auf seine Kosten kommen.

Hartmann macht die Familienaufstellung auf leerer Bühne, über der zu Beginn noch unsichtbar zwei schwarze Schwingen ruhen, die später noch ausgiebig benutzt werden. Ein paar Stühle am Rand, ein Sessel und eine lederne Sitzgruppe bieten vor der Pause das Setting für die verbale Schlacht, die Hartmann aber in mehre Einzelvorstellungen der vier Familienmitglieder aufsplittet. Hinzugefügt hat der Regisseur die Figur des als Kind an Masern gestorbenen Sohns Eugene, der vom Tänzer Rônni Maciel wie ein ständig anwesender Untoter gespielt wird. Den Anfang aber macht Cordelia Wege als Morphium-abhängige Mutter Mary, die im Sessel sitzend ihre Lebensgeschichte erzählt und den Tod Eugenes betrauert. Hineingewoben in diesen Monolog sind auch kleine Dialoge mit den Söhnen James junior und Edmund, der an Typhus erkrankt ist, was der gerade von einer Entziehungskur kommenden labilen Mutter als leichte Sommergrippe verkauft wird.

Nur in Fragmenten erkennbar entwickelt sich die Geschichte in kleinen immer wieder neu zusammengestellten kurzen Spielszenen. Der Familienpatriarch und durch ein Tourneetheaterstück reich gewordene James Tyrone ruft alle immer wieder nach einem Nebelhorn zur Familienaufstellung und stößt sie zu den Klängen des Live-Musikers Samuel Wiese von der Bühne. Besonders der ältere Sohn Jamie, wie der Vater Schauspieler und Alkoholiker, hat unter den Vorwürfen, sein Talent zu vergeuden oder für den Tod Eugenes verantwortlich zu sein. Simone Werdelis streichelt sich an der Rampe erst das Gesicht und schlägt sich dann von Schuld zerfressen selbst. Die Liebe der Mutter fällt auf den jüngeren Edmund (Marin Blülle), der eine Schriftstellerkarriere anstrebt und Nietzsche verehrt. Morbid, wie die oft im Nebel versinkende Stimmung des Abends, ist auch seine Verfassung.

Aufgelockert wird diese Demonstration des Verfalls durch improvisiert wirkende Szenen, in denen das Ensemble aus den Rollen steigt und Requisiten verlangt, die von Bühnenarbeitern herangetragen werden oder diverse Trinksprüche an der Rampe zum Besten gibt. Das Zepter hält der alternde und des Geizes bezichtigte Familientyrann, der torkelnd, gestikulierend und schreiend diktiert, wie zu sprechen und spielen ist. Vorn an der Rampe leise und und hinten laut. Den persönlichen Auftritt mit der Schilderung seiner Vergangenheit und wie er sich aus ärmlichen Verhältnissen hocharbeiten musste, bekommt er erst nach der Pause. Ansonsten löst Hartmann nun die angedeuteten Dialogszenen gänzlich zu Gunsten des für ihn typischen assoziativen Spiels auf. Das Ensemble tobt zur elektronischen Musik über die großen, als geschwungene Brücke heruntergelassenen Schwingen, die aufgestellt auch noch die Segel für einen hereingeschobenen Schiffsrumpf bilden.   

Engelsflügel, schwarze Kostüme und Zylinder (Kostüme: Adriana Braga Peretzki) tragen die fünf Spielenden bei ihrem ausgelassenen Treiben. Der tote Sohn Eugene schwebt unter den Flügeln in den Bühnenhimmel. Ein farbig bemalter Streifen senkt sich über den weißen Bühnenhorizont. Eine im Gegensatz zu O‘Neill eher frohe Traumabewältigung, die von Simon Werdelis noch einen Nachsatz zur Wirkung der Theaterkunst erhält. Dabei geht es weg von der psychologisch-realistischen Schauspielkunst der Aufklärung eines Iffland hin zur kulturellen Einheit von Mensch und Natur ganz ohne Belehrung. „Das Spiel ist an den lebendigen Körper gebunden“ heißt es zum Beispiel. Und dieses Credo zelebriert der Abend dann auch ausgiebigst unbeschwert in seinem zweiten Teil.



Eines langen Tages Reise in die Nacht von Eugene O´Neill am Staatsschauspiel Dresden
Foto (C) Sebastian Hoppe

Stefan Bock – 23. April 2025
ID 15238
EINES LANGEN TAGES REISE IN DIE NACHT (Staatsschauspiel Dresden, 19.04.2025)
von Eugene O’Neill, deutsch von Michael Walter

Regie und Bühne: Sebastian Hartmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Live-Musik: Samuel Wiese
Choreografie: Rônni Maciel
Lichtdesign: Lothar Baumgarte
Dramaturgie: Jörg Bochow
Besetzung:
James Tyrone ... Torsten Ranft
Mary Cavan Tyrone ... Cordelia Wege
James Tyrone Junior … Simon Werdelis
Edmund Tyrone ... Marin Blülle
Eugene ... Rônni Maciel
Premiere war am 29. November 2024.
Weitere Termine: 11., 31.05. 2025

Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de


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