Starkes
Ensembletheater
mit heraus-
ragendem
Solopart
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Richard III am Schauspiel Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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Bewertung:
Shakespeares titelgebender Schurke Richard III ist die Verkörperung des Bösen schlechthin und als Charakterstudie eine Herausforderung für jeden Schauspieler. Dass in jüngster Zeit nun auch Schauspielerinnen die Möglichkeit bekommen, in diese Rolle zu schlüpfen, ist in erster Linie nicht als Akt der Gleichberechtigung zu sehen, sondern viel mehr als große Bereicherung für das Theater.
So jetzt auch am Schauspiel Leipzig, wo Intendant Enrico Lübbe für seine Inszenierung die Schauspielerin Anne Cathrin Buhtz in der Rolle des intriganten und mörderischen Herzogs von Gloster und später König Richard III. besetzt hat. Zu Beginn betritt Buhtz in weißem Hemd und schwarzem Anzug zu Jazzklängen die Bühne und hält den Anfangsmonolog Richards vor einem Glitzervorhang. Eleganter Tänzer oder Dreckskerl sein. Richard entscheidet sich bekanntlich für letzteres und geht sogleich ans Werk, indem er Lady Ann (Vanessa Czapla), der Witwe des von ihm getöteten Prinzen Edward und Schwiegertochter des ebenfalls gemordeten Königs Heinrich VI., die Ehe anträgt. Schlaksig, mit fast puppenhaft ungelenken Armbewegungen, frei jeglicher Emotionen, aber auch durchaus redegewandt beginnt Richard sein Intrigenspiel zum Thron.
Die dunkle, von Martin Zehetgruber mit Bretterverschlägen ausgestattet Drehbühne sieht aus wie ein großer Stall, ein Schlachthaus mit schwarzen Leichensäcken, die sich bis zum Schlussakt noch vermehren werden. Anne Cathrin Buhtz liefert hier eine wunderbare Charakterstudie eines jeglicher Moral entsagenden Macht- und Karrieremenschen. Das bedarf kaum einer Aktualisierung und ist in jeder Hinsicht anschlussfähig an andere historische und heutige Entsprechungen. Die bunt zwischen Historie und aktueller Mode changierenden Kostüme von Sabine Blickenstorfer lassen das offen. Der englische Hof wirkt am großen Tisch mit Kaffespender und Pappbechern wie eine etwas abgeranzte Konzernzentrale der Macht, die Buhtz‘ Richard beginnt, genüsslich durcheinander zu wirbeln.
Hier kann sich niemand sicher sein, ob er oder sie nicht schon auf Richards Liste steht und abserviert wird. Es beginnt mit Bruder Clarence (Wenzel Banneyer). Es folgen Lord Hastings (Denis Petković), die jungen Prinzen und Neffen Richards (Denis Grafe, Niklas Wetzel), bis auch Lord Buckingham (Christoph Müller), lange treuer Gefolgsmann und Erfüllungsgehilfe Richards, dran glauben muss. Richard findet ohne Mühe Menschen, die an seinem Aufstieg profitieren wollen, denen er sich aber auch schnell wieder entledigt. Auf der Brücke über der Bühne treffen sich immer wieder Darsteller mit Aktenkoffer, Mitglieder des Hofes, die sich aus dem Staub machen wollen, oder zum Richtblock geführt werden. Ein System der Angst und des Mitmachens oder Wegsehens.
Das Ganze hat natürlich bei Shakespeare auch seine humorvollen Seiten, die in der Inszenierung etwa beim über Moral und Entlohnung streitenden Mörderpaar (Tilo Krügel, Michael Pempelforth), den überzogen grell scherzenden Prinzen, oder der falschen Verbrüderungsszene vor dem sterbenden König Edward (Tilo Krügel) zum Tragen kommen. Zuweilen wirkt auch Richard selbst wie ein stetig grinsender Horror-Clown. Enrico Lübbe bleibt aber nahe am Plot und lässt das Ganze nicht in die Farce abgleiten. Als einziger echter Gegenpol zum mordenden Richard setzt Lübbe die Frauenrollen des Stücks, die trauernden und Richard verfluchenden Witwen Königin Margaret (Larissa Aimée Breidbach), Herzogin von Gloster (Katja Gaudard) und Königin Elisabeth (Bettina Schmidt), die nach der Pause auch ihren großen Auftritt bekommen. Das Geschehen hat sich nun vor den Eisernen Vorhang verlagert. Richard trägt jetzt Schwert und Krone und sieht sich immer mehr Abtrünnigen gegenüber, die wie der Marquis von Dorset (Denis Grafe) zum Gegner Richmond überlaufen.
Das Ende gehört nochmal der großartigen Anne Cathrin Buhtz, die ganz allein im Regen auf leerer Bühne steht, die Stimmen der Ermordeten aus dem Off als Albtraum im Ohr das Schwert gegen imaginäre Feinde schwingt und schließlich in die schwarzen Leichensäcke sinkt. Regisseur Enrico Lübbe folgt hier einem Trend zur Aufführung großer Theaterstoffe und -texte (hier in nochmals bearbeiteter Übersetzung von Thomas Brasch) als solide Ensembleleistung mit herausragendem Solopart und trifft damit den Nerv des Leipziger Publikums, das dem stehend Applaus spendet.
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Richard III am Schauspiel Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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Stefan Bock - 30. September 2024 ID 14944
RICHARD III (Schauspiel Leipzig, 28.09.2024)
von William Shakespeare | Deutsch von Thomas Brasch
Regie: Enrico Lübbe
Bühne: Martin Zehetgruber
Kostüme: Sabine Blickenstorfer
Video: Robi Voigt
Musik: Bert Wrede
Dramaturgie: Torsten Buß
Licht: Veit-Rüdiger Griess
Videotechnik: Fabian Polinski
Ton: Udo Schulze und Gregory Weis
Mit: Anne Cathrin Buhtz (als Richard), Bettina Schmidt (als Königin Elisabeth), Katja Gaudard (als Herzogin), Vanessa Czapla (als Lady Anne), Larissa Aimée Breidbach (als Königin Margaret), Tilo Krügel (als König Edward u.a.), Niklas Wetzel und Sasha Hayes (als Lord Rivers), Denis Grafe (als Marquis von Dorset u.a.), Wenzel Banneyer (als Clarence u.a.), Christoph Müller (als Buckingham), Denis Petković (als Hastings u.a.) sowie Michael Pempelforth (als Stanley u.a.)
Premiere war am 20. September 2024.
Weitere Termine: 09., 20.10./ 17.11./ 14., 29.12.2024// 10.01./ 01.02.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-leipzig.de/
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