Die Klassenfrage
im Sommertheater
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Das Spiel von Liebe und Zufall am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
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Bewertung:
Nein, keine Sorge, die K-Frage wurde in der diesjährigen Sommerinszenierung des Dresdner Staatsschauspiels, die wie im letzten Jahr das Japanische Palais kurzzeitig aus der Bedeutungslosigkeit reißt, nicht gestellt. Es ist der Berichterstatter, der diese vermisst und einbringt. Aber dazu später.
Nach Goldonis Diener zweier Herren, der überaus gelungenen ersten Inszenierung dieses Formats aus dem letzten Jahr, die es dann sogar – fast ohne Wertverlust – auch auf die Bühne des Großen Hauses schaffte, wurde diesmal ein leichterer Stoff gewählt. Pierre Carlet de Marivaux (1688-1763), von dem immerhin im Programmheft berichtet wird, dass er sich „den Adelstitel selbst zugelegt" habe, was ich als revolutionären Move verstehe, ist der Autor, 1730 wurde das Stück uraufgeführt, es soll sein größter Erfolg gewesen sein, von einer reichen Heirat mal abgesehen.
Der Plot hat die Tiefgründigkeit eines Opern-Librettos, ist also sehr bieder und im oben genannten Sinne sogar ärgerlich. Es ist zu heiraten im guten Hause, auch aus wirtschaftlichen Gründen, aber bevor die junge Dame einwilligt, will sie das bekannte Verwechselspiel exerzieren, das sie vermutlich bei Shakespeare gesehen hat. Ihre „Assistentin“ (dämliche Modernisierung für Zofe) muss also in ihre Rolle schlüpfen bei Ankunft des bis dato unbekannten jungen Herrn von geldlichem Adel. Und natürlich hat ebenjener dieselbe Idee und schickt sich selbst als „Butler“ (dämliche Modernisierung von Kammerdiener) voraus und den Angestellten als sich selbst hinterher. Das könnte witzig sein, wenn nicht der Delegation ein Brief an die leitende Dame des zu heiratenden Hauses vorauseilt, der hochverräterisch den Betrug kundtut. Da besagte Dame natürlich auch vom Schwindel des Töchterleins weiß und den sich beruflich als Sohn engagierenden Sohn der finanziellen Bruchbude einweiht, gibt es zwei Wissende, die über dem Geschehen stehen. Folglich wird das Ganze zu einem von oben gesteuerten Marionettentheater, was nur bedingt witzig ist.
Natürlich ist das alles sehr gut gemacht, in Teilen sogar großartig, was z.B. die Band und die Gesangsbeiträge betrifft. Auch in der Kostümabteilung durfte man sich austoben, und die Bühne ist zwar schlicht, aber der Platz ist gut bespielbar, und die Kulisse tut das Übrige. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Spielenden auf allen Positionen neu besetzt, aber bei weitem keine B-Elf (wer hier Fußball-Metaphern findet, darf sie behalten). Herausragend für mich die frisch ins Ensemble geholten Leonie Hämer und Jakob Fließ voller Spielfreude und der bis dato nicht als Komödiant bekannte Oliver Simon. Letzterer hatte einen großartigen „Ajax“ in dieser Saison, der leider schon abgesetzt wurde. Schade, Stücke von dieser Relevanz sind auch in Dresden selten geworden.
Aber zurück zum Vergnügen. Es gibt die üblichen Irrungen und Wirrungen, bis man sich gefunden hat, das ist auch heiter bis lustig anzuschauen. Am Ende haben die Untergebenen am guten Leben geschnuppert, fügen sich aber schnell wieder in ihre angestammten Rollen und erbarmen sich einander. Die Herrschaft darf nun – der vermeintlichen Klassenschranken entledigt – sich richtig verlieben. In einem eingesprochenen Abspann werden die weiteren Lebenswege aufgezeigt, die aber so strunzdumm ausgedacht sind, daß ich ihnen hier die Wiedergabe erspare.
Jubel im Publikum am Ende, mehrere Vorhänge, natürlich verdient in vielen Beziehungen.
Und nun noch die Klassenfrage: Kann ja sein, dass eine seit dem Wahlsonntag andauernde Misslaunigkeit mich zu dieser Sichtweise bringt, aber - warum kann es nur gut ausgehen, wenn sich alles in der alten Ordnung fügt? Warum stellen Lisette und Arlequin nicht die Macht in Frage? Gut, die Guillotine war noch nicht im Gebrauch zu dieser Zeit, man kann es dem Autor nicht vorwerfen, aber der heutigen Dramaturgie und Regie schon. Ein bisschen mehr gesellschaftlicher Zupack und Hinterfragen von sozialen Rollen wär schon möglich gewesen, bei aller sommerlichen Beschwingtheit.
PS: Wie das gehen kann, hat übrigens das Wiener Volkstheater in dieser Spielzeit mit besagtem Diener zweier Herren gezeigt, ohne dass es weniger unterhaltsam gewesen wäre. Vielleicht erbarmt man sich ja dort auch dieses Stoffes. Ich tät hinfahren.
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Das Spiel von Liebe und Zufall am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
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Sandro Zimmermann - 17. Juni 2024 ID 14802
DAS SPIEL VON LIEBE UND ZUFALL (Innenhof Japanisches Palais)
Regie: Lily Sykes
Bühne: Daniel Roskamp
Kostüme: Ines Koehler
Musik und Arrangements: David Schwarz
Choreografie: Björn Helget
Lichtdesign: Konrad Dietze
Dramaturgie: Kerstin Behrens
Besetzung:
Madame Orgon ... Nadja Stübiger
Mario, Sohn der Madame Orgon ... Viktor Tremmel
Silvia, Tochter der Madame Orgon ... Sarah Schmidt
Dorante ... Jakob Fließ
Lisette, persönliche Assistentin von Silvia ... Leonie Hämer
Arlequin, Garderobier von Dorante ... Oliver Simon
Klavier und Synthesizer: David Schwarz
Gitarre: Christian Stoltz / Marc Dennewitz
Bass: Paula Wünsch / Kevin Knödler
Premiere am Staatsschauspiel Dresden: 3. Juni 2024
Weitere Termine: 28., 29., 30-ß6.2024
Koproduktion mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de
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